Krieg im Ostkongo: Unter der Herrschaft der Rebellen
Während in den Strassen noch immer Leichen geborgen werden, kehren die Vertriebenen allmählich wieder nach Goma zurück – und mit ihnen der Alltag. Andernorts droht die Eskalation.
So langsam kehrt etwas Normalität zurück nach Goma. Knapp eine Woche nachdem die Rebellen der M23 (Bewegung 23. März) die Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Nordkivu eingenommen haben, gibt es wieder Strom, fliessendes Wasser und Internet; die Menschen können ihre Handys aufladen und mit der Aussenwelt kommunizieren.
Offen zu sprechen, das getrauen sich in der Handelsmetropole allerdings die wenigsten. «Wir wissen nicht, was in Zukunft geschieht und wie die Rebellen darauf reagieren, wenn wir die Wahrheit sagen», erklärt ein Menschenrechtsanwalt, der anonym bleiben will, am Telefon. Nicht nur wegen der M23 müsse man sich in der Stadt derzeit sehr vorsichtig äussern, sondern auch mit Blick auf ein etwaiges Ende von deren Herrschaft. «Die Regierung kann uns künftig beschuldigen, mit den Rebellen zu sympathisieren», so der Anwalt.
Propaganda mit Schaufel
Die Menschen in Goma sprechen aus Erfahrung. Bereits 2012 hielten M23-Kämpfer die Stadt zehn Tage lang besetzt – und zwangen die Regierung in der 1600 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa so an den Verhandlungstisch. 2013 wurde ein Friedensabkommen geschlossen, das aber nie umgesetzt wurde. Seit 2021 kämpft die M23 erneut und hat sukzessive einen grossen Landstrich entlang der Grenzen zu Ruanda und Uganda eingenommen. Fast ein Jahr lang war Goma eingekesselt.
«Auf den Märkten und in den Läden werden nun wieder lokale Lebensmittel verkauft», erzählt am Telefon ein kongolesischer Journalist aus Goma, der ebenfalls aus Angst vor Repression seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Am Wochenende hat die M23 den Überlandverkehr zwischen der Stadt und einigen umliegenden Dörfern wieder geöffnet. «Jetzt können Bauern wieder ihre Ernte nach Goma transportieren», sagt der Journalist, der selbst aus einem nahe gelegenen Dorf stammt. Zuvor, als die Rebellen die Zufahrtsstrassen belagert hatten, mussten Lebensmittel für teures Geld von weit her eingeflogen werden.
Um die Spuren des Krieges zu beseitigen, hat die M23 Gomas Einwohner:innen am Wochenende zu einer gross angelegten Aufräumaktion aufgefordert. Mit Müllwagen und Schubkarren rückten die Rebellen an, um das Chaos beiseitezuschaffen, das bei den Gefechten entstanden war. Anführer Corneille Nangaa, Vorsitzender des Rebellenbündnisses AFC (Alliance Fleuve du Congo), dessen wichtigste Kraft die M23 ist, nahm selbst Schaufel und Müllsack in die Hand, um die Strasse zu kehren. In Flecktarnuniform, mit Helm und schusssicherer Weste marschierte er die Hauptstrasse entlang und winkte den Menschen zu. Die M23 hat eigens einen Kameramann angeheuert, um ihre Propagandavideos prominent auf Social Media zu verbreiten.
Das Rote Kreuz hat indes damit begonnen, die noch immer in der Stadt liegen gebliebenen Leichen einzusammeln. Gemäss Uno-Angaben wurden bei den Kämpfen um Goma mehr als 900 Menschen getötet, 2900 weitere verletzt. Fotos lokaler Journalist:innen zeigen: Nach wie vor liegen in den Büschen am Stadtrand Todesopfer, die noch nicht gezählt worden sind. Die Leichenhallen in Goma sind übervoll.
Verwirrend und alarmierend
Die zahlreichen Vertriebenenlager am Stadtrand sind hingegen wie leer gefegt. Zurückgeblieben ist nur der Abfall, den Hunderttausende zwischenzeitlich Vertriebene in den vergangenen Monaten dort hinterlassen haben. Letzten Freitag hat die M23 den Menschen, die zuvor vor den Kämpfen Schutz gesucht hatten, befohlen, nach Hause zurückzukehren. In langen Kolonnen, bepackt mit Bündeln voller Habseligkeiten, marschierten sie zurück in ihre von der M23 kontrollierten Dörfer, um ihre Äcker wieder zu bestellen.
Wie das Leben weitergehen wird, bleibt für die meisten ein Rätsel. Die militärische Lage ist nach wie vor verwirrend – und alarmierend. Die von Tutsi-Offizieren geführten M23-Rebellen, die gemäss Uno-Ermittlungen von Ruanda mit Soldaten und hochmoderner Ausrüstung unterstützt werden, befinden sich weiter auf dem Vormarsch. Gerade dringen sie in die benachbarte Provinz Südkivu vor – in Richtung der dortigen Provinzhauptstadt Bukavu.
Dreissig Kilometer westlich von Bukavu, unweit des Flughafens Kavumu, den die kongolesische Armee zum Einfliegen von Waffen und Munition nutzt, lieferten sich die Rebellen zu Beginn der Woche Gefechte mit der kongolesischen Armee und burundischen Truppen. Und der Präsident des Kongo, Félix Tshisekedi, hat seinen Landsleuten letzte Woche in einer Rede versichert, es würden Vorbereitungen getroffen, um «jeden Zentimeter unseres Staatsgebiets zurückzuerobern».
Symbolisches Zeichen
Befreundete Staaten wie Südafrika, Burundi, Tansania und Malawi haben im Rahmen der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) weitere militärische Hilfe zugesagt. Bereits seit vergangenem Jahr sind 3000 südafrikanische, malawische und tansanische Soldaten im Ostkongo stationiert. Ihr ursprüngliches Mandat lautete, Goma zu verteidigen; beim Einmarsch der M23-Rebellen ging ihnen laut Angaben von Südafrikas Verteidigungsministerium jedoch die Munition aus. Dreizehn Südafrikaner und zwei Tansanier starben bei Gefechten, so die Angaben der jeweiligen Regierungen. In einer Krisensitzung zu Beginn der Woche kündigte die SADC an, den Kongo weiter militärisch zu unterstützen. Gegenüber der WOZ lassen M23-Offiziere verlauten, ihr Ziel sei es, diesen Truppen die Nachschubwege abzuschneiden – insbesondere über den Flughafen Kavumu.
Bereits zu Beginn der Woche flohen Tausende Einwohner:innen von Bukavu aus Angst vor einem Vorrücken der M23 in Richtung der Grenze zu Burundi. Währenddessen hat die Uno-Blauhelmmission Monusco laut eigenen Angaben ihr Personal von dort abgezogen. Auch in Kinshasa haben Uno und US-Botschaft ihre Mitarbeiter:innen angewiesen, das Land zu verlassen. Internationale NGOs folgen dem Beispiel. Denn in der Millionenmetropole ganz im Westen des Landes werden weitere Ausschreitungen befürchtet. Schon vergangene Woche haben in Kinshasa wütende Mobs zahlreiche Botschaften geplündert und in Brand gesetzt, neben der ruandischen auch die belgische und die französische. Die Protestierenden werfen westlichen Regierungen Komplizenschaft mit Ruanda und der M23 vor.
Gleichzeitig wird noch immer nach diplomatischen Lösungen gesucht. Die Staatschefs der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) und der SADC haben für kommenden Freitag ein Gipfeltreffen in Tansania anberaumt: Dort sollen der kongolesische Präsident Tshisekedi und sein ruandischer Amtskollege Paul Kagame an einem Tisch zusammenkommen. Die Nachbarländer pochen auf eine politische Übereinkunft, bevor der Krieg weiter eskaliert.
Als symbolisches Zeichen haben die M23-Rebellen im Vorfeld des Gipfels einen Waffenstillstand ausgerufen – aus «humanitären Gründen», wie sie in einer Erklärung verlauten liessen. Ausdrücklich betonte M23-Sprecher Lawrence Kanyuka, es gebe «keinerlei Intention», Bukavu oder «andere Lokalitäten» unter Kontrolle zu bringen. «Wir können nur hoffen, dass sie dies auch ernst meinen», sagt dazu der Menschenrechtsanwalt in Goma.