Energiepolitik: Der junge Mann und der Wind

Nr. 20 –

Der 27-jährige Elias Vogt ist Präsident der Anti-Windkraft-Organisation Freie Landschaft Schweiz. Er liebt die Natur, will auf dem Chasseral ein Zentrum für Landschaft schaffen und ist in der Abstimmungszeitung der SVP präsent. Wie passt das zusammen?

Elias Vogt in seiner Villa Michel in Grenchen
Auf realpolitisches Kalkül nimmt er keine Rücksicht: Elias Vogt in seiner Villa Michel in Grenchen.

Elias Vogt zeigt den Jurahang hoch, hinauf zum leuchtend grünen Laub. Dort oben, auf dem Grenchenberg, waren sechs Windturbinen geplant. Weil der Windpark Brutplätze gefährdeter Vogelarten bedrohte, ging Birdlife Schweiz dagegen bis vor Bundesgericht. Dieses hiess die Beschwerde teilweise gut. Nun sind noch vier Turbinen vorgesehen. Werden sie bald gebaut? «Nein», sagt Vogt. «Die verhindern wir auch noch.»

Wird irgendwo ein Windpark geplant, ist der Verein Freie Landschaft Schweiz (FLCH) nicht weit. Der Grenchner Elias Vogt ist dessen Präsident und Geschäftsführer. Der Dachverband, 2004 gegründet, heisst in der Romandie Paysage Libre und war lange vor allem im Jurabogen aktiv. Inzwischen mobilisieren seine Regionalvereine gegen so ziemlich jedes Windkraftprojekt, das auf den Tisch kommt.

Und polarisieren damit. Fragt man etwa den Zürcher Ingenieur und Solarforscher Jürg Rohrer, ist ihm der Ärger anzumerken: Freie Landschaft dramatisiere beim Einfluss der Windturbinen auf Vögel und Insekten, beim Unfallrisiko und beim ökologischen Fussabdruck der Baumaterialien. Auch Michael Casanova, Projektleiter Energiepolitik bei Pro Natura, ist skeptisch: «Sie wehren sich gegen Windkraftprojekte, aber eine Auseinandersetzung damit, was es braucht, um die Energiewende und den Schutz der Biodiversität gleichberechtigt anzugehen, sehe ich nicht.»

Schock im Schwarzwald

«Als ich das Präsidium übernahm, wuchsen wir innert weniger Wochen auf 25 Regionalvereine, heute sind es 50», erinnert sich Vogt stolz. Das war im Herbst 2016. Damals war er gerade einmal zwanzig Jahre alt. Wer ist dieser Mann?

Auf seiner Website ist viel über ihn zu erfahren. Er ist parteilos, ausgebildeter Primarlehrer. Seine Leidenschaften klingen nicht gerade typisch für einen 27-Jährigen. Er arbeitet ehrenamtlich in der Archäologie, lektoriert Heimatbücher, begeistert sich für Uhren. Schon mit 21 hat Vogt für das Stadtpräsidium Grenchen kandidiert. In einem Video tanzt er im Anzug durch seine Heimatstadt, Fotos zeigen ihn in Siegerpose in einer Höhle, auf Juragipfeln, auf der Baustelle. Und er ist «dankbarer Eigentümer der Villa Michel», eines «der schönsten Schätze aus der Belle Epoque in Grenchen». Er wirkt wie einer, der sich sein Engagement leisten kann, weil er von geerbtem Geld lebt.

Der Windexpress

Der Ausbau der Solarenergie in den Alpen wird beschleunigt. Das hat das Parlament im Herbst 2022 mit dem sogenannten Solarexpress beschlossen. Mit dem Windexpress sollen nun auch beim Ausbau der Windenergie die üblichen Verfahren ausser Kraft gesetzt werden.

Bis Windparks mit einer zusätzlichen Leistung von 600 Megawatt gebaut sind, sollen nicht mehr die Gemeinden, sondern die Kantone die Baubewilligung erteilen. Das hat der Nationalrat entschieden. Er gibt damit grünes Licht für den beschleunigten Bau von 150 bis 200 Windturbinen.

Gegner:innen könnten nur «zur Klärung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung» bis vor Bundesgericht gehen. Damit sei das Verbandsbeschwerderecht der Umweltverbände praktisch ausgehebelt, kritisiert Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz. Anfang Juni geht die Vorlage in den Ständerat.

Vogt weist die Frage von sich. Seit der Scheidung der Eltern habe die Familie nicht mehr viel Geld. Er habe zeitweise unter dem Existenzminimum gelebt, schon als Jugendlicher gejobbt. Freie Landschaft Schweiz finanziere sich mit Spenden und Mitgliederbeiträgen. Und er wohne gemeinsam mit seiner Mutter und den beiden Schwestern. Der Unterhalt des alten Hauses sei teuer.

Das Haus ist die ehemalige Villa des Uhrenfabrikanten Adolf Michel, nicht weit vom Bahnhof Grenchen Nord. Prächtiges Parkett, an den Wänden Stuckaturen und Intarsien aus dunklem Holz – und überall Standuhren. Vogts Schwester ist Uhrmacherin und repariert sie. Er bittet zum Kaffee an einen langen Tisch, der Ende des 19. Jahrhunderts dem Verwaltungsrat der Schweizerischen Kreditanstalt, der späteren CS, gedient habe.

Woher kommt seine Leidenschaft für den Landschaftsschutz? Der junge Mann erzählt, wie seine Mutter in Wangen SZ den Autobahnbau erlebt habe, dann im Zürcher Säuliamt, dann hier in Grenchen. Er habe die Matura im Fernstudium gemacht und oft im Zug gelernt. «So lernte ich das Land kennen, die Berge, die Zugvogelrouten, das Zusammenspiel der Biodiversität, das Historische, die Burgruinen …» In den Ferien im Schwarzwald erlebte er den Bau eines Windparks aus der Nähe mit, die Rodungen, die riesigen Maschinen. «Das hat mich schockiert.»

Landschaft wird aus vielen Gründen zerstört. Warum konzentriert sich Vogt gerade auf Windkraft? «Bei einem Bauwerk muss der Nutzen den Schaden überwiegen», sagt er. «Das ist bei den meisten grossen Windturbinen in der Schweiz nicht so.» In Naturlandschaften schädigten Windparks die Biodiversität, im Siedlungsgebiet brauche es zum Schutz der Gesundheit genug Abstand. Mit Windturbinen in bereits belasteten Talböden, wie in Haldenstein bei Chur (siehe WOZ Nr. 8/23) oder bei Martigny, könne er leben. Dort winde es auch genug. «Aber solche Standorte sind selten.» Was der grüne Regierungsrat Martin Neukom im Kanton Zürich plane, sei «der Wahnsinn»: «46 Windparks, bis auf einen alle im Wald, obwohl die Windverhältnisse gar nicht gut sind … Er schadet seinem eigenen Anliegen.»

Wie will denn Vogt die Energiewende schaffen? Das Positionspapier der Umweltallianz, das das Potenzial von Solarenergie auf Dächern und Infrastrukturen betont, finde er gut. «Nur der Windanteil ist zu hoch.» Er engagiert sich auch gegen das Grossprojekt «Grengiols-Solar» im Wallis: «Warum geht man ins Binntal, verbaut 15 000 Tonnen Stahl, wenn man Dächer in Brig, Sion, Crans-Montana hat?» Auch Kleinwindkraft sei für ihn eine Option, fünf Meter hohe Turbinen, die ähnlich viel produzierten wie eine Dachanlage: «Warum propagiert das niemand?»

Augenschein auf dem Chasseral

Vogts neustes Projekt ist das «Schweizer Zentrum für Landschaft» auf dem Chasseral, als GmbH organisiert. Ein asiatischer Investor habe das Hotel im Berner Jura kaufen wollen, sagt er. Um das zu verhindern, hätten es die bisherigen Besitzer:innen relativ günstig verkauft. Genaueres zur Finanzierung will Vogt nicht sagen. Er möchte im Hotel Kurse, Vorträge, Schullager organisieren. Vom Chasseral aus könne man gut Landschaften vergleichen. Zum Beispiel die unverbaute Aussicht nach Süden mit dem Windpark auf dem Mont Crosin im Norden. «Da sieht man auch, wie oft die Turbinen stillstehen.»

Augenschein auf dem Chasseral. Auf der Wiese blühen wilde Narzissen, in der Luft singt eine Lerche. Das Hotel wirkt lieblos, ein hundertjähriger Bau, 1979 erweitert, einem überdimensionierten Jurabauernhaus nachempfunden.* Das Selbstbedienungsrestaurant ist mit Holz ausgekleidet, der WC-Besuch kostet für alle zwanzig Rappen. Im Vorraum des WCs die erste Ausstellung des Zentrums für Landschaft. Sie vergleicht alte mit neuen Flugaufnahmen, es sind brutale Kontraste. Die Schweiz, wie sie niemand sehen will: planlos wirkende Wohnquartiere, Lagerhallen, riesige Parkplätze.

Gross ist auch der Parkplatz vor der Tür. Am Wochenende fahren einige Postautos auf den Chasseral, unter der Woche keine. Die Ausstellung prangert die Zersiedlung an einem Ort an, den fast alle mit dem Auto besuchen – dem wichtigsten Treiber der Zersiedlung.

Das Treffen in Grenchen war bereits abgemacht, als die «Energienews» im Briefkasten liegen, die Abstimmungszeitung der SVP gegen das Klimaschutzgesetz. Auf Seite 4: ein Interview mit Vogt. Ausgerechnet die Partei, die jeden Umweltschutz bekämpft, eine möglichst lasche Raumplanung will und damit so ziemlich alles gefährdet, was dem Landschaftsschützer am Herzen liegt – warum unterstützen Sie jetzt die SVP, Herr Vogt?

Das tue er nicht, sagt er. Er sei für Stimmfreigabe am 18. Juni. «Ich befürworte das Netto-null-Ziel. Aber das Parlament will das Klimaschutzgesetz mit dem Mantelerlass umsetzen.» Diesen lehne er vehement ab. Er fordere einen energiepolitischen Neustart. Man müsse Raumplanung, Klimaschutz, Energie- und Stromversorgungsgesetz zusammendenken und sich endlich den Fragen stellen: «Wie geht das technisch? Woher kommen die Fachkräfte, das Material? Wo planen wir was?» Vogt fordert «eine Gesamtrevision und einen Verfassungsartikel», ähnlich wie der Staatsrechtler Alain Griffel, der die Gesetzgebung um den Ausbau der Erneuerbaren vehement kritisiert (siehe WOZ Nr. 40/22).

Tatsächlich ist der Mantelerlass des Energiegesetzes, wie er zurzeit geplant ist, ein Angriff auf den Naturschutz (vgl. «Und schon die nächste Provokation»). Aber darüber wird am 18. Juni nicht abgestimmt. Sondern über das Ziel der Dekarbonisierung und viel Geld für umweltfreundliche Heizungen.

Ein neuer Franz Weber?

Was denkt Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz (SL) über Elias Vogt? Der 63-Jährige kann die Kritik an vielen Windparkprojekten nachvollziehen: «Gerade in den Hügeln des Mittellands sprengen die 250-Meter-Windturbinen alle natürlichen Proportionen. In dieser Grösse ist das eine inhumane Technologie.» SL und FLCH bekämpfen manchmal dieselben Projekte. «Bei einem schlechten Projekt, wie aktuell im Entlebuch, das auf der Grenze eines Landschaftsschutzgebiets liegt, bin ich natürlich froh, wenn sie mobilisieren.»

Elias Vogt trete das Erbe von Franz Weber an, sagt Rodewald. Der Vergleich passt: Wie der 2019 verstorbene reiche Naturschützer vom Genfersee steht Vogt irgendwo jenseits von links und rechts, nimmt auf keine Bündnisse und kein realpolitisches Kalkül Rücksicht. Das macht ihn unabhängig, aber auch einsam: Er scheint niemanden zu haben, der ihn strategisch berät. Sonst hätte ihn wohl jemand gewarnt, dass er mit seinem Auftritt in der SVP-Zeitung genau jene Kreise irritiert, die er für seine energiepolitische Grundsatzdebatte dringend als Verbündete bräuchte. «Wir haben eine völlig andere Auffassung davon, wie man zu guten Lösungen kommt», sagt Rodewald. «Wir können die Schweiz nicht einfrieren, dazu ist viel zu viel Dynamik in der Welt. Vogt scheint zu glauben, er könne diese Dynamik stoppen. Ich glaube nicht, dass das geht – und auch nicht, dass es mehrheitsfähig ist.»

Der Landschaftsschützer ist tief besorgt über die Energiepolitik des Parlaments. «Die Gesetzgebung für die Solaroffensive und teils auch im Mantelerlass ist bedenklich.» Es sei absehbar, dass die mit dem «Solarexpress» geplanten Grossprojekte in der vorgesehenen Frist technisch nicht machbar seien. «Und mit der jetzt geplanten Windoffensive werden die Gemeinden ausgeschaltet.» Das werde viele Leute gegen Windkraft aufbringen, die Erneuerbaren diskreditieren und den AKW-Befürworter:innen Zulauf bringen. Klar sei auch, dass dieses Vorgehen eher den «eskalierenden Aktivismus» als den konsensorientierten fördere. Also jenen von Freie Landschaft Schweiz.

* Korrigenda vom 19. Mai 2023: In der Print- sowie der früheren Onlineversion dieses Textes stand, dass das Hotel 1979 erbaut wurde. Korrekt ist, dass es 1880 errichtet wurde, nach einem Brand 1925 wiederaufgebaut und 1979 erweitert wurde.