Die Medienzukunft mit Hansi Voigt: 25 Jahre Ausverkauf
Der Werbevermarkter Goldbach Media und die SRG ergänzen sich in einträchtiger Symbiose. Ob das so bleibt?
Das deutsche Wort «Schmarotzer» stammt vom Mittelhochdeutschen «smorotzer» ab, was so viel wie Bettler heisst. Sehr viel präziser ist der Begriff «Parasit», der aus dem Altgriechischen stammt. Er wurde einst ausschliesslich für die Vorkoster bei Opferfesten verwendet, die ohne eigene Leistung zu einer Speisung kamen.
Im Schloss Sihlberg in der Stadt Zürich trafen sich vergangenen Donnerstag 700 Leute, um auf 25 Jahre Goldbach Media und auf die Schweizer Werbefenster von RTL, Pro Sieben und Sat 1 anzustossen. Es soll ein rauschendes Fest gewesen sein. Eingeladen waren, so der «Kleinreport», «vornehmlich Kunden, Publisher, Agenturen, Senderpartner sowie langjährige Partner und Freunde des Hauses». Von irgendwelchen Journalisten oder Fernsehmacherinnen stand nichts. Mit Inhalt hat Goldbach Media nichts zu tun, nur mit der Werbung dazwischen. Über die letzten 25 Jahre sind so mehrere Milliarden Franken an Werbeeinnahmen aus der Schweiz an die deutschen Privat-TV-Macher von «Tutti Frutti» oder der «Barbara Salesch Show» geflossen. Die Frage, ob das Geld in noch mehr «Sternstunden Philosophie» auf SRF geflossen wäre, bleibt allerdings strittig.
Die Schweiz hatte sich als erstes europäisches Land dem grenzüberschreitenden Fernsehen verschrieben. Dass heimische Werbegelder die Grenzen ebenfalls überschreiten könnten, daran hatte ausser dem Goldbach-Gründer Klaus Kappeler niemand gedacht. Als sich das neue EU-Recht 1992 abzeichnete, versuchte der damalige Schweizer Medienminister Adolf Ogi noch alles, um das offene Werbefenster wieder zu schliessen. Vergeblich.
Natalie Ricklis Lebensaufgabe
Mit der Werbevermarktung erzielt Goldbach Media heute einen jährlichen Umsatz von mehr als 400 Millionen Franken. Das hat sie nicht zuletzt dem unermüdlichen Lobbyeinsatz der SVP-Politikerin Natalie Rickli zu verdanken. Sie stand jahrelang auf der Goldbach-Lohnliste und hat sich die Verteidigung des Brüsseler Gesetzes quasi zur Lebensaufgabe gemacht. Heute kämpft sie gegen fremde EU-Richter, wenigstens vordergründig auf eigene Rechnung.
Der Werbezwischenhändler sieht sich selbst nicht als Schmarotzer. Und in der Tat: Wenn man die Inhaltsfrage einfach weglässt und den TV-Werbemarkt zum Selbstzweck erklärt, bekommt die Geschichte eine Wende ins Symbiotische. Der Goldbach-Gründer Klaus Kappeler meinte zur Gründungsphase letzte Woche in einem Interview: «Die SRG hatte zu dieser Zeit knapp vierzig Prozent Marktanteil. Sechzig Prozent der Zuschauer konnten damals also keine Schweizer Werbung sehen. Ich sagte mir: Ein Medium, das als Monopol nur vierzig Prozent der Bevölkerung erreicht, kann langfristig kommerziell nicht erfolgreich sein. Also kämpften wir für die Idee von Schweizer TV-Werbung.»
Die Herstellung von TV-Werbung ist teuer. Die Frage, ob für die kleine, vielsprachige Schweizer Bevölkerung in den SRG-Programmen überhaupt spezifische Spots hergestellt würden, ist berechtigt. Vor oder nach dem «Kassensturz» muss man ausserdem nicht mit durchschaubaren Werbeangeboten kommen. Da eignen sich die Pinkelpausen vor dem «Foto» bei Heidis Topmodels oder der Känguru-Hoden-Challenge im «Dschungelcamp» besser. Goldbach setzt in diesen Dumpfo-Breaks rund 200 Millionen Franken um. Aber auch die SRG hat das Werbevolumen in den letzten zwanzig Jahren auf diesen Betrag verdoppelt.
Tamedia übernimmt
Die Symbiose betont auch Michi Frank, der aktuelle Goldbach-CEO, anlässlich des Jubeltags: «Dank der Kombination aus öffentlich-rechtlichen und privaten Angeboten hat die Schweiz einen funktionierenden TV-Werbemarkt.» Frank steht damit zu seinem Wort vom Frühjahr 2018. In einer Studie zu den Auswirkungen eines SRG-Werbeverbots, durchgeführt vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom), spricht sich der Goldbach-CEO gegen ein solches Werbeverbot aus. Es würde dem TV-Werbemarkt insgesamt schaden und letztlich nur Facebook und Google nützen.
Genau das – ein in mehrere Ansätze verschachteltes SRG-TV-Werbeverbot – fordert langfristig allerdings Tamedia über den von ihr kontrollierten Verlegerverband. Tamedia ist die neue Eigentümerin von Goldbach Media und kann die Parasitenfrage selbst beantworten. Ein Symbiont geht niemals bis zum Exitus der Wirtspflanze.
Hansi Voigt (54) war stellvertretender Chefredaktor bei «Cash», arbeitete bei 20min.ch und gründete «Watson» mit.
Korrigenda: In einer früheren Version des Textes wurde der Vorname von Goldbach-Gründer Klaus Kappeler fälschlicherweise mit Beat angegeben.