Leila: Kein Heimwehkind
Schon mit Anfang zwanzig als Ausnahmetalent im Schweizer Pop gehandelt: Leila Šurković macht Musik, die weit hinauswill – und die gerade live gespielt doch ganz nah klingt.

Leila Šurković macht seit langem wieder einmal Ferien. Freund:innen treffen, ausschlafen, die Wohnung verwüsten, sie wieder aufräumen, «Sachen halt, die man macht, wenn man endlich mal Zeit hat». So schön sei das, sagt sie, die ein Jahr lang ziemlich verzettelt auf Tour war, in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland, in Clubs, an Showcases und Festivals gespielt hat, dann wieder zurück nach Bern ins Studio ging und zwischen all dem Hin und Her ihre zweite EP aufgenommen hat: «Generation», im Oktober veröffentlicht, folgt auf «Burnout» (2023), zusammen ergibt das Leilas erste Platte: «Burnout Generation».
Während die Songs der ersten EP noch mit Stimme und Gitarre in Šurkovićs Schlafzimmer entstanden sind, um nachher im Studio neu zusammengesetzt zu werden, wurden jene auf «Generation» beinahe vollständig im Studio und zusammen mit verschiedenen Produzenten gebaut. Auch die aktuellen Aufnahmen sind sauber produzierte, zum Teil herausragende Popsongs mit melancholischer Schlagseite: viel Zweifel an der Welt von einer, die sich trotzdem gerne darin aufhält. Leilas ausdrucksstarke, aber nicht perfekte und gerade darum so präsente Stimme; Verliebtheitslieder, Trennungsschmerz, ein schönes Selbstbewusstsein auch, in der queeren Hymne «she calls me daddy» etwa, das Video dazu eine Hommage an Billie Eilishs «Lunch». Musik, die weit hinauswill.
Drei Sprachen am Küchentisch
«Das letzte Jahr war richtig schön und richtig stressig, ich habe alles geliebt. Aber es ging mir nicht immer gut in dieser Zeit.» Alles zusammen sei ihr eigentlich zu viel gewesen. Jetzt aber wirkt Šurković entspannt, an einem kalten, sonnigen Tag im November, sie trägt einen orange gefärbten Vokuhila, Baggypants, einen Haufen Glitzersteine auf den Zähnen. Trinkt Mate, raucht eine Selbstgedrehte nach der anderen. 23 Jahre alt ist Leila Šurković, aufgewachsen in Bern, als Riesenfan von Miley Cyrus, aber auch mit Justin Bieber, Rihanna, Adele, später Billie Eilish, die sie noch vor deren erstem Album einmal live in der Halle 662 in Zürich gesehen hat. «Ich war mega geflasht von Billie, weil sie so selbstverständlich baggy angezogen war, mal ganz farbig, dann wieder nur schwarz, so wie ich das immer gemacht habe, aber damit ein bisschen eine Aussenseiterin war. Endlich eine, die es checkt.»
Dazu kam früh die Plattensammlung ihrer Eltern. Ein musikalischer Haushalt, der Vater aus Bosnien, die Mutter aus der Schweiz, die beiden sprachen viel Englisch miteinander, am Küchentisch klangen manchmal drei Sprachen durcheinander. Der Unterstützung ihrer Eltern verdankt sie es im Moment auch, dass sie ihren Job als Grafikerin fast vollständig an den Nagel hängen konnte und sich ganz auf die Musik konzentrieren kann.
Seit einiger Zeit wird Šurković in Medien von Boulevard bis Feuilleton als Schweizer Ausnahmetalent gehandelt, als eine, die auch im Ausland gross rauskommen könnte. Sie selbst ist eher vorsichtig, zweifelt gern an sich. Gleichzeitig ist ihr die Zuversicht anzusehen; sowieso eine Riesenfreude darüber, was in den letzten zwei Jahren alles passiert ist. Was sie sich wünschen würde? Eine ganze Europatour spielen, eine klitzekleine USA-Tour, «huere schön» wäre das, ein Traum. Überall Leute, die sie kennen: «Dass meine Familie wächst, sozusagen.»
Zu dieser Familie gehörten früh auch Köpfe aus der Schweizer Musikszene, die von ihr überzeugt waren und sie förderten: Nemo Mettler etwa, heute Schweizer Gewinner:in des Eurovision Song Contest und mit ihr schon länger befreundet. Mit Mettler schrieb Šurković ihren zweiten Song, «Gun to My Head», ihren bis heute grössten Hit. Oder -Mike Egger von der Berner Band Jeans for Jesus, der sie mit 21 Jahren einlud, mit ihnen auf Tour zu gehen, oder Philippe Gertsch, ebenfalls von Jeans for Jesus, der ihre erste EP mitproduzierte. Oder der Produzent Levin Dennler, der auch mit Stereo Luchs, Manillio oder Lo & Leduc arbeitet, oder der Musiker und Produzent Cobee. Natürlich sagt das etwas darüber aus, wie vielversprechend Šurkovićs Fähigkeiten, insbesondere auch ihr Ausdruck auf der Bühne schon früh waren. Sie selbst sagt dazu bloss trocken: «Bern halt.»
Hinter ihr die Stadt
Klar habe sie damals sofort zugesagt, mit Jeans for Jesus aufzutreten, sagt sie, live spielen sei ihr das Allerliebste, eine richtige Tour mit einer Band sei eine Riesenchance gewesen. Damals, das war 2021, gab es einen einsamen Leila-Song auf Youtube und bei Šurković selbst noch gar keine grosse Vorstellung davon, wie sie dereinst als Solokünstlerin arbeiten wollte.
Kurz darauf erschien «Gun to My Head», dieser Song, der so eindringlich von der leeren Zeit und den brachliegenden Köpfen während Corona berichtet und der statt live im Club eben in Dauerschleife in Stuben und Schlafzimmern lief. Der Song, der Šurković beim Konzert mit Jeans for Jesus am Gurtenfestival 2022 zum gar nicht so heimlichen Star des Abends machte, wie sie da mit geschlossenen Augen auf einmal im Vordergrund der Bühne stand und das Publikum, das ja eigentlich für die Band hinter ihr gekommen war, jede Zeile mitsang. Wie locker sie ein Publikum für sich einnehmen kann, wie leichtfüssig sie das Kunststück vollbringt, dabei gleichzeitig sehr cool und sehr nahbar zu wirken, das wurde in diesem Moment eindrücklich spürbar.
Ebenso klar wurde auch, wie sehr diese Stadt hinter Leila Šurković steht. Sie sagt: «Wäre das nicht so, könnte ich gar keine Musik machen.» «Maybe I should leave», singt sie zwar in der gitarrenschweren Ballade «goodbyes», die «Generation» abschliesst; aber eigentlich scheint sie diese Frage gar nicht so sehr zu beschäftigen. Sie könne sich zwar gut vorstellen, hie und da mal woanders zu leben, mit einem halben Zimmer und einem gemieteten Lagerraum. «Ich war schon immer eher ein Fernweh- als ein Heimwehkind.» Trotzdem, Bern bleibe ihre Homebase. Auch darum sei es für sie so wichtig gewesen, im Dezember 2023 den Abschluss ihrer ersten Tour im ausverkauften Dachstock spielen zu können, vor 750 dicht Gedrängten – woran die Zweiflerin erst gar nicht glauben und deshalb die Show in einem kleineren Club spielen wollte. Sie wurde überredet, zum Glück, wie sie heute sagt. Trotz starker Erkältung und einer beinahe verlorenen Stimme stand sie am Schluss da, sang wild und laut, ohne sich zu schonen, vor einem euphorischen, verschwitzten Publikum, weinte irgendwann vor Glück.
Der stressigere Weg
Nach den ersten Erfolgen habe es einen Moment gegeben, in dem sie sich habe entscheiden können: es langsam anzugehen oder eben nicht, zuwarten oder sofort loslegen. «Ich habe mich für den stressigeren Weg entschieden», sagt Šurković, und es klingt nicht, als wäre es ihr schwergefallen – auch nicht, als hätte sie es seither bereut. Bald kam sie bei Herbert Grönemeyers Label Grönland Records unter Vertrag. Es folgte der Soloauftritt auf dem Gurten letzten Sommer, wo zwei Jahre zuvor zwar nicht alles begonnen hat, gefühlt aber doch irgendwie.
Das war das zweite Mal, dass Šurković auf der Bühne in Tränen ausbrach, auf der Waldbühne vor einem schier endlosen Publikumsmeer, und ja, das sei «mega schlimm» gewesen: «Vor allem dieses Gefühl während des Singens, jetzt gleich weinen zu müssen, es nicht zurückhalten zu können. Ich weine ja nicht so elegant mit nur einer Träne, die mir langsam aus dem Auge rollt. Eher so laut und schluchzend», sagt sie, berichtet von der Angst, beim Weinen blöd auszusehen, davon, wie ihr auf einmal erst bewusst wurde, wie viele Leute da eigentlich sind. Aber auch vom überwältigenden Gefühl, ins Publikum zu blicken und zu merken: Die heulen gerade auch.

Live: Fr, 15. November 2024, Rote Fabrik, Zürich, mit Ätna.