Iranisches Theater: Vielleicht hat das Publikum ja auch etwas verpasst

Nr. 35 –

Das Zürcher Theaterspektakel widmete dem zeitgenössischen iranischen Theater einen Schwerpunkt. Doch vieles war für das Schweizer Publikum schwer zu erschliessen – nicht nur wegen sprachlicher Barrieren.

Die depressive Passivität als gesellschaftspolitische Parabel: «Iwanow» in der Inszenierung von Amir Reza Koohestani. Foto: Christian Altorfer

Man könnte fast neidisch werden. Während hierzulande der durchschnittliche Gast im Theater zu einer eher älteren, eher begüterten, eher intellektuellen Minderheit zählt, blüht im Iran eine Kulturszene, die breite Bevölkerungsschichten und vor allem auch ein junges Publikum erreicht. Die Theater, heisst es, seien manchmal so voll, dass die ZuschauerInnen teils auf die Bühne gesetzt würden, um Platz für alle zu schaffen. «Wir sollten dem Regime dankbar sein», witzelte der Teheraner Regisseur Amir Reza Koohestani beim Publikumsgespräch vergangene Woche am Zürcher Theaterspektakel. «Denn die Jungen gehen nicht zuletzt deshalb ins Theater, ins Kino und in Galerien, weil es keine andere Zerstreuung gibt – weil Discos verboten und Räume für private Partys kaum zu finden sind.»

Koohestani, der in diesen Tagen auch zwei Produktionen am Theaterfestival in Basel zeigt (bis 7. September 2014), gastierte in Zürich mit seiner Adaption von Anton Tschechows «Iwanow». Die Inszenierung war im November 2011, nach längeren Auseinandersetzungen mit der iranischen Zensurbehörde, in Teheran uraufgeführt worden. Fast drei Stunden dauert das Stück, in dem wenig passiert, aber sehr viel geredet wird. Bis zur Pause sitzt das Ensemble meist auf einem Sofa, danach vergrössert sich dieses zum Bett im Schlafgemach von Iwanows todkranker Frau. Koohestani hat die Dialoge auf Alltagspersisch geschrieben – für das Publikum in Teheran ein offensichtlicher und aufsehenerregender Gegenwartsbezug, da auf der Bühne in der Regel in Hochsprache inszeniert wird. Das war aber nicht die einzige Finesse, die dem Schweizer Publikum verborgen blieb. Weil man gezwungen war, die Übersetzung der Dialoge auf der Projektionswand im Bühnenhintergrund zu lesen und gleichzeitig zu erschliessen, wer denn nun gerade die Sätze gesprochen hatte, konnte man sich auch kaum auf das Mienenspiel der DarstellerInnen einlassen.

Stark verpixelte Bilder

Den Gesprächen in der Pause konnte man entnehmen, dass das Schweizer Publikum seine Aufmerksamkeit auf die erstaunlich selbstbestimmt agierenden Frauenfiguren richtete. Dass der politisch heikle Ansatz der Inszenierung für das iranische Publikum in der depressiven Passivität des Iwanow lag, erfuhren viele erst in der Publikumsdiskussion: Die Paralyse der Hauptfigur, die alles um sich herum geschehen lässt und dadurch ins Verderben stürzt, wurde in Teheran als Parabel auf den Zustand der iranischen Gesellschaft nach der in Agonie erstarrten Grünen Revolution (2009) verstanden. Dass sich das für ein hiesiges Publikum erst nachträglich erschloss, war für Amir Reza Koohestani jedoch kein schlechtes Zeichen, im Gegenteil: Wenn sein «Iwanow» im Westen auf die gleiche Resonanz stossen würde wie im Iran, dann hätte er etwas falsch gemacht, meinte der Regisseur im Gespräch. Sein Stück sei nie für eine Rezeption im Ausland konzipiert gewesen.

Ähnlich reagierte auch seine Landsfrau Azade Shahmiri, die am Theaterspektakel mit «Damascus» gastierte. Die 32-jährige Kulturjournalistin und Autorin wirkte fast schüchtern, wie sie im dunklen Fabriktheater anhand historischer Daten die Geschichte der syrischen Hauptstadt deklinierte, als ginge es bei ihrer «Lecture Performance» um eine wissenschaftliche Vorlesung für die Fakultät, an der sie tatsächlich studiert. Doch zwischen die stark verpixelten Bilder, die der Beamer hinter ihr an die Wand warf, streute sie die Geschichte eines syrischen Studenten, mit dem sie über Twitter Kontakt aufgenommen hatte und der plötzlich nicht mehr auf ihre Tweets und E-Mails antwortete. Weshalb, bleibt im Dunkeln.

Und dann ohne Übertitel

Auch hier erfährt man, wie sich der Schweizer Blick allzu rasch auf die gängigen Klischees verengt. Natürlich ist die Brisanz, die in beiden Aufführungen der Onlinekommunikation via SMS, E-Mail, Facebook und Twitter zukommt, in der arabischen Welt viel grösser als in der Schweiz, wo das Internet ohne Einschränkung und mindestens so sehr zum Zeitvertreib wie zur politischen Information genutzt wird. Wir unterschätzen aber leicht das stolze Bewusstsein für die eigene kulturgeschichtliche Bedeutung in der arabischen Welt, die Teheran und Damaskus genauso umfasst wie Kairo, Jerusalem, Tripolis oder Bagdad – eine Welt, die im Westen recht einäugig als Krisenregion wahrgenommen wird und in unseren Medien fast nur noch als Herd von Islamismus und Bürgerkriegen erscheint.

Hier setzt denn auch Shahmiris Bildkritik an, wenn sie in ihrer Performance die Unschärfe unserer eigenen Wahrnehmung vorführt: Sie kritisiert damit vor allem auch die Medien, die desto weniger zu erkennen scheinen, je näher sie vorgeblich hinschauen. Darum sind die Bilder zu ihrem Vortrag bis zur Unkenntlichkeit vergrössert – und erst in zweiter Linie thematisieren sie die Zerstörung und die Gefahren des Kriegs.

«Damascus» wurde in Teheran nur zweimal, am selben Tag, im vergangenen November gezeigt und seither erst jetzt wieder in Zürich. Die Schweizer seien ein hoch konzentriertes Publikum, freute sich Azade Shahmiri, die im Iran grössere Zurückhaltung gegenüber allen Theaterproduktionen zu verspüren meint. Es könnte aber sein, dass die angespannten Mienen im Fabriktheater mehr von einer verzweifelten Suche nach Verständnis zeugten. Das lag auch an ihrer Vortragsweise, an ihrem schnell gesprochenen, sehr leisen und von einem starken Akzent geprägten Englisch.

Erst recht ratlos musste das Schweizer Publikum bei der dritten Produktion aus dem Iran bleiben: Hamid Pourazaris «Sal Saniye» verpasste wegen der fehlenden Übersetzung die Chance, vollumfänglich verstanden zu werden. Wie die Festivalleitung mitteilt, erwies sich das Stück bei den Endproben in Zürich als weit textlastiger als erwartet. Zu diesem Zeitpunkt sei es nicht mehr möglich gewesen, eine Übertitelung zu realisieren.

So bleibt am Schluss dieses iranischen Schwerpunkts tatsächlich die Frage, wie viel solche Aufführungen an kultureller Vermittlung zu leisten vermögen. Und bei einem Grossteil des Publikums bleibt neben durchaus interessanten Theatererlebnissen das diffuse Gefühl, wahrscheinlich auch entscheidende Aussagen verpasst zu haben. Zumal das Wissen um die allgegenwärtigen Zensurbehörden die iranischen Theaterleute schon bei der Entwicklung ihrer Stücke beeinflusst. «Wir wissen ja, welche Grenzen man sicher nicht überschreiten darf», bestätigt Azade Shahmiri. Sie kann denn auch der gern zitierten Behauptung, dass die Zensur die Kreativität fördere, nur wenig abgewinnen.

Das Zürcher Theaterspektakel dauert bis 
31. August 2014. www.theaterspektakel.ch

Das Theaterfestival Basel dauert bis 7. September 2014. «Iwanow» von Amir Reza Koohestani ist am Samstag/Sonntag, 30./31. August 2014, zu sehen, sein zweites Stück, «Wo warst du am 8. Januar?», am Dienstag/Mittwoch, 2./3. September 2014. www.theaterfestival.ch