Klimatechnologie: Rettung oder Ablenkung?
In Island filtert die Schweizer Firma Climeworks CO₂ aus der Luft und lagert es im Boden ein. Das klingt vielversprechend – doch die dafür benötigten Energiemengen sind gigantisch.
Am Fuss eines ruhenden Vulkans, rund 35 Kilometer östlich von Islands Hauptstadt Reykjavík, steigt Maxim Willemse aus seinem Auto. Er zieht den Schutzhelm tief ins Gesicht, die grell leuchtende Jacke um sich, ein eisiger Wind pfeift. Unter seinen Stiefeln knirscht pechschwarzes Lavagestein. Willemse (38), ein freundlicher Mann mit blonden Haaren und Bart, bleibt vor einer rund sieben Meter hohen Metallkonstruktion stehen. Daran sind Paneele befestigt, die an die Lamellengitter einer Klimaanlage erinnern. «Das sind die Ventilatoren, die die Luft ansaugen.» Was sich hier in Zukunft entwickeln soll, könnte den Kampf gegen die Klimakrise verändern. Das glaubt zumindest Willemse.
Die Ventilatoren sind Teil einer Anlage namens Mammoth. Urzeitlich sieht dieses Mammut aber nicht aus, eher futuristisch, fast wie eine Raumstation. Willemse, ein Physiker, arbeitet für die Schweizer Firma Climeworks. Seine Aufgabe beschreibt er so: das Problem dorthin bringen, wo es herkam. Also CO₂ aus der Luft filtern und im Untergrund einlagern – wo der darin enthaltene Kohlenstoff als Hauptbestandteil von Öl und Gas gespeichert war. Direct Air Capture nennt sich die Technologie, kurz DAC. Mit Mammoth hat das Zürcher Unternehmen Climeworks im Mai den grössten Kohlendioxidsauger der Welt in Betrieb genommen. Der Weltklimarat sieht solche Technologien als entscheidend an, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Doch ist es wirklich möglich, die Klimakatastrophe mit technischen Mitteln aufzuhalten?
Energie im Überfluss
Willemse stapft um das Gebäude herum, vor dem die Ventilatoren stehen. Die Landschaft wirkt wie aus einem Reisekatalog: Vulkane, moosbedeckte Weiden und plätschernde Bäche. Eigentlich sei es ganz simpel, sagt der Niederländer und beginnt zu erklären: Die Mammoth-Anlage saugt Luft mithilfe von Ventilatoren in spezielle Module. Dort strömt die Luft über chemische Filter, die CO₂ binden. Anschliessend wird dieses mit Wasser vermischt. Das «Sprudelwasser» wird dann von der isländischen Partnerfirma Carbfix in etwa 700 Metern Tiefe ins Basaltgestein gepumpt. Innerhalb weniger Jahre verbindet es sich mit dem vulkanischen Basaltgestein zu Kalzit, einem festen Kalkstein. Im Innern der grossen Halle führt Willemse durch ein dichtes Netz aus Rohren, Leitungen und Generatoren. Es ist so laut, dass er brüllen muss. «Dort oben wird das Kohlendioxid zwischengespeichert.» Er zeigt auf einen riesigen Ballon, der unter der Decke schwebt. So wird ein gleichmässiger CO₂-Fluss sichergestellt, entscheidend für den Prozess.
Einen Beitrag leisten zur Rettung der Welt – nichts Geringeres hat sich Climeworks mit seinen Luftsaugern zum Ziel gesetzt (siehe WOZ Nr. 5/19). Seit der Firmengründung im Jahr 2009 ist die Belegschaft auf fast 500 Mitarbeitende angewachsen. 2021 nahm Climeworks seinen Prototyp Orca in Betrieb. Er steht nur ein paar Hundert Meter von der neuen Anlage Mammoth entfernt. Letztere soll das Zehnfache an CO₂ einfangen können. Der Plan ist, die Anlage noch in diesem Jahr auf Hochbetrieb laufen zu lassen.
Neben Island setzen auch andere Länder zunehmend auf CO₂-Abscheidung und -Speicherung (englisch abgekürzt CCS), so der Überbegriff für die verschiedenen Methoden. Norwegen lagert seit vielen Jahren Kohlendioxid in erschöpften Ölfeldern in der Nordsee ein. Die Niederlande und Grossbritannien verfolgen ähnliche Projekte. Island ist jedoch für die Industrie besonders attraktiv. Das liegt zunächst an der Technikaffinität seiner Bevölkerung. Trotz ihrer geringen Zahl – weniger als 400 000 Menschen – ist das Land bei der Digitalisierung weit vorne, verfügt über eine aktive Start-up-Szene.
Der zweite Standortvorteil hängt mit den geologischen Gegebenheiten der Insel zusammen. DAC benötigt enorm viel Wasser und Energie – beides ist hier reichlich vorhanden. Der Strom für die Mammoth-Anlage stammt vom Geothermiekraftwerk Hellisheiði, das nur rund einen Kilometer entfernt liegt. Island beherbergt einige der aktivsten Vulkane der Erde und ist bestens geeignet für die Produktion von Strom aus Geothermie. Es produziert pro Kopf die höchste Menge an erneuerbarer Energie, und Geothermie hat nur einen minimalen CO₂-Fussabdruck. «Das war für uns entscheidend», betont Willemse. Treibhausgase aus der Luft filtern, dabei kaum Emissionen verursachen – was könnte daran falsch sein?
Im Interesse der Ölindustrie
«Für mich ist das eine Ablenkung von den wahren Problemen», sagt Cody Skahan. Der US-Amerikaner (24), blond gefärbte Haare, Wollpulli, sitzt in einem Raum mit skandinavischen Möbeln und minzgrünen Wänden – ein Co-Working-Space im Zentrum Reykjavíks. Skahan ist Klimaaktivist und Anthropologe. Er forscht über die Wahrnehmung der Klimakrise und DAC. Vor einigen Wochen hat er die Mammoth-Anlage besucht. «Technik wie aus einem Science-Fiction-Film.» Auch er glaubt, dass die Methode sicher sei. Aber sie vermittle eine falsche Vorstellung: dass es möglich sei, die Erderwärmung zu verlangsamen, ohne mit der Verbrennung fossiler Energieträger aufzuhören. Ja, ein bisschen CO₂ sauge sie schon ab, setze aber eigentlich auf «business as usual».
Island präsentiert sich gern als nachhaltig, sozial und umweltbewusst. Tatsächlich gibt es viele Umweltschutzorganisationen, und das Land zahlt verhältnismässig viel in «Loss and Damage»-Fonds ein, die Opfer der Klimaerhitzung unterstützen sollen. Doch der selbsterklärte Klimaprimus liegt auch beim Pro-Kopf-Ausstoss von Treibhausgasen weit vorne. Fast alle Produkte müssen per Schiff oder Flugzeug importiert werden. Der Klimaaktivismus ist zahmer als im Rest Europas. «Es ist nicht praktisch, hier allzu radikal zu sein», meint Skahan. Das Land sei klein, man kenne sich, allzu laute Kritik komme nicht gut an. Auch sind die Wege zwischen Zivilgesellschaft und Politik kurz. Regelmässig gebe es Treffen mit dem Umweltminister, erzählt der Aktivist. «Wir müssen sie nicht unbedingt mit Gegenständen bewerfen, sie reden mit uns.» Doch viele Vorschläge würden einfach ignoriert. Und der Glaube, den Klimawandel mit Technologie aufhalten zu können, ziehe sich durch fast alle politischen Lager.
Ölunternehmen haben als Erste Methoden zur Abscheidung und Einlagerung von CO₂ erprobt. Die CCS-Branche bleibt denn auch bis heute eng mit der fossilen Industrie verflochten. Der US-Ölriese Occidental Petroleum (Oxy) baut derzeit in Texas eine DAC-Anlage mit einer zehnmal so hohen Kapazität wie Mammoth. Man wolle die Methode nutzen, um die Ölindustrie zu bewahren, so Oxy-CEO Vicki Hollub. Noch «sechzig, siebzig, achtzig Jahre» solle es weitergehen. Auch viele Kohlefirmen haben das Potenzial von CCS für sich entdeckt. Sind Anlagen wie Mammoth also wirklich bloss ein Vorwand, um die Verbrennung fossiler Brennstoffe fortzusetzen, wie Aktivist Skahan glaubt?
Maxim Willemse weicht der Frage aus, antwortet nur: Einige Mitarbeiter:innen von Climeworks hätten zuvor in der Öl- und Gasindustrie gearbeitet und brächten wertvolle technische Expertise mit. Nach seinem Wissen habe die Firma jedoch keine Investoren aus der fossilen Industrie.
Besonders attraktiv an der DAC-Methode ist, dass sie präzise Auskunft darüber gibt, wie viel Kohlenstoff tatsächlich der Atmosphäre entzogen wird. Und anders als bei neu gepflanzten Bäumen, die dereinst abgeholzt werden oder Bränden zum Opfer fallen könnten, bleibt der Kohlenstoff dauerhaft im Boden. Zwei überzeugende Verkaufsargumente, die offenbar grossen Anklang finden: Climeworks hat mächtige Partner wie Microsoft, J. P. Morgan und die UBS gewonnen, die ihren ökologischen Fussabdruck verkleinern wollen – oder, wie andere es formulieren würden, sich ein reineres Gewissen erkaufen.
Islands Boden besteht zu neunzig Prozent aus Basaltgestein. Man könnte hier problemlos ein Vielfaches der jährlichen weltweiten CO₂-Emissionen speichern. Zumindest theoretisch. Bislang verwandeln Climeworks und Carbfix jährlich weniger als 40 000 Tonnen CO₂ in Gestein – das entspricht etwa den Emissionen von 10 000 Benzinautos. «We are scaling up», sagt Willemse, «wir fahren hoch.» Die Firma plant, auch in anderen Regionen CO₂ aus der Luft zu saugen, mit Projekten in den USA, in Kenia und Kanada. Bis 2050 will Climeworks jährlich mehrere Millionen Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernen. Doch angesichts eines weltweiten Ausstosses von 37,5 Milliarden Tonnen pro Jahr bleibt dies vernachlässigbar. Willemse betont: «Wir werden den Klimawandel natürlich nicht allein aufhalten können.»
Konkurrenz um Strom
Das wohl grösste Problem der DAC-Technologie ist ihr enormer Energiebedarf: etwa 2500 Kilowattstunden Strom pro Tonne CO₂ – mehr, als ein typischer Schweizer Zweipersonenhaushalt in einem Jahr braucht. Damit keine neuen Emissionen entstehen, muss diese Energie vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen. Doch abgesehen von Island verfügt kaum ein Land im Überfluss darüber. Die Frage, woher die gigantischen Energiemengen kommen könnten, um relevante Mengen CO₂ abzuscheiden, bleibt ungelöst. Selbst bei einem weitreichenden Ausbau von Wind-, Solar- oder Geothermieanlagen könnte es schwierig sein, den Energiebedarf von DAC zu decken, ohne in Konkurrenz zu anderen dringenden Anwendungen wie der Elektrifizierung des Verkehrs zu treten.
Für Klimaaktivist Skahan sind Methoden wie die bei Mammoth verwendete Direct Air Capture ein Symbol dafür, dass etwas grundlegend falsch läuft. Man sei bereit, die Spitze der Emissionen mit sündhaft teuren Methoden abzusaugen, wolle aber viele klimaschädliche Aktivitäten nicht aufgeben. Island hält beispielsweise an einer Reihe von Aluminiumschmelzen fest. Und Schätzungen zufolge stammen bis zu zwei Drittel aller Treibhausgasemissionen in Island aus trockengelegten Feuchtgebieten, die in intaktem Zustand grosse Mengen Kohlenstoff speichern würden. Es gibt zahlreiche Renaturierungsprojekte, online kann man ganz einfach mit einem Mausklick für die Wiederherstellung dieser Gebiete Geld spenden. Der effektivste Weg, CO₂ zu reduzieren, ist jedoch ein anderer: Öl, Gas und Kohle erst gar nicht aus dem Boden zu holen.