Film: Wer ist hier hysterisch?

Nr. 2 –

Filmstill aus «Nosferatu»
«Nosferatu». Regie: Robert Eggers. USA 2024. Jetzt im Kino.

Als F. W. Murnau 1922 seine Adaption von Bram Stokers «Dracula» drehte (die er aus urheberrechtlichen Gründen «Nosferatu» nannte), waren die Nationalsozialisten zwar noch nicht an der Macht; aber schon damals liess sich die Stimmung in Deutschland nicht gerade als zuversichtlich bezeichnen. Die Frage, weshalb sich Robert Eggers («The Lighthouse»), einer der interessanteren zeitgenössischen US-Filmemacher mit einer Vorliebe für «okkulte» Themen, gerade jetzt an einer Neuverfilmung versucht hat, drängt sich zwar auf, beantwortet sich aber beinahe von selbst.

Es bedarf keiner besonderen Vorliebe für düstere Atmosphären, um anzuerkennen, dass Eggers’ «Nosferatu» mit seinen 35-Millimeter-Chiaroscuro-Bildern voller Schatten und Nebel, scheinbar einzig von spärlichem Mond- oder Kerzenlicht beleuchtet, aussergewöhnlich schön geraten ist. Von Wolfsgeheul erfüllte Burgruinen, enge Gelehrtenstuben, in denen der Pfeifenrauch an unzähligen Büchern entlangstreicht, sowie nebeldurchzogene Hafenstrassen, auf denen alsbald Heerscharen von Ratten das Böse ins malerische Hafenstädtchen Wisborg tragen: All dies dürfte nicht nur Liebhaber:innen der deutschen Romantik einen wohligen Schauer über den Rücken jagen.

Eggers jedoch, der auch das Drehbuch schrieb, hat mehr im Sinn, als «bloss» Murnaus stummes Meisterwerk zu modernisieren – etwas, das 1979 bereits Werner Herzog zusammen mit Klaus Kinski überzeugend vollbracht hat. Nein, Eggers traut sich tatsächlich, die Figur des Vampirs zu einer Metapher für unerfülltes, «hysterisches» weibliches Begehren zu machen, das sich in der Gestalt Nosferatus manifestiert, um so Ungemach über eine eindeutig überforderte Männerwelt zu bringen. Darüber, ob dies funktioniert oder auch nur angebracht ist, lässt sich im Mindesten hervorragend streiten – wie auch über das überraschend «männliche» Erscheinungsbild des Vampirs. Dass dieser neue «Nosferatu» aber perfekt in unsere Gegenwart passt, darüber sollten sich eigentlich alle einig sein.