Kost und Logis: So schöne Kurven hier

Nr. 38 –

Bettina Dyttrich wandert, isst und ärgert sich in den Vogesen

Wenn sie ihre Helme ausziehen, sind sie ganz nett. Ich weiss schon. Zum Beispiel diese fünf pensionierten Schwaben am Nebentisch, Töffnummern aus Waldshut und Freiburg im Breisgau. Sie diskutieren gerade, wie offenbar ganz Deutschland seit Monaten, über Heizungen. Bestimmt haben sie in ihrer Jugend alle «Easy Rider» gesehen. Und bestimmt macht es Spass, sich am Samstagmorgen zu treffen, den Schwarzwald im Rücken, und loszubrausen über den Rhein, über die Grenze, durch die Weinberge und dann Kurve um Kurve das andere Waldgebirge hinauf: die Vogesen.

Ich will empathisch sein, nicht voreingenommen, den anderen ihren Spass gönnen. Aber bei Töfffahrer:innen fällt es mir schwer. Denn was sie tun, ist ja auch nicht empathisch. Ihr Dröhnen ist kilometerweit zu hören, und sie werden immer mehr. Eine politische Regulierung des Hobbymotorfahrzeugfahrens ist dringend nötig – und völlig unrealistisch. In vielen Tälern hier in den Vogesen wird jedes sonnige Wochenende zur Qual. Das Einzugsgebiet des kleinen Gebirges ist gross und dicht besiedelt, und hier gibt es weitherum die schönsten Kurven.

Die fünf Töfffahrer übernachten in der Ferme-Auberge, wie mein Wandergspänli und ich auch. Ein Teil der Bauernfamilien der Region zieht jeden Frühling mit den Kühen auf die Bergweiden und bleibt ein halbes Jahr oben. Den Namen «Ferme-Auberge» brauchen darf nur, wer wirklich bauert, und ein Teil des Essens muss aus eigener Produktion stammen. Am Wochenende ist der Andrang riesig, und es zeigt sich wieder einmal, warum die Sozialisten des 19. Jahrhunderts nicht recht hatten, als sie den baldigen Untergang des bäuerlichen Familienbetriebs voraussagten: Er ist einfach die flexibelste Form – bei Bedarf kommt die halbe Verwandtschaft helfen.

Zum Wandern sind die Vogesen grossartig: das Wegnetz engmaschig und gut markiert, die Beizendichte legendär. Durch riesige alte Laubwälder, in denen der giftige Rote Fingerhut zu Hunderten blüht, geht es hinauf zu Aussichtsgipfeln. Die Vogesenrinder haben weisse Köpfe, gesprenkelte Flanken und schwarze Augen und Nasen, sehr seltsam und schön.

Mitten im Wald kann man sich sehr weit weg fühlen – bis zur nächsten Töffstrecke. Denn eben, die Vogesen sind der Freizeitpark einer riesigen Region. Auch aus den Niederlanden, Belgien und Luxemburg kommt man kurz fürs Wochenende. Seit der Pandemie hat der Ausflugsverkehr nochmals zugenommen. Und das empfindliche Auerhuhn ist in den letzten Jahren aus den Wäldern verschwunden. Manche Naturschützer:innen wollen nun Vögel aussetzen – heftig kritisiert von anderen Naturschützer:innen: Wenn die Tiere dauernd gestört werden, hat das doch keinen Sinn.

Mit dem Eindunkeln kehrt Ruhe ein um die Ferme-Auberge. Bis sich wieder jemand mit dem Auto auf den weiten Heimweg macht. Der Znacht ist fein und günstig, aber in der Nacht habe ich Bauchweh. Zu viel Butter im Essen.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.