Israel und Palästina: «Es ist unser Land»
Seit in Israel rechtsextreme Parteien an der Macht sind, nimmt die Gewalt zu. Zu Besuch bei einem radikalen jüdischen Siedler, bei Palästinenser:innen in der benachbarten Kleinstadt und bei einem Friedensaktivisten, der die Hoffnung trotz allem nicht aufgeben will.
Auf dem Bildschirm sehe ich Rauchwolken über der palästinensischen Kleinstadt Huwara. Dutzende Häuser und Autos stehen in Flammen, Geschäfte brennen, Steine fliegen. Es ist der 26. Februar. Am Nachmittag hat ein Palästinenser in Huwara zwei Israelis aus einer nahe gelegenen Siedlung getötet. Wenige Stunden später dringt eine Horde von israelischen Siedlern in das Städtchen ein, um Rache zu üben. Ein Palästinenser wird getötet, Hunderte werden an diesem Tag verletzt.
«Ich habe solche Angst um meine Familie», schreibt Schaden Salim, die ich zwei Wochen zuvor in Huwara getroffen habe, aus der Stadt Nablus. «Meine Brüder und meine Eltern sind in unserem Haus, Siedler greifen sie an.» Nablus ist vom israelischen Militär abgeriegelt, Salim hat keine Chance, zu ihrer Familie durchzukommen. In Evyatar, einer vom Militär geräumten jüdischen Siedlung, tanzen derweil ein Dutzend Siedler Schulter an Schulter. In dieser Nacht der Rache haben sie den Aussenposten erneut besetzt. Der Knesset-Abgeordnete Zvi Sukkot ist einer von ihnen. «Tänze der Liebe zum Land. Tränen des Schmerzes und der Hoffnung vermischen sich», schreibt er auf Twitter.
«Die wollen uns umbringen»
Zwei Wochen zuvor liegen diese Ereignisse noch in der Zukunft – doch im Rückblick kann man sagen, die Zeichen standen schon an der Wand.
«Schade, dass es bewölkt ist», sagt Zvi Sukkot und blickt Richtung Westen zum Mittelmeer. «Normalerweise kann man bis Netanja schauen.» Er steht direkt vor seinem Büro auf dem höchsten Punkt der Siedlung Jitzhar. Von dem rechteckigen weissen Container aus hat der religiöse Zionist eine 360-Grad-Sicht auf das, was er «unser Land» nennt. Er zeigt auf das Mittelmeer, auf die israelische Küste und Tel Aviv, dann gleitet seine Hand über das Westjordanland hinweg, über arabische Dörfer und jüdische Siedlungen, bis sein Zeigefinger auf der Grenze zu Jordanien ruht. Eine imperiale Geste, könnte man meinen, doch dafür ist sein Blick zu kritisch, seine Bewegung zu vorsichtig. Sukkot gleicht eher einem Wächter, der sich beauftragt fühlt, sich in der Abwesenheit des Besitzers um dessen Land zu sorgen.
Sukkot trägt Schläfenlocken und Zizit, weisse Fäden, die religiöse Juden an den Oberteilen befestigen. Auf dem Kopf trägt er eine gehäkelte Kippa, das Markenzeichen der Siedler in den besetzten palästinensischen Gebieten. Er ist erst 32 Jahre alt und hat eine steile Karriere hingelegt: Zwei Tage nach dem Interview wird er für die rechtsextreme Partei Religiöser Zionismus in die Knesset einziehen. Ihr Programm sieht unter anderem vor, dass das ganze Westjordanland annektiert wird, Geflüchtete ausgewiesen und das oberste Gericht entmachtet werden soll.
Im Westjordanland war das vergangene Jahr das blutigste seit dem Ende der Zweiten Intifada 2005. Der amerikanische Geheimdienst CIA und israelische Sicherheitsapparate warnen davor, dass eine dritte bevorstehen könnte. Noch gibt es keinen Aufruf einer der grossen palästinensischen Fraktionen dazu. Doch es werden so viele Menschen in Anschlägen durch Palästinenser:innen und Razzien des israelischen Militärs getötet wie seit 2005 nicht mehr.
Sukkot, so scheint es, hat nichts zu verstecken. Anders als die allermeisten radikalen Siedler:innen ist er bereit, mit den Medien zu sprechen. Zusammen mit Bezalel Smotrich, dem Parteichef von Religiöser Zionismus, war er in der Hilltop Youth aktiv – in den Augen von vielen Israelis und einem Grossteil der internationalen Staatengemeinschaft sind das junge extremistische Siedler, die Gewalt für ein legitimes Mittel halten und die Palästinenser:innen vertreiben wollen. Sie errichten sogenannte Aussenposten im Westjordanland, die selbst nach israelischem Recht illegal sind – zumindest bis jetzt.
Für Sukkot bedeutet die Hilltop Youth etwas ganz anderes: eine rechtschaffene Gruppe junger Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Gottes Versprechen einzulösen – die Besiedlung von Eretz Israel, dem gelobten Land. Dazu Lagerfeuer auf den Hügeln, Zusammengehörigkeit, Pioniergeist – und das Gefühl, in Einklang mit einer höheren Idee zu handeln.
Bis vor kurzem waren die extremistischen Siedler:innen die Outlaws der israelischen Gesellschaft, die Troublemaker unter den 500 000 Siedler:innen, die mittlerweile im besetzten Westjordanland leben. Nun lenken sie die Geschicke des Landes. Comeback-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die radikalen Siedlerparteien zuerst hoffähig und ihnen dann weitreichende Zugeständnisse gemacht. Er, der derzeit in drei Korruptionsfällen vor Gericht steht, will vor allem eins: nicht ins Gefängnis. Seine Bündnispartner versprechen ihm Immunität. Und die wissen, wie erpressbar Netanjahu ist. Zum ersten Mal in der Geschichte Israels steht das «exklusive und unbestreitbare Recht auf alle Teile des Landes» in der Koalitionsvereinbarung, auch auf «Judäa und Samaria» – die biblischen Namen für das besetzte Westjordanland.
Aus einem Haufen grüner T-Shirts, die in einer Ecke liegen, zieht Sukkot eines hervor. «Mein Herz brennt für Josef», steht darauf. Zurückkehren zu können an das Grab des jüdischen Stammvaters Josef – auch das ist eines der Ziele von Sukkot. Derzeit dürfen er und andere jüdische Israelis nur mit Spezialgenehmigung dorthin, an den Stadtrand von Nablus. Dann werden sie vom Militär eskortiert, es kommt dabei regelmässig zu heftigen Zusammenstössen.
«Es kann doch nicht sein, dass wir uns nicht überall in unserem Land bewegen dürfen», sagt Sukkot. Im Oktober 2000, kurz nach Beginn der Zweiten Intifada, wurde der Vater seiner späteren Frau am Josefsgrab von Palästinenser:innen getötet. Sie war damals acht Jahre alt. Im Wohnzimmer hängt ein Bild von ihm. Mit spitzem Bart und Nickelbrille liest er in der Bibel, über dem Kopf ein weisses Tuch. Hillel Lieberman war Rabbiner und 36 Jahre alt, als er starb. Mehr erzählt Sukkot dazu nicht. Fragen nach Gefühlen behagen ihm offenbar nicht. «Mhm?», antwortet er, scheinbar abgelenkt, und kaut sein Kaugummi fester. Über seine Eltern sagt er nur, er sei in einem ultraorthodoxen Haus aufgewachsen. Politische Fragen beantwortet er hingegen geduldig, auch kritische. Wer wirklich glaubt, dass Gott ihm dieses Land versprochen hat, dem können Fragen einer säkularen Journalistin nichts anhaben. Vielleicht aber nerven.
«Als Knesset-Abgeordneter will ich dafür sorgen, dass alle Terroristen entweder im Knast oder tot sind», sagt Sukkot. Auf Hebräisch klingt der Satz noch mehr nach Slogan: «Be kever o be kele.» Erwidert man, das sei recht hart, geht er schnellen Schrittes und mit lauter werdender Stimme auf das Foto des Vaters seiner Frau zu. «Und das hier?», ruft er. «Das hier ist hart!»
Sukkot sagt nicht explizit, dass er alle Palästinenser:innen für Terrorist:innen hält. Doch die Palästinensische Autonomiebehörde ist für ihn eine Terrororganisation, deren Zusammenbruch er wünscht. In benachbarte palästinensische Städte und Dörfer fahre er nicht. «Die wollen uns umbringen.»
Der Familienvater sorgt sich um seine fünf Töchter. Seine Waffe liegt auf dem Nachttisch im Schlafzimmer. Wenn er die Siedlung verlässt, trägt er sie an seinen Gürtel geschnallt. Doch seine Kinder in einer weniger konfliktgeladenen Gegend aufzuziehen, kommt ihm nicht in den Sinn. Für ihn wäre das Verrat. Sukkot war fünfzehn, als die israelische Armee nach dem Abkoppelungsplan des damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon die jüdischen Siedlungen im Gazastreifen evakuierte. Sukkot konnte es nicht fassen. «Sie haben unser Land einfach der Hamas überlassen.» Er hat den Satz, das hört man, schon oft gesagt, doch man spürt noch heute die Wut in ihm darüber. Nach diesem Ereignis beschloss er, seinen Weg zu ändern: Aus dem ultraorthodoxen Jeschiwastudenten wurde ein nationalreligiöser Zionist.
In den palästinensischen Dörfern um Jitzhar herum fürchten Bäuer:innen um ihre Olivenhaine und Gläubige um ihre Moscheen. Jitzhar ist bekannt als Epizentrum für sogenannte Preisschildaktionen: Vergeltung für palästinensische Gewalt oder eine Regierungspolitik, die als feindlich gegenüber der Siedlerbewegung empfunden wird. Auch Sukkot soll an solchen Aktionen beteiligt gewesen sein. Im Dezember 2009 – Sukkot war damals zwanzig Jahre alt – soll er gemeinsam mit anderen Hilltop-Jugendlichen eine Moschee in einer palästinensischen Kleinstadt angezündet haben. Er stand vor Gericht, wurde jedoch aus Mangel an Beweisen freigelassen. Laut der israelischen Tageszeitung «Haaretz» haben nur 3,8 Prozent der Straftaten gegen Palästinenser:innen eine Anklage zur Folge.
«Selbstjustiz darf nicht sein», sagt Sukkot heute. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, im palästinensischen Nachbarort auf einen Fahnenmast zu klettern und eine palästinensische Fahne herunterzuholen. Im Mai letzten Jahres filmte er sich selber dabei und stellte das Video in die sozialen Netzwerke.
Bis Jüdinnen und Juden ohne Einschränkung im ganzen biblischen Israel leben könnten, werde er kämpfen, sagt er. Er blickt über die steinige Hügellandschaft, in die sich im Winter auch Grün mischt. «Es gibt viele, die uns Steine in den Weg legen.» Er meint den Protest auf den israelischen Strassen und die internationale Staatengemeinschaft. «Aber Schritt für Schritt werden wir dahin kommen.» Dann lächelt er und verabschiedet sich. Bald beginne der Schabbat.
Erst Steine, dann Schüsse
Ein paar Hundert Meter unterhalb von Jitzhar, im palästinensischen Städtchen Huwara, steht das kleine Riesenrad still. Bewegungslos hängen ein Dutzend bunter Gondeln in der Luft. Auch das Karussell dreht sich nicht mehr. Vor sechs Monaten habe der Besitzer den kleinen Vergnügungspark geschlossen, erzählt Schaden Salim. Sie studiert englische Literatur und Übersetzung an der An-Najah-Universität in Nablus, nur wenige Autominuten von Huwara entfernt.
Salim ist zwanzig Jahre jung und zierlich. Aber ihr Ehrgeiz ist gross. Sie liebt es, mit ausländischen Gästen zu sprechen. Für sie ist Englisch ein Tor zur Welt, und die Palästinenser:innen, das ist für sie völlig klar, brauchen die Welt.
Die Siedler hätten das Gelände immer wieder angegriffen, Steine auf die Gondeln geworfen, sagt sie. Erst kamen immer weniger Gäste, schliesslich gar keine mehr. Der Besitzer ist Konkurs gegangen. Wenige Meter entfernt, auf der anderen Strassenseite, hängen verkohlte Dachbalken auf eine Terrasse herab. Das von der Stadtverwaltung betriebene Café ist abgebrannt. An einem Morgen im Oktober hätten Siedler es angezündet, erzählt sie: «Verletzt wurde niemand. Schon lange kamen keine Gäste mehr in das Café – aus Angst vor Angriffen.»
Schaden Salim hat Angst, zu lange beim Café zu verweilen. «Sie kommen, wenn sie uns hier sehen», sagt sie und blickt den Hügel hinauf, über den steinigen Boden mit seinen Olivenbäumen und Zypressen hinweg Richtung Jitzhar. Auch sie selber wurde schon von Siedlern angegriffen. Im Oktober letzten Jahres hätten sie ihr aus einem Auto heraus Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, erzählt sie. Sie wurde im Krankenhaus behandelt. Seitdem hat sie Angst, alleine das Haus zu verlassen.
Wenn die Rede auf Israel kommt, wird sie einsilbig. Israelis, die keine Siedler:innen oder Soldat:innen sind, kennt sie wegen der Trennungspolitik nicht. Gleichaltrige, die nur wenige Kilometer von ihr entfernt leben und vielleicht den gleichen Traum haben wie sie: Übersetzerin und Hochschuldozentin zu werden.
Bei einem Haus etwas ausserhalb von Huwara steigen wir aus. «Wann auch immer die Siedler kommen – sie gehen niemals, ohne dieses Haus anzugreifen.» Die obere Etage ist nicht fertig gebaut, aus den Aussenwänden ragen rostige Eisenstangen. «Salaam», ruft ein Junge, der sich als Ibrahim vorstellt, 13 Jahre alt. Wie ein kleiner Mann führt er uns Richtung Olivenhain: «Von hier kommen sie.» Dann läuft er zurück und öffnet die Haustür. Seine Mutter und zwei Brüder, der 23-jährige Abdullah und der 19-jährige Ahmed, sitzen im Wohnzimmer. Ihr Vater besitzt eine Autowerkstatt, Ahmed und Abdullah arbeiten dort mit ihm. Immer wieder haben Siedler die Scheiben der Autos eingeworfen.
Ob die Angriffe schlimmer geworden seien seit der neuen Regierung? Die Mutter verwirft die Hände, die Brüder nicken heftig. Vor einer Woche seien sie wieder da gewesen, erzählen sie. Zwei Dutzend junge Männer mit schwarzen Masken warfen Steine auf das Haus. Abdullah und Ahmed liefen auf das Dach und warfen Steine zurück. Kurz darauf begannen die Siedler zu schiessen.
Abdullah und Ahmed haben keine Waffen. Im Westjordanland gibt es zwei Rechtssysteme. Eines gilt für die Siedler:innen. Für die Palästinenser:innen aber gilt das Militärrecht. Demzufolge ist das Tragen einer Waffe ein krimineller Akt. Der Waffenhandel in den palästinensischen Gebieten blüht trotzdem. Viele Anschläge haben Palästinenser:innen in den letzten Monaten mit Schusswaffen verübt.
Um zu beurteilen, ob die Siedlergewalt mit der neuen Regierung tatsächlich heftiger geworden ist, ist es noch zu früh. Fest steht: Die Palästinenser:innen nehmen es so wahr. Die meisten von ihnen interessieren sich nur wenig für israelische Innenpolitik. Doch über die Pläne von Itamar Ben-Gvir, dem neuen rechtsextremen Minister für nationale Sicherheit, sind Ahmed und Abdullah gut informiert. Ben-Gvir will die Richtlinien für Soldat:innen über den Schusswaffengebrauch erleichtern, und er hat es Israelis einfacher gemacht, Waffen zu kaufen. Seitdem ist die Zahl der neu ausgestellten Waffenscheine auf das Fünffache angestiegen.
Ahmed und Abdullah wollen selber nicht zu Waffen greifen. Sie hängen an ihrem Leben – und an ihrer Mutter, die sich ohnehin schon die ganze Zeit Sorgen mache. Aber beim Namen «Die Höhle des Löwen» leuchten ihre Gesichter. Im August 2022 wurde die militante Gruppe in Nablus gegründet. Unter Palästinenser:innen hat sie mit ihren Anschlägen auf israelisches Militär und Siedler:innen im Westjordanland schnell an Beliebtheit gewonnen. «Sie verteidigen unser Land», sagt Abdullah. Doch er und seine Familie wählen eine andere Strategie: Sie versuchen sich wegzuducken. Haben sie jemals daran gedacht, wegzuziehen? «Wohin?», fragt die Mutter. Dann lächelt sie und begleitet uns zur Tür.
Der Bürgermeister von Huwara lädt zum Mittagessen ein. Schaden Salim umarmt die grössere Tochter, die beiden studieren zusammen in Nablus. Im Esszimmer der Familie gibt es gelben Reis mit Mandeln und Huhn. Zum Nachtisch sitzt noch eine Handvoll junger Leute am Tisch, die Kinder des Bürgermeisters, ein Verlobter der Tochter und Salim. «Ob wir an Frieden glauben?» Salim greift nach einem Stück Knafe und zieht die Stirn kraus: «Nein.» Niemand widerspricht. Und wenn sämtliche Siedler:innen abziehen würden und sie einen palästinensischen Staat hätten? Salim schüttelt den Kopf. «Es ist unser Land. Vollständig.»
Keine Antwort, aber Hoffnung
Mauricio Lapchik wundert sich nicht über solche Antworten. Der Sprecher der israelischen Friedensorganisation Peace Now erwartet keine andere Reaktion von Palästinenser:innen, die bereits seit drei Generationen unter Besatzung leben.
Der 31-Jährige steht am Eingang der «wilden» Siedlung Homesch, die auch nach israelischem Recht illegal ist. Nach internationalem Recht sind es alle. Zwei Soldaten stehen hinter Betonblöcken neben einer gelben Schranke, die Maschinenpistole im Anschlag. Sie sorgen dafür, dass nur das Gelände betritt, wer eine Sondererlaubnis des israelischen Staates dafür hat: einige Dutzend Siedler:innen. Dabei wurde der Aussenposten 2005 eigentlich geräumt, zeitgleich mit den Siedlungen in Gaza.
Am Vortag hat Lapchik ein Statement von Peace Now über Homesch herausgeschickt: Die Knesset habe in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, das den Aussenposten legalisieren solle, steht darin. «Neben dem Regimeputsch, den diese Regierung mit ihrer Justizreform vorantreibt», sagt Lapchik, «findet ein messianischer Putsch statt, der in einer Region, die vollständig palästinensisch ist, ernsthafte Fakten schaffen wird.»
Er zeigt den Berg hinunter auf das Dörfchen Burqa. Es grenzt direkt an Homesch an. Der Aussenposten wurde unter anderem auf Privatland palästinensischer Bäuer:innen errichtet. Für ideologische Siedler:innen wird es ein grosser Erfolg sein, sollte Homesch tatsächlich legalisiert werden.
Die Situation deprimiert Lapchik. Die Zustimmung zur Zweistaatenlösung ist unter Palästinenser:innen wie Israelis auf einem historischen Tiefpunkt angelangt. Doch der Peace-Now-Sprecher ist Spezialist darin, die Hoffnungslosigkeit aufzufangen. Immer wieder dreht er den Blick nach vorne, darauf, was man für den Frieden der Zukunft tun kann.
Lapchik kann Unrecht nicht ertragen, das hänge auch mit seiner Geschichte zusammen, sagt er. Seine Familie wurde unter den Nationalsozialisten ermordet, ein Grossvater überlebte und emigrierte nach Uruguay. Von dort hat Lapchik, der aus einem religiös-zionistischen Elternhaus stammt, vor zehn Jahren seinen Weg nach Israel gefunden, um an der Hebräischen Universität von Jerusalem Politik zu studieren. Doch als er sich vor Ort umsah, bemerkte er die Probleme der Besatzung – und er wurde aktiv.
Bei all seiner Eloquenz in Sachen Frieden übersieht man leicht, dass auch ihm manchmal die Worte fehlen. Vor allem wenn die Gewalt eskaliert. «Wie können wir Terroranschläge gegen die jüdische Bevölkerung rechtfertigen?», fragt er und blickt auf die grün-grauen Hügel unter weissen Schäfchenwolken, die mit ihrer Schönheit betören könnten, wenn sich nicht immer wieder Checkpoints, Mauern und Stacheldraht in das Blickfeld drängen würden. «Wie können wir die Gründe für den steilen Anstieg von getöteten Palästinenser:innen erklären – und die darauf folgende Normalisierung solcher Akte? Wie können wir rechtfertigen, was unsere Regierung scheinbar in unserem Namen tut – und manchmal auch im Namen des jüdischen Volkes?»
Auf diese Fragen hat er keine Antworten. Aber was er hat, ist diese merkwürdige Form von Hoffnung derjenigen, die einfach nicht willens sind, aufzugeben. Diese Hoffnung, die sich manchmal zurückzieht, aber im Kern unzerstörbar ist.
Irgendwann, sagt er, werde es eine politische Lösung geben, die die Besatzung beende und den Frieden bringe. Vielleicht nicht in den nächsten fünf Jahren, vielleicht nicht in den nächsten fünfzig. «Aber irgendwann wird der Moment kommen. Darauf sollten wir vorbereitet sein.»