Kost und Logis: Unter einem Dach zur Schule

Nr. 10 –

Bettina Dyttrich hat aus den Kontroversen um die Wiler Mädchensek gelernt

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Koedukation. Dieses komplizierte Wort lernte ich schon als Kind. Denn in Wil SG, wo ich aufwuchs, war er nicht selbstverständlich, der gemeinsame Unterricht von Buben und Mädchen. Die katholische Sek, das «Kathi», stand nur Mädchen offen. In den siebziger Jahren zum Beispiel der jungen Karin Sutter.

Lange prägten die Konfessionen die Politik im Kanton St. Gallen. Die Katholik:innen wählten CVP, die Reformierten FDP. Die SP – Gott bewahre! – fanden höchstens ein paar Bähnler:innen gut. Das «Kathi» stammt aus der Zeit, als fast alles konfessionell organisiert war. 1991 forderte eine Initiative, dass es, da es doch mit öffentlichen Geldern unterstützt werde, auch Buben aufnehmen müsse. Sie scheiterte haushoch. Heute, Sie haben es vielleicht gelesen, fordert das Bundesgericht dasselbe.

Für mich war als Kind klar, dass ich Ja stimmen würde. Und dass ich auf keinen Fall nur mit Mädchen in die Schule wollte. Aber dank der Kathi-Kontroverse lernte ich auch, dass es kompliziert ist. In der gemischten Sek waren die Buben in der Überzahl. Dass mehr Mädchen gut wären, um wilde Bubenklassen zu beruhigen, war kein Argument im Interesse der Mädchen, das verstand ich. Und manche Mädchen sagten, sie wollten genau das: in der Pubertät ein paar Jahre unter Frauen sein. Es gab und gibt Feministinnen, die für getrennten Unterricht plädieren.

Der (katholische) Publizist Rolf Bossart hat im «St. Galler Tagblatt» nicht für getrennten Unterricht plädiert, sondern dafür, dass Religion und Staat sich nicht ganz fremd werden. Die Einbindung der «schwierigen und befremdlichen» Bereiche wie Religion bedeute auch «Einschluss und Kontrolle». «Sie hält das Schwierige in der Nähe und das scheinbar Unvernünftige im Raum der Vernunft.»

Grundsätzlich stimme ich diesen Überlegungen voll zu. Aber für Wil passten sie nicht ganz. Die CVP-Mehrheit, die die Kleinstadt dominierte, war weder feministisch, noch liess sie sich kontrollieren. Ein Lehrer aus diesem Milieu schlug noch 1991 Schüler:innen. Niemand schritt ein. Und beim Nachdenken über Wil erinnere ich mich plötzlich: Der Leiter der katholischen Jugendgruppe, in die ich mit dreizehn reinrutschte, war homophob. An einem Abend war die Vorgabe, still zu diskutieren: mit Filzstiften auf einem grossen Blatt Papier. «Der Papst findet, dass schwul sein Sünde ist», schrieb ich – überzeugt, dass die anderen meine Empörung teilten. Aber der Leiter machte klar, dass er Homosexualität für eine dekadente Modeerscheinung hielt. Und der Junge, den ich cool fand, schrieb: «Was bist denn du?»

Ich hätte meinen Filzstift packen und gehen sollen. Statt noch ein Jahr lang zu versuchen, den beiden zu gefallen – bevor ich zum Punk überlief.

Hätte es Konsequenzen, wenn so etwas heute in einer kirchlichen Jugendgruppe passierte, zum Beispiel in Wil, und publik würde? Würden «Einschluss und Kontrolle» funktionieren? Und was tun wir, damit das so bleibt?

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin und verliess Wil 1997. Die SVP, kaum zu glauben, wurde im Heimatkanton von Toni Brunner erst 1992 vor der EWR-Abstimmung gegründet und nahm den reaktionären CVP-Flügel auf – manchmal sind die beiden noch heute nicht zu unterscheiden.