Konflikt im Ostkongo: Goma fällt erneut
Seit Monaten spitzt sich der Konflikt zu, und doch waren Kongos Armee und deren internationale Verbündete auf den Angriff der M23-Miliz auf Goma kaum vorbereitet. Eine regionale Eskalation ist nicht ausgeschlossen.

Als die Rebellen der M23 (Bewegung 23. März) in der Nacht auf letzten Montag die Herrschaft über Goma übernahmen, war es in der ostkongolesischen Millionenstadt stockfinster. Seit fast einer Woche gab es keinen Strom und kein fliessendes Wasser mehr, weil die Überlandleitungen bei Gefechten zerstört worden waren.
Um drei Uhr morgens lief das Ultimatum ab, das die M23 der kongolesischen Armee gestellt hatte. Kurz vor Ablauf der Frist flohen Armeegeneräle zum Ufer des Kivusees, wo sie Boote bestiegen und sich aus dem Staub machten. Tausende in Goma verbliebene Soldaten begaben sich zur Uno-Basis unweit des Hafens und händigten den Blauhelmen der Monusco-Mission ihre Waffen aus.
Blamage und Desaster
Im Morgengrauen marschierten dann die M23-Rebellen in Goma ein. In langen Kolonnen, das Marschgepäck geschultert, zogen sie am internationalen Flughafen vorbei in Richtung Stadtzentrum. «Die Befreiung Gomas wurde erfolgreich ausgeführt – die Lage ist unter Kontrolle», verkündete die Miliz. «Wir mahnen alle Einwohner Gomas, Ruhe zu bewahren.» Die wichtigste Stadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist damit wieder in Rebellenhand. Bereits 2012 hatten dieselben M23-Offiziere die Grossstadt an der Grenze zu Ruanda erobert und zehn Tage lang besetzt und damit Kongos Regierung an den Verhandlungstisch gezwungen. Eine Taktik, die auch jetzt wieder aufgehen könnte.
Im Dezember waren die Friedensverhandlungen zwischen der Demokratischen Republik Kongo und dem benachbarten Ruanda, das die Rebellenarmee unterstützt, geplatzt. Ruandas Präsident Paul Kagame hatte die Unterzeichnung eines Abkommens verweigert, weil Kongos Regierung von Präsident Félix Tshisekedi sich ihrerseits geweigert hatte, mit den M23-Rebellen direkt zu verhandeln. Danach setzten diese zum Angriff auf Goma an. Laut Uno-Ermittlungen beliefert Ruanda die M23 mit Waffen und hat über 3000 Soldaten ins Konfliktgebiet entsandt. So gelang es der Miliz, einen grossen Landstrich entlang der Grenze zu erobern und Goma einzukesseln.
Die Einnahme der wichtigen Handelsmetropole, wo internationale Hilfswerke ihre Büros und die Uno-Mission ihr Hauptquartier haben, ist für Kongos Regierung eine Blamage. Die Regionalorganisation SADC (Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft), deren Mitglied Kongo ist, hat rund 3000 Soldaten aus Südafrika, Tansania und Malawi in Goma stationiert, um die Stadt zu verteidigen. Als die M23 am Sonntag den Luftraum über der Stadt schloss, wurden die SADC-Truppen vom Nachschub abgeschnitten. Bereits am Nachmittag ging ihnen die Munition aus. Dreizehn Südafrikaner starben während der Kämpfe um Goma; als «Desaster» bezeichnete Chris Hattingh, verteidigungspolitischer Sprecher der liberalen Democratic Alliance (DA) in Südafrika, die Militäroperation. Südafrikas Parlament kündigte eine Untersuchung an.
Nur langsam wagen sich derweil die Einwohner:innen Gomas nach der Eroberung aus ihren Häusern. Die Unsicherheit ist gross. «Wir wissen nicht, ob es sicher ist, das Haus zu verlassen, wir haben Angst, ausgeraubt zu werden», berichtet ein Einwohner Gomas, der namentlich nicht genannt werden will, per Telefon. «Doch wir haben keine Wahl, wir haben kein fliessendes Wasser und müssen nun zum Seeufer gehen, um Wasser zu holen.»
Kleinkriminelle und Mitglieder der zahlreichen Milizen, die zuletzt Seite an Seite mit Kongos Armee gekämpft hatten, fingen an, Geschäfte zu plündern. Handyvideos zeigen, wie Menschen die Lebensmittellager der Armee am Flughafen leer räumen. Die Tore des Zentralgefängnisses wurden geöffnet und Tausende verurteilte Insassen befreit. Auch am Tag nach der Eroberung waren noch Schusswechsel zu hören, berichten Einwohner:innen aus Goma. Die Armee gibt an, versprengte Einheiten hätten sich am Flughafen verschanzt, um ein Waffendepot vor dem Zugriff der Rebellen zu schützen. Letztlich erfolglos.
Das Risiko einer regionalen Ausweitung des Konflikts ist gross. Vom nahe gelegenen Vulkan Nyiragongo aus schossen kongolesische Soldaten auf ruandisches Staatsgebiet, bevor sie von der M23 gestellt wurden. Ruandas Armee bestätigt, dass die Grenzstadt Gisenyi unter Beschuss geraten sei. Fünf Menschen sollen dabei getötet und 25 verletzt worden sein.
Wut in Kinshasa
In der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa, fast 1600 Kilometer westlich von Goma, kam es zu Strassenschlachten. Ein Mob zündete auf den Hauptverkehrsachsen Autoreifen an. Geschäfte wurden geplündert, Scheiben eingeschlagen, und vor der ruandischen Botschaft verbrannten Demonstrierende zuerst ruandische Flaggen, dann setzten sie das Gebäude in Brand. Auch vor der französischen Botschaft gab es Randale; westliche Regierungen werden schon seit langem beschuldigt, nicht genügend Druck auf Ruanda ausgeübt zu haben. Die Polizei rückte gegen die Protestierenden aus – auch in der Hauptstadt fielen Schüsse.
International herrscht höchste Alarmbereitschaft: Uno-Generalsekretär António Guterres verurteilte den M23-Vormarsch «aufs Schärfste» und forderte Ruanda zum Rückzug auf. Derweil rücken die Rebellen auf Bukavu vor, die nächste Provinzhauptstadt.