Licht im Tunnel: Neues aus dem Chindsgi

Nr. 7 –

Michelle Steinbeck über Häsli i de Gruebe

Während wir alle wie Kaninchen über den grossen Teich zur Schlange starren, geschieht im Dolce-Vita-Nachbarland Folgendes: Ein mutmasslicher libyscher Folterer und Kriegsverbrecher wird verhaftet – und kurz darauf klammheimlich freigelassen und per Staatsflug nach Hause eskortiert. Die italienische Komikerin Luciana Littizzetto kommentiert lakonisch: «Ich hätte ihn wenigstens nach Albanien ins Lager geschickt, wo wir schon das ganze Geld dort ausgegeben haben.»

Gegen Premier Giorgia Meloni und zwei ihrer Minister wurde deshalb Ende Januar beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Klage eingereicht. Die Initiative wurde angestossen von Lam Magok Biel Ruei, einem aus dem Südsudan nach Italien Geflüchteten, der in Libyen Opfer und Zeuge von der Folterung durch jenen General Osama Almasri geworden war: «Die italienische Regierung hat mich ein zweites Mal zum Opfer gemacht, indem sie die Möglichkeit vereitelt hat, Gerechtigkeit für all die Menschen zu erlangen, die wie ich seine Gewalttaten überlebt haben, für die, die er getötet hat, und für die, die zukünftig unter Folter und Missbrauch durch ihn oder unter seinem Kommando leiden werden.»

Meloni reagierte, indem sie per Videobotschaft eine Verschwörung an die Wand malte. Seither schweigt sie und taucht auch im Parlament nicht mehr auf. Ihr Stellvertreter, Aussenminister Antonio Tajani, zeigt den aus dem Kindergarten bekannten «Spiegel», ein primitives rhetorisches Ablenkungsmanöver zur Umdrehung der offensichtlichen Fakten: «Vielleicht sollte stattdessen eine Untersuchung gegen den Internationalen Gerichtshof eingeleitet werden.» Why not, dachte sich der Gemeingefährliche im Weissen Haus und ordnete (aus anderen Gründen) Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof an. Dagegen protestierten 79 Staaten und sicherten dem Gericht ihre Unterstützung zu. Nicht auf der Liste ist neben Israel und Russland auch Italien.

«Wo ist Meloni?», fragt derweil die Opposition im Parlament und gibt die Antwort inklusive Wortspiel gleich selbst: Aus «Presidente del consiglio» wird «coniglio» – die «Präsidentin der Hasen» verstecke sich in der Grube. Es wäre ja zu hoffen, dass der Fall Almasri die Ministerpräsidentin und ihre rechtsextreme Partei in die Versenkung führt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Häsin Giorgia mit ihrer traditionell italienischen «Me ne frega»-Scheiss-drauf-Attitüde die Auszeit voll geniesst. Etwa indem sie mit ihrem geliebten Muskegern-Imperator in einem Cybertruck durch die toskanischen Wälder brettert, den Echsenfreund bei der Suche nach einem römischen Bunker berät und abgesehen von ein paar Panzerpannen die Zeit ihres Lebens hat.

Immerhin geht es dem italienischen Staatsrundfunk noch besser als dem unsrigen. Während die SRF-Führung Kultur- und Wissenschaftssendungen nonchalant streicht, müssen sich die Rechten in Italien noch anstrengen. Die Fratelli d’Italia verklagen das Rai-3-Investigativformat «Report» und dessen Moderator für seine Aussage: «In den letzten fünf Jahren haben sich fast alle Politiker, die im Zusammenhang mit der Mafia verhaftet wurden, als Mitglieder der Partei von Giorgia Meloni erwiesen.» Die Fratelli d’Italia finden das übertrieben, sie zählen nur zwanzig Prozent der eingebuchteten Mafiosi zu den ihrigen.

Michelle Steinbeck ist Autorin und selbsternannte Italienkorrespondentin. Der Internationale Gerichtshof hat ­in der Vorverfahrenskammer mittlerweile Ermittlungen gegen Italien eingeleitet.