Israel / Palästina: Axel Springer profitiert von illegalen Siedlungen

Nr. 38 –

Ein «Bild»-Bericht über ein geheimes Hamas-Dokument erweist sich als Desinformation. Doch während der Artikel in Israel Wellen schlägt, bleiben die fragwürdigen Verbindungen des Springer-Konzerns zu Benjamin Netanjahu in Deutschland weitgehend unbeachtet.

Werbung der Onlineplattform Yad2 in der Israelischen Wirtschaftszeitung «The Marker»
«Yad2 hilft Ihnen, eine Zukunft in Ihrem nächsten Zuhause in Israel zu bauen»: So wirbt die Onlineplattform des deutschen Axel-Springer-Konzerns. Yad2 vermarktet Immobilieninserate – auch in den besetzten Gebieten. Foto: Werbung in der Israelischen Wirtschaftszeitung «The Marker»

In Israel sorgte in den letzten Tagen ein Medienskandal für Aufsehen, der in Deutschland kaum Beachtung fand. Dabei war die grösste deutsche Zeitung, die «Bild», direkt beteiligt. Am 6. September hatte sie einen Exklusivbericht veröffentlicht, der angeblich die Inhalte eines geheimen Hamas-Dokuments enthüllte, das auf dem Computer des Hamas-Anführers Jahja Sinwar in Gaza gefunden worden sein soll. Demnach enthielt das Dokument die Strategie der Hamas zu den Waffenstillstandsverhandlungen. Es beweise, so «Bild», dass ein Waffenstillstand für die Hamas keine Priorität habe: «Ein schnelles Ende des Krieges strebt die Hamas nicht an.»

Der «Bild»-Bericht, der wenig später auch von Israels Premier Benjamin Netanjahu in einer Kabinettssitzung zitiert wurde, basiert aber offenbar auf freien Erfindungen. Israelische Militärquellen erklärten gegenüber der israelischen Zeitung «Ynet», dass die Armee ein ähnliches Dokument schon Anfang des Jahres in Gaza entdeckt habe. Der israelische Militärreporter Ronen Bergman schreibt, es handle sich weder um ein offizielles Strategiedokument, noch sei es «annähernd in der Nähe» von Sinwars Computer gefunden oder von ranghohem Hamas-Personal verfasst worden. Ein von «Bild» zitierter Satz aus dem Dokument, wonach die Verhandlungen von der Hamas künstlich in die Länge gezogen werden sollen, finde sich im echten Dokument nicht.

Bergman spricht von einer «Kampagne» der «Bild», um Netanjahus Narrativ zu stützen, wonach die Verhandlungen an der Hamas scheitern. In Israel spielt das Netanjahu in die Hände. Heftige Proteste für ein Waffenstillstandsabkommen gefährden derzeit seine politische Strategie. Auch der israelische Journalist Shlomi Eldar sieht in dem «Bild»-Bericht einen fabrizierten Leak aus dem Büro des Premiers, «eine gut getimte Kampagne gegen Angehörige der Geiseln», wie er auf X schrieb.

Karte ohne palästinensische Dörfer

Der «Bild»-Bericht stand Anfang Woche nach wie vor unkorrigiert online. Dass Deutschlands grösste Zeitung offenbar eine israelische Desinformationskampagne als Exklusivbericht verkauft, ist an sich ein publizistischer Skandal. Gleichzeitig wirkt es gewissermassen folgerichtig: Bereits im Juni kündigte die Netanjahu-freundliche Zeitung «Israel Hayom» eine umfassende Kooperation mit der «Bild» an. Von der Zeitung «Neues Deutschland» mit den Vorwürfen konfrontiert, liess die «Bild» verlauten, Israels Militär habe die Echtheit des Dokuments, über das die Zeitung berichtet hatte, «nach der Publikation offiziell bestätigt».

Doch es bleibt nicht nur bei Kooperationen: Dem Springer-Konzern gehört auch das israelische Tochterunternehmen Yad2 – die in Israel führende Onlineplattform für Kleinanzeigen. Neben Anzeigen für Autos und Waffen veröffentlicht das Unternehmen auch solche zur Vermietung und zum Verkauf von Immobilien. Die Plattform zeigt online eine nach Regionen durchsuchbare Karte des Gesamtgebiets von Israel und Palästina (mit Ausnahme Gazas), auf der palästinensische Dörfer und Städte nicht existieren, und verwendet als Werbespruch die Parole «From the River to the Sea». Tausende Angebote auf Yad2 befinden sich in israelischen Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem. Und Axel Springer verdient, wie «The Intercept» berichtete, mit diesen Angeboten Geld: Private können kostenlos inserieren, geschäftliche Anbieter bezahlen dafür.

Über tausend der bezahlten Anzeigen auf Yad2 schreiben aktuell Immobilien in Siedlungen aus. Einige davon befinden sich in Aussenposten – also in Siedlungen, die nicht nur nach internationalem, sondern sogar nach israelischem Recht illegal sind. Andere stehen auf privatem palästinensischem Land, das «zu Sicherheitszwecken» von Israel beschlagnahmt wurde und jetzt israelische Siedler:innen beherbergt.

Enteignetes Eigentum

Angesichts eines Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs von Ende Juli erscheint diese Praxis besonders brisant. Es stellt fest, dass Israels Besetzung illegal und Israels Siedlungspolitik ebenfalls rechtswidrig seien. Praktiken wie Landbeschlagnahmungen und die Ausweitung israelischer Rechtsordnung und Infrastruktur auf Siedler:innen verletzen in den Augen des Gerichts eine Uno-Konvention, die Apartheid verbietet. In Punkt 278 des Gutachtens wird zudem ausdrücklich darauf verwiesen, dass Uno-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, zwischen Israels Staatsgebiet und den besetzten Gebieten zu unterscheiden.

Auf Yad2 finden sich derweil Immobilien in einigen der ideologisch extremsten Siedlungen. Auf Yad1, einer Unterseite der Plattform, wird überdies auch für Neubauprojekte in Siedlungen geworben. Mit den Praktiken von Yad2 konfrontiert, erklärte eine Sprecherin von Axel Springer Anfang Jahr: «Diskriminierung hat bei Axel Springer keinen Platz.» Das Unternehmen spreche sich gegen jede Form von Rassismus aus. Dennoch: Die Yad2-Nutzungsbedingungen verbieten zwar rassistische Inhalte, nicht aber die Praxis, Immobilien nach ethnischen Kriterien zu verkaufen.

«Wir fordern das Unternehmen auf, Aktivitäten einzustellen, die zu solch schweren Menschenrechtsverletzungen beitragen», so Omar Shakir, Israel-Palästina-Direktor von Human Rights Watch. «Das Land, auf dem diese Siedlungen gebaut wurden, ist enteignetes palästinensisches Eigentum.» Shakir sieht in den Anzeigen auf Yad2 eine Stütze des Siedlungsprojekts. «Unternehmen, die sich daran beteiligen, profitieren von einem System, das Palästinenser systematisch diskriminiert.»