3Sat: Kulturzeit abgelaufen?
Das gemeinsame Kulturfernsehprogramm der deutschsprachigen Länder ist in Gefahr.
ARD und ZDF müssen sparen – dieser Meinung sind die Ministerpräsident:innen der deutschen Bundesländer. Sie schlagen vor, die verschiedenen Spartenkanäle der beiden öffentlich-rechtlichen Sender zusammenzulegen. Kürzungspotenzial orten die Politiker:innen unter anderem bei der Kultur: Die Inhalte von 3sat sollen «teilweise oder vollständig» in das Arte-Programm und dessen Digitalangebote «überführt werden».
3sat wurde 1984 ins Leben gerufen: ORF, ZDF und SRG wollten ein gemeinsames deutschsprachiges Kultur- und Wissenschaftsprogramm anbieten. Das Ziel war damals die Stärkung des deutschsprachigen Kulturraums.
Verlockende Milchbüchleinrechnung
Die Reaktionen auf das Vorhaben, 3sat den Stecker zu ziehen, sind so heftig wie vorhersehbar: Die Kulturszene wehrt sich lautstark, mehrere Petitionen für den Erhalt des Senders wurden lanciert und von namhaften Kulturschaffenden unterzeichnet. Ebenso vorhersehbar kommentiert die politische Rechte die drohende Schliessung von 3sat. So schreibt die NZZ: «Ist das schlimm? Nein, auf Landschaftsfilme und Zweitverwertungen kann man gut verzichten.» Thomas Ribi argumentiert, dass die für 3sat produzierten Sendungen wie «Kulturzeit» oder das Wissenschaftsmagazin «Nano» nur einen Bruchteil der Sendezeit ausmachten, und findet: «Sie können problemlos bei Arte integriert oder in die Hauptprogramme der beteiligten Sender aufgenommen werden.» Der Rest des Angebots sei «kein Programm, dessen Streichung man bedauern müsste».
Im ersten Moment klingt das vernünftig. Das tägliche Kulturmagazin «Kulturzeit» ist hervorragend gemacht – aber braucht es darum herum einen ganzen Sender? Aus Managementlogik ist der Streichungsentscheid deshalb nachvollziehbar: Arte und 3sat machen beide irgendwie etwas mit Kultur, und sie haben beide einen Marktanteil von etwas mehr als einem Prozent. Die verlockende Milchbüchleinrechnung: Wenn man die beiden Kultursender zusammenlegte, hätten sie 2,6 Prozent Marktanteil – das wäre gleich viel wie Pro Sieben. Und das erst noch für weniger Geld. Alles gut also?
Chance für Schweizer Kultur
Leider ist es nicht so einfach. Fernsehsender unterliegen wie Waschmittel oder Frühstücksflocken dem Gesetz der Sichtbarkeit: Je mehr Platz ein Unternehmen mit seinen Produkten im Regal eines Supermarkts belegt, desto mehr Umsatz macht es. Deshalb produzieren grosse Konsumgüterhersteller Produkte unter verschiedenen Markennamen. So machen sie mehr Umsatz, als wenn sie ihre Marken fusionieren würden, weil die Konsument:innen ihren Produkten häufiger begegnen.
Die Fernbedienung des Fernsehgeräts funktioniert ähnlich wie das Regal im Supermarkt: Je mehr Plätze eine Sendeanstalt auf der Fernbedienung belegt, desto eher werden ihre Produkte von den Kund:innen wahrgenommen. Wenn die Politiker:innen 3sat in Arte integrieren, dürfte sich am Marktanteil von Arte deshalb kaum etwas ändern – der «Marktanteil» der Kultur dürfte sich halbieren.
Ganz besonders gilt das für die Sendungen von SRF, die auch auf 3sat zu sehen sind: die Kultursendungen «Kulturplatz», «Literaturclub» und «Sternstunde Kultur», aber auch «rec.», «Reporter», «Rundschau» und «10 vor 10». Schweizer:innen schauen viel deutsches Fernsehen: Der Marktanteil der ausländischen Sender beträgt in der Deutschschweiz über sechzig Prozent. Das Schweizer Fernsehen findet in Deutschland aber nicht statt. 3sat bietet Schweizer Kulturschaffenden die Möglichkeit, in Deutschland und Österreich wahrgenommen zu werden.
Sichtbare Kultur
Das Bundesamt für Kommunikation und die SRG finanzieren den Schweizer Beitrag an 3sat deshalb gemeinsam: Es fliesst dafür Geld vom Bund an die SRG. Man könnte meinen, dass die Schweizer Politik für den Export von Schweizer Angeboten kämpfen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament, den Beitrag des Bundes an die SRG für dieses Auslandengagement ersatzlos zu streichen. Auch der Bundesrat argumentiert mit Marktanteilen – und mit dem Internet. Die Beurteilung eines Fernsehsenders nur aufgrund seines Marktanteils im Fernsehkabel greift aber viel zu kurz. Einmal abgesehen davon, dass gerade die Angebote eines Kultursenders häufig gezielt per App oder Website abgerufen werden – Fernsehkabel und Internet, das ist nur die Distribution. Vorher kommt die Herstellung der Inhalte. Ein Fernsehsender wie 3sat bietet Strukturen und Mittel für die Produktion von Kultur – auch in der Schweiz.
Vor allem aber macht 3sat Kultur sichtbar. Das tägliche Magazin «Kulturzeit» bietet einen einzigartigen Kulturüberblick über den deutschsprachigen Raum, Deutschschweiz inklusive. Dank ihrer Präsenz auf 3sat gewinnen die Kulturangebote von SRF mehr Relevanz. Warum wollen die Politiker:innen in Deutschland und in der Schweiz 3sat trotzdem streichen? Abgesehen von der falschen Milchbüchleinrechnung und dem mangelnden Verständnis für die Inhalte gibt es dafür einen wichtigen Grund: weil sie damit rechnen, damit durchzukommen.
Es könnte jedoch sein, dass sie sich verrechnet haben.