Am Pranger: Die verlorene Ehre der Sanija Ameti

Nr. 37 –

Den Job ist sie los, ihre Partei, die GLP, hat ein Ausschlussverfahren in Gang gesetzt, die Leitung der Kantonalsektion musste sie abgeben, hinzu kommen Morddrohungen und Polizeischutz: Der Umgang mit der Zürcher Gemeinderätin Sanija Ameti ist ein Lehrstück darüber, mit welch rasender Geschwindigkeit der digitale Mob eine unliebsame Person in existenzielle Not zu bringen vermag.

Auslöser der medial-politischen Hetzjagd war ein (plumper) Instagram-Post vom Wochenende. Darauf zu sehen: Ameti, wie sie mit einer Sportpistole auf ein Jesus-und-Maria-Abbild schiesst. Als sie dafür kritisiert wurde, mit ihrer Aktion religiöse Gefühle zu verletzen, reagierte die 32-Jährige so, wie in der Politik wohl nicht allzu viele reagiert hätten: Sie löschte den Post und entschuldigte sich.

Damit hätte sich die ganze Sache eigentlich erledigt haben können, zurück zum Tagesgeschäft, schliesslich gäbe es in der politischen Schweiz gerade genug zu diskutieren. Doch, um es mit dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus zu sagen: «Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht.» Und so schoss sich der Mob auf Sanija Ameti ein – inklusive der russischen Propagandaschleuder RT, die die Causa rund um die «lautstarke Ukraine-Unterstützerin» ebenfalls ausschlachtete.

Der misogyn-rassistische Eifer, mit dem eine junge Frau mit muslimischer Migrationsgeschichte angegangen wird, die mit ihrer Meinung für gewöhnlich nicht hinterm Zaun hält, die laut ist und damit vielleicht auch nervt, sagt viel über hiesige Verhältnisse aus – nichts Gutes. Was einem Mitglied der Mehrheitsgesellschaft wohl rasch verziehen wäre, kann bei jemandem wie Ameti (Untergang des christlichen Abendlands!) offenbar nicht unkommentiert bleiben.

Dass die Rechte zur Stelle war, um das Abendland zu verteidigen, war zu erwarten gewesen. Der erschreckende Mangel an Rückgrat, den die GLP an den Tag legte, indem sie sich dem Mob beugte, lässt hingegen tief blicken. Als einzige der mit Ameti verbundenen Organisationen hielt die Operation Libero zu ihr.

Was bleibt, ist folgende Erkenntnis: Fehler können sich in diesem Land nur jene leisten, deren Status unantastbar ist. Frauen, erst recht migrantische, gehören nicht dazu. Passend hat Heinrich Böll den Vorgang so beschrieben: «Die Gewalt von Worten kann manchmal schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen.»