Griechenland: Kein Sauerstoff, keine Gerechtigkeit
Wenige Tage nach dem Generalstreik und den grössten Demonstrationen seit Jahrzehnten steht die griechische Regierung enorm unter Druck. Zwar hat sie die Wucht der Proteste überstanden, doch die Angehörigen der 57 Menschen, die 2023 beim schweren Zugunglück bei Tembi ums Leben kamen, fordern weiterhin Aufklärung. Allein in Athen gingen eine halbe Million Menschen auf die Strasse. Die Proteste wurden mit Tränengas aufgelöst, Demonstrierende willkürlich verhaftet.
Bereits Ende Januar hatte die Bewegung «Ich habe keinen Sauerstoff» in griechischen Städten und sogar im Ausland eine breite Mobilisierung ausgelöst. Anlass waren veröffentlichte Notrufe von eingeklemmten Passagier:innen, die nach dem Zusammenstoss des Reisezugs mit einem Güterzug um Luft rangen. Neue Gutachten belegen, dass der Sauerstoffmangel durch die Explosion von Chemikalien verursacht wurde. Die Regierung hatte zuvor bestritten, dass sich im Zug ein Waggon mit hochentzündlichen Stoffen befand. Kritiker:innen werfen den Behörden gezielte Vertuschung vor.
Seit der Katastrophe vom 28. Februar 2023 versucht es die Regierung mit Aussitzen – einer Strategie, die jedoch nicht verhindern konnte, dass sich zwei Jahre nach dem Unglück eine landesweite Massenbewegung formierte. Offizielle Stellen sprechen von einer «Destabilisierung». Alexis Tsipras, der ehemalige linke Ministerpräsident, kritisierte derweil die Regierung scharf: «Die wahre Destabilisierung liegt in den Lügen, der Täuschung und der Straffreiheit, die eine Reihe von Regierungsmassnahmen kennzeichnen.» Das politische System werde so diskreditiert. Das bereite den Nährboden für das Erstarken der extremen Rechten.
In der Tat lässt sich in Griechenland eine «Orbanisierung» beobachten: Journalist:innen und Oppositionelle werden überwacht, regierungstreue Medien gestützt, die Pressefreiheit eingeschränkt, NGOs unter Druck gesetzt. Gleichzeitig fehlt eine schlagkräftige Opposition. Doch die griechische Geschichte zeigt: Echte Veränderung kommt nicht aus dem Parlament, sondern von der Strasse. Vielleicht gerade jetzt.