Theater: «Im Stücke get um Macht»

Spätestens als sich auch der Rest der Crew beim Applaus auf die Bühne stellt – insgesamt über dreissig Beteiligte –, wird klar, dass nicht geflunkert wurde. Angekündigt wurde «Leonce und Lena – Hora total!» als Experiment: Beim Theater Hora versuche man «etwas ganz Neues». Neu ist, dass diesmal alle Positionen mindestens doppelt besetzt sind – Regie, Dramaturgie, Bühne sind bei dieser Produktion im Dialog zwischen den Ensemblemitgliedern mit kognitiver Beeinträchtigung und ihren nichtbeeinträchtigten Kolleg:innen entstanden.
Einen Vorgeschmack gibt bereits die Stückbeschreibung: «Im Stücke get um Macht und sich selbst verlibt sich ein.» Auch die Bühnenfassung von Georg Büchners Lustspiel ist eigenwillig und könnte so nie von Chat GPT geschrieben werden, weil die KI ja versucht, «normal» zu klingen (Dramaturgie: Matthias Brücker und Yanna Rüger). Die Handlung orientiert sich zwar an der Geschichte von Leonce und Lena, doch immer wieder wird das Geschehen subversiv unterlaufen. Ganz im postdramatischen Sinne: Performance und Gesang statt schnödem Sprechtheater – bis schliesslich auch das Publikum zum Hochzeitstanz auf die Bühne geholt wird. Nach einer Stunde gewähren ein Kurzfilm und ein Nachgespräch Einblick in die Arbeitsprozesse (im Eingangsraum des Fabriktheaters gibt es dazu auch eine kleine Ausstellung).
Jemand hat mal gesagt, Kunst erinnere an die Möglichkeit von Freiheit. So gesehen ist dieser Abend ein Denkzettel. Das Experiment ist nämlich nicht nur ein weiterer Schritt in Sachen Teilhabe (ein vorgelebtes Miteinander). Die dialogischen Sparrings innerhalb der Positionen bieten zudem Anlass, Hierarchien und Formen klassischer Produktionsprozesse zu hinterfragen. Angesichts des regen Gegluckses und einiger Zwischenrufe von den Sitzen fühlt man sich auch im Publikum weniger auf seinen Platz verwiesen. Statt sich in die Branchenlogiken einzupassen, gibt sich das Theater Hora seine Regeln selbst. In Zeiten von Kürzungen und Produktionsdruck ein wichtiger Reminder.