Von oben herab: Das Rechte ist das Gaspedal
Stefan Gärtner über ein Pferd, das nicht schlafen muss
Gestern schreibt Onkel B. aus der Eifel, er freue sich auf unser Kommen, aber ein Wochenende später passe es ihm besser. Uns ist es gleich, denn wir kommen nicht mit der Bahn und haben also auch noch keine Fahrkarten, weil der Bahnhof des Eifelstädtchens P. seit langem nicht mehr bedient wird. Man kommt ohne Auto nicht hin, es sei denn nach einer Halbtagestour mit Busfahrt und dreimal Umsteigen, worauf wir mit den Kindern seit unserem autofrei bewältigten Italienurlaub, der mich drei Kilo Körperfett gekostet hat, keine Lust haben. Der Kombi steht vor der Tür, das Gepäck werfen wir in den Kofferraum, dann klemm ich mich mit freiwillig Tempo 100 auf die rechte Spur, und in zwei Stunden sind wir da.
In der Schweiz stimmen sie jetzt über den Autobahnausbau ab, und wäre ich Schweizer, ich stimmte selbstredend dagegen, weiss als Dialektiker aber, dass ich heute von den Autobahnen profitiere, gegen die ich gestern selbstredend gestimmt hätte. Ich vermeide das Auto, wo es nur geht, aber so ist die Welt, die deutsche zumal, nicht eingerichtet. Systeme haben es an sich, dass sie selbst die Bedingungen schaffen, unter denen sie funktionieren, und das gegenwärtige ist ein Autosystem. Da kann der «Monde diplomatique» in einem Artikel über den «Mythos Autobahn» noch so nachdrücklich auf deren faschistischer Genese bestehen: Der Individualverkehr, es steckt bereits im Wort, ist viel eher eine Funktion des freien Konsumkapitalismus, und das vermeintliche Systemversagen des realen Sozialismus bildete sich nirgends so kommunikabel ab wie in den jahrelangen Wartezeiten auf Kraftfahrzeuge von vorgestern.
Ein Stadtplaner hat zuletzt das Argument vorgebracht, die Autofahrt löse das anthropologische Dilemma, das die Entdeckung neuer Nahrungsgründe nur um den Preis hohen Energieverlusts erlaube, und auch wenn das postmoderner Gesellschaftsanalyse, wonach alles stets Erzählung ist, nicht gefallen muss, ist es evolutionär nur rational, mit dem Auto zum Bäcker zu fahren, also Kalorien zu sammeln, ohne dabei welche zu verbrauchen. Natürlich verdankt sich die automobile Welt staatlichem Willen und kapitalistischer Erzählung, aber dass es ein Pferd geben könnte, das nicht schlafen muss und fünfzig Pferde schnell ist, musste menschlichen Erfindergeist einfach beschäftigen.
Links ist ja immer das Leichte, das schwer zu machen ist, und was für die Ballungsräume gilt: dass ein leistungsfähiger öffentlicher Nahverkehr samt dichtem Radwegenetz das Auto überflüssig macht, wird in der Fläche auf absehbare Zeit nicht zu haben sein. Ich komme vom Land, da war der Führerschein so wichtig wie der Schulabschluss, und selbst wenn es in Deutschland, wie in der Schweiz, nun keine dominante Autoindustrie gäbe, wäre es den Schulfreunden, die sich in der Heimat ein Haus gebaut haben, nicht zu vermitteln, dass ein Bus sie genauso zuverlässig und jederzeit ins Nachbardorf oder in die nächste Stadt bringen könnte wie ihr Auto, schon darum nicht, weil es schlicht nicht stimmt und gar nicht stimmen kann.
Es ist möglich, dass es der Linken so schlecht geht, weil sie auf dem Überbau zankt, während sich am Besitzverhältnis nichts ändert. Mein Verdacht wäre, dass es doch damit zu tun hat, dass sie gegen den Naturanteil im Menschen anrennen muss: das Bequeme, die Gier, die Aggression; während das Rechte diese Triebe nur zu bedienen braucht. (Deshalb auch die linke Begeisterung für die Idee, der Mensch sei Text, der sich überschreiben lasse.) Es ist völlig wahr, dass jede weitere Asphaltierung der asphaltierten Welt ein Unglück ist; es ist genauso wahr, dass sich der Weg von hier zu Onkel B. ohne Auto nur verlängern kann. Ob es das zu akzeptieren gleich den Neuen Menschen braucht, weiss ich nicht; aber dass es den alten hart ankommt, macht sich das Alte jedenfalls zunutze.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
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