Feuer in Los Angeles: Leben auf dem Pulverfass

Nr. 3 –

Das Inferno in Kalifornien ist das Produkt einer fehlgeleiteten Politik – und der Gier der Immobilienbranche.

Luftaufnahme von zerstörten Siedlungen in Pacific Palisades
Zerstörte Siedlungen in Pacific Palisades: Dass es ausgerechnet in den wohlhabenderen Quartieren gebrannt hat, ist kein Zufall. Foto: Mario Tama, Getty

Als ich im Sommer 2013 nach Los Angeles zog, glaubten die Menschen dort noch an so etwas wie eine «fire season», also an eine Waldbrandsaison. Es gehörte zum kollektiven Wissen: Die Gefahr von Waldbränden stieg im Mai an, erreichte ihren Höhepunkt in den heissesten und trockensten Monaten Juli und August, manchmal gab es ein paar lange, wilde Feuer im September und Oktober, aber dann konnten sich die «Angelinos» auf sechs rauchfreie Monate freuen.

Die Waldbrände in L. A. halten sich offensichtlich nicht mehr an diesen Zeitplan. Anfang vergangener Woche kamen zum ersten Mal seit Messbeginn bereits im Januar die perfekten Bedingungen für einen Flächenbrand zusammen: Winde mit einer Geschwindigkeit von rund fünfzig Kilometern pro Stunde, Luftfeuchtigkeit unter zehn Prozent, Trockenheit und Temperaturen über zwanzig Grad Celsius. In den vegetationsreichsten Regionen des Los Angeles County wüteten denn auch bald sieben grosse Feuer. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom spricht mit Blick auf die Kosten von der schlimmsten Naturkatastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Warnungen in den Wind geschlagen

Das Palisades Fire in den Bergen von Santa Monica, das erste und bei weitem zerstörerischste Feuer, verwüstete zwei der zwanzig wohlhabendsten Viertel der USA, was einige Leute zu der hämischen Feststellung veranlasste, der Klimawandel treffe nun auch die Reichen. Abgesehen von Altadena, einem historisch Schwarzen Viertel der Mittelschicht, stimmt es zwar, dass die Brände überproportional in den grünen, also reichen Teilen von Los Angeles ausgebrochen sind.

Trotzdem wäre es naiv, die Ereignisse als eine Art Umverteilung der Klimakatastrophe zu betrachten. Nein, die Waldbrände von L. A. sind eine klassisch amerikanische Katastrophe: Während die Superreichen mit ihrem Einfluss auf die lokale und staatliche Politik die Bedingungen für die Brände überhaupt erst geschaffen haben, werden die ärmsten Bewohner:innen die Hauptlast tragen.

Zunächst sind nicht alle wohlhabend, die in Pacific Palisades und Malibu wohnen – und gemeint sind damit nicht nur die Hausangestellten, die in kleinen Häuschen neben den Villen ihrer Chef:innen leben. Viele Familien siedelten sich dort vor Jahrzehnten an, lange bevor zahlreiche Luxusvillen gebaut wurden und die Gegend unbezahlbar wurde. Für diese Familien ist ihr Haus oft das einzige Vermögen. Doch Versicherungen haben die Beiträge so stark erhöht, dass diese Menschen sich den vollen Schutz nicht mehr leisten können. Manche Häuser haben die Konzerne mit zum Teil spitzfindigen Verweisen auf Baumängel schon gar nicht erst versichert.

Laut der «Los Angeles Times» werden sich viele der vom Feuer Betroffenen weder einen Neubau noch umfassende Reparaturen leisten können und gezwungen sein, ihre Immobilien unter Marktwert an die gleichen Firmen zu verkaufen, die den Weg für diese Katastrophe geebnet haben.

Aktivisten, Umweltexpertinnen und auch lokale Politiker:innen warnen seit Jahrzehnten, dass die Bebauung genau jener Gebiete, die jetzt in Flammen stehen, nicht nur die neuen Haushalte in Gefahr bringe, sondern auch das Risiko für bestehende Strukturen erhöhe. Statt auf diese Warnungen zu hören, hat die Immobilienbranche zig Millionen für Lobbyarbeit ausgegeben, um Gesetzesentwürfe zu vereiteln, die die Bebauung dieser Gebiete einschränken und Sicherheitsstandards einführen sollten. Luxusbauten wurden immer tiefer in die gefährdeten Zonen hineingesetzt – als würde man Benzin ausschütten und gleichzeitig eine Zündschnur legen.

Schönheit und Katastrophe

Die Zerstörung ist gewaltig. Mindestens 25 Menschen haben ihr Leben verloren, Zehntausende mussten fliehen, mehr als 12 000 Gebäude sind niedergebrannt. Doch auch am Ende dieser Katastrophe wird es Profiteur:innen geben. Für Immobilienentwickler:innen ist es eine Gelegenheit, in anderen Teilen der Stadt die Preise zu erhöhen, wie der Fernsehsender «NBC News» berichtet: Die Wohlhabenden, die die niedergebrannten Siedlungen verlassen, werden schliesslich neuen Wohnraum brauchen, wenn sie in L. A. bleiben wollen.

Die weniger gut Betuchten hingegen müssen in einigen Fällen wohl nicht nur Malibu und Altadena, sondern gleich ganz die Stadt verlassen. Der Begriff der Stunde lautet «Klimagentrifizierung». Ein Beispiel dafür zeigt sich bereits in Miami, wo die Reichen die Küste verlassen und sich zunehmend im einige Meter höher gelegenen Viertel Little Haiti niederlassen. Dadurch werden Teile der ursprünglichen Bevölkerung verdrängt und viele in die Wohnungslosigkeit getrieben. Genau dieser Prozess wird sich nun auch in Los Angeles intensivieren. Die Zahl der Obdachlosen ist in den letzten Jahrzehnten auf 75 000 gestiegen. Seit vergangener Woche sind es noch einmal deutlich mehr.

Bei grossen Bränden färbt sich der viel gerühmte Himmel von L. A. blutorange. Der Kontrast zwischen Schönheit und Katastrophe ist eines der verstörenden Merkmale der Stadt: Links am Wegesrand eine perfekt angeordnete Palmenreihe, rechts Sträucher mit exotischen Blüten, am Horizont sanft geschwungene Hügel, die mit funkelnden architektonischen Eitelkeitsprojekten übersät sind – und dann tritt man beinahe auf einen bewusstlosen Mann, der auf dem Trottoir liegt. Das Leben in L. A. ist eine ständige ethische Herausforderung.

Die Metropole ist ein Pulverfass – ein Bild, das der marxistische Autor Mike Davis in seinen Büchern «Ökologie der Angst», «City of Quartz» und «Set the Night on Fire» brutal und trotzdem liebevoll entfaltet: kapitalistisch zerrüttet, immer kurz vorm Bürgerkrieg. Und damit dieses Pulverfass nicht hochgeht, ist offenbar ein gigantisches Polizeiaufgebot nötig. Erst 2024 hat die demokratische Bürgermeisterin Karen Bass den Polizeihaushalt um 126 Millionen Dollar aufgestockt und das Budget der Feuerwehr um 17,6 Millionen Dollar gekürzt.

Wie so oft, wenn in den USA grosse Feuer wüten, wurden auch in der vergangenen Woche Gefängnisinsassen zu Hilfe geholt. Rund tausend Inhaftierte riskierten für 5,50 Dollar die Stunde ihr Leben. Die überlasteten Berufsfeuerwehrleute von L. A. arbeiten in 24-Stunden-Schichten und haben mit dem der veralteten Infrastruktur geschuldeten geringen Wasserdruck zu kämpfen. Einige Unternehmer:innen bestellten derweil private Feuerwehrkräfte aus anderen Bundesstaaten nach L. A., um ihre Grundstücke zu schützen.

Obdachlose als Sündenböcke

Während Ermittler:innen noch die Brandursachen untersuchen, glauben manche bereits zu wissen, was genau passiert ist. In alter Los-Angeles-Tradition breitet sich eine Stimmung der Selbstjustiz aus – die vor allem Menschen auf der Strasse trifft. Seit dem Ausbruch der Brände haben wiederholt Anwohner:innen die Polizei gerufen, um vermeintlich auffällige Obdachlose zu melden. Bereits im November 2020, als in Malibu ein Feuer wütete, hatten Internetgerüchte dazu geführt, dass Anwohner:innen Jagd auf einen in der Nachbarschaft bekannten Obdachlosen machten. Das Hirngespinst, ein einzelner Drogensüchtiger lege Grossbrände, scheint für manche Gemüter verlockender, als sich mit den Widersprüchen des Lebens in Los Angeles auseinanderzusetzen.

Es ist geradezu ironisch, dass diese schwerfällige Megacity einst als «Stadt der Zukunft» galt. Heute ist L. A. – obwohl immer noch schön, poetisch und auf ihre Art charmant – bestenfalls ein Modell negativer Perfektion. Was das Leben hier einst angenehm machte, macht es nun radikal unaushaltbar.

Die Brände sind nur ein Spiegelbild der vielen Probleme. Für viele Bewohner:innen – darunter Obdachlose, ältere oder kranke Menschen mit geringem Einkommen sowie im Freien arbeitende Menschen – ist die Stadt bereits über weite Teile des Jahres hinweg kaum noch sicher: In Los Angeles gibt es mittlerweile mehr Hitzetote als Morde. Und die Zahl der tödlichen Hitzetage wird sich in den nächsten dreissig Jahren voraussichtlich verdoppeln. So gesehen könnte sich L. A. tatsächlich als Metropole der Zukunft erweisen – ein Musterbeispiel dafür, wie unnachhaltig unsere Lebensweise ist, und ein Probelauf dafür, wie eine reiche Stadt einen grossen Teil ihrer Bevölkerung den Folgen der Klimakatastrophe ausliefert.

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Lukas Hermsmeier