Katholische Kirche: «Austreten wäre dumm»

Nr. 7 –

Der Papst produziert Skandale, und die Schweizer Bischöfe werden immer Rom-treuer. Was hält linke KatholikInnen noch in ihrer Kirche?


Februar 2009. Die katholische Kirche steht ganz schön schlecht da. Auch bei der eigenen Basis. «Es ist eine Mischung aus Wut und Lähmung», beschreibt Urs Eigenmann, priesterlicher Mitarbeiter in der luzernischen Pfarrei Gerliswil, die Stimmung. «Für viele kritische Leute bringt das das Fass zum Überlaufen», vermutet die Theologin Rita Pürro, die für die Erwachsenenbildung im Bistum Freiburg arbeitet. «Rom versöhnt sich mit den Rechten - warum gibt es keine Zeichen in die andere Richtung?», fragt Simone Dollinger, Pastoralassistentin in Langendorf bei Solothurn. Sie erwähnt Jon Sobrino, den Jesuiten und Befreiungstheologen aus El Salvador, der 2007 vom Papst gemassregelt wurde.

Am 24. Januar hob der Vatikan die Exkommunikation von vier ultrarechten Bischöfen der Pius-Bruderschaft auf. Einer der vier, der Engländer Richard Williamson, leugnet den Holocaust. Es dauerte fast zwei Wochen, bis der Papst von Williamson eine Distanzierung von seinen Äusserungen forderte. Doch der Schaden ist damit nicht behoben. Dass der Papst rechts steht, weit rechts, daran zweifelt niemand mehr. Auch diejenigen nicht, die glaubten, der knallharte Kardinal Ratzinger habe sich als Papst zum sanften Freund der Jugend gewandelt.

Kurz nach dem Entscheid um die Pius-Bruderschaft zeigte Benedikt XVI. noch einmal deutlich seine Gesinnung: Er ernannte den ultrakonservativen Priester Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz - einen Mann, der den Hurrikan Katrina für eine Strafe Gottes hält und in seiner Kirche keine LaiInnen im Altarraum duldet.

Das Feld nicht räumen

Warum arbeiten Linke noch für eine solche Institution? Rita Pürro, 46, sagt: «Ich bin in der katholischen Tradition aufgewachsen, habe mich mit ihr abgemüht, und es ist noch genug Faszination da für das Evangelium - gut, dafür müsste ich nicht katholisch sein - und für diese Tradition, um dabeizubleiben. Es gab und gibt fantastische Leute in der Kirche.» Die katholische Kirche sei für sie trotz aller Schwierigkeiten ein Stück Heimat. «Und vor allem mag ich die Kirche nicht den anderen überlassen. Ich mag das Feld nicht räumen.»

Ähnlich argumentieren viele kritische KatholikInnen. «Austreten ist etwa das Dümmste, was man machen kann», meint Urs Eigenmann. Der 62-jährige Priester hat ein Teilzeitpensum in Gerliswil und einen Lehrauftrag an der Universität Luzern. «Die Kirchgemeinde ist der einzige Ort in der Kirche, wo es ein demokratisches Mitspracherecht gibt. Man sollte diese Teilautonomie nicht schwächen.» Röschenz, das Baselbieter Dorf, das sich erfolgreich für seinen Pfarrer wehrte, zeige, dass die Basis nicht machtlos sei. Eigenmanns Motto: «Solange sie mich nicht rausschmeissen, bleibe ich drin.»

Auch Simone Dollinger ist überzeugt: «Die Kirche hat ein Potenzial. Sie schafft Räume, wo sich Menschen begegnen können. Ich glaube nicht, dass es eine Institution gibt, die das ersetzen kann.» Die 32-jährige Pastoralassistentin engagierte sich lange bei der Theologischen Bewegung für Solidarität und Befreiung, die in den letzten Jahren gegen das Wef aktiv war. Die Seelsorge habe weiterhin eine grosse Bedeutung und werde geschätzt, sagt sie. «Das seelsorgerische Gespräch findet heute meistens nicht mehr in der Kirche, sondern spontan auf der Strasse oder im Coop statt.»

Unpolitische Mehrheit

Linke machen heute einen kleinen Teil der katholischen Kirche in der Schweiz aus. Urs Eigenmann erwähnt eine Untersuchung des Pastoralsoziologischen Instituts in St. Gallen aus den neunziger Jahren: Danach zählten sich von den praktizierenden Katholiken 42 Prozent zur politischen Rechten, 49 Prozent gaben an, kein politisches Interesse zu haben. Gerade einmal 6 Prozent verstanden sich als Linke. «Heute sind es wahrscheinlich noch weniger.»

Das war einmal anders. In den späten sechziger und den siebziger Jahren erfasste der gesellschaftliche Aufbruch auch die Kirchen. Frauen forderten mehr Rechte in der Kirche und entwickelten eine feministische Theologie. In Lateinamerika interpretierten Bischöfe und Theologen die Bibel radikal im Sinn der Armen. Die Befreiungstheologie entstand und inspirierte auch die 68er-Generation im Norden. Zum Beispiel Urs Eigenmann, der seine Dissertation über den brasilianischen Armenbischof Dom Hélder Câmara schrieb.

Eigenmann wundert sich nicht über die neusten Entwicklungen in Rom: «Die Pius-Bruderschaft akzeptiert zentrale Punkte des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht. Und ich vermute, dass auch Ratzinger etwa mit der Liturgiereform seine liebe Mühe hat. Er ist seit den 1968er Jahren mit den rechts stehenden Kreisen um die Gustav-Siewerth-Akademie im Schwarzwald verbunden, darin sind Leute wie Otto von Habsburg und die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis aktiv.» Eigenmann nennt den Papst konsequent bei seinem bürgerlichen Namen.

«Es findet eine Gleichschaltung des Denkens in der katholischen Kirche statt, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat», analysiert Eigenmann. «Der doktrinären Einheit der Kirche wird alles andere geopfert.» Dabei sei Vielfalt grundlegend für die katholische Kirche. «Die verschiedenen Orden hatten eigene Theologien, eigene Spiritualitäten, die sich auch bekämpften. Diese Pluralität geht schon auf die Bibel zurück. Diese Pluralität ist bereits in der Bibel mit den vier Evangelien und der paulinischen Theologie enthalten.» Doch Pluralität bedeute nicht, dass sich mit dem Glauben alle möglichen Interessen rechtfertigen liessen. «In den lateinamerikanischen Diktaturen gehörten Folterer wie Gefolterte derselben Kirche an. Da ist ja wohl zu fragen, worin die Einheit einer solchen Kirche besteht.»

Und was ist das Ziel dieser Gleichschaltung? Der Papst wolle die Kirche zu einer totalen Institution machen, sagt Eigenmann. Der Begriff des US-amerikanischen Soziologen Erving Goffman bezeichnet Einrichtungen wie Gefängnisse und Kasernen, die das ganze Leben ihrer «Mitglieder» dominieren. Auch mit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ist der Vatikan schon verglichen worden. Eigenmann: «Organisationen dieser Art haben immer ähnliche Strukturen.»

Abgesehen davon spiegle die Kirche eine generelle Entwicklung. «Seit Ronald Reagan herrscht eine neoliberale Lähmung. Es gibt kaum mehr wirkliche Persönlichkeiten, weder in der Politik noch in der Kirche. In der Kirche hat das viel mit der Personalpolitik von Johannes Paul II. zu tun, der nur Leute holte, die ihm gegenüber loyal waren. Damit hat er auf Generationen hinaus die Weichen gestellt.»

Als wären die vatikanischen Turbulenzen noch nicht genug, haben die Schweizer KatholikInnen auch noch mit Beschlüssen ihrer Bischöfe zu kämpfen. Diese haben Ende Januar die Bussfeiern infrage gestellt. Seit mehr als 35 Jahren müssen die Schweizer KatholikInnen nicht mehr in den Beichtstuhl. Sie können auch kollektiv an einer Bussfeier um Vergebung ihrer Sünden bitten. Diese Praxis wurde vom Vatikan zwar nie bewilligt, aber geduldet. Jetzt will sie die Bischofskonferenz rückgängig machen.

Rita Pürro hofft: «Die Basis wird schon Wege finden, die Bussfeiern zu erhalten. Es gibt im Kirchenrecht viele Lücken, man muss sie nur nutzen. Das ist das Schöne an der katholischen Kirche. Auch die Kompetenzen der Laien sind so ein Fall. Im Notfall, wenn kein Priester erreichbar ist, dürfen Laien ziemlich viel, zum Beispiel taufen oder Gottesdienst feiern. Aber was ist ein Notfall? Ist heute die ganze Schweiz ein Notfall? Hier ist subversive Fantasie gefragt.»

Andererseits könne die neue Regelung Gläubige der älteren Generation in Gewissenskonflikte stürzen: «Für Menschen, die noch streng katholisch aufgewachsen sind, war die Einführung der Bussfeiern eine Befreiung. Sollen sie jetzt zurück in den Beichtstuhl müssen?»

Ein Priester, fünf Pfarreien

Eine andere Schweizer Spezialität sind die LaientheologInnen: In der Schweiz sind sie zur Predigt zugelassen. Viele Kirchgemeinden würden ohne ihre Arbeit gar nicht mehr funktionieren. Doch auch diese liberale Praxis ist bedroht: Der Churer Bischof Vitus Huonder möchte den LaientheologInnen das Predigen während der Eucharistiefeier verbieten. Zum Bistum Chur gehört auch der Kanton Zürich. Falls sich Huonder durchsetzt, fürchtet Pfarrer Urs Eigenmann Zustände wie in Deutschland: «Dort muss ein Priester bis zu fünf Pfarreien übernehmen, sich verheizen lassen. Die Seelsorge bleibt dabei auf der Strecke.»

Urs Eigenmanns Prognosen für die Schweizer katholische Kirche sind düster: «Die Kerngemeinden überaltern und schrumpfen weiter. Noch mehr kritische Leute werden sich frustriert zurückziehen. Die Kirche hat in den letzten zwanzig Jahren, seit dem Streit um Bischof Haas, nur negative Schlagzeilen gemacht. Sie ist vor allem mit sich selbst beschäftigt, nimmt kaum noch einen gesellschaftlichen Auftrag wahr.»

«Das Dümmste an solchen Papstskandalen ist, dass sie Energie fressen», sagt Rita Pürro. «Die gesellschaftspolitischen Aufgaben kommen deshalb zu kurz. Dabei hätten wir doch wichtigere Probleme als die Eskapaden des Papstes!»


Das Konzil und seine Gegner

1962 beginnt in Rom das Zweite Vatikanische Konzil. Es dauert mehr als drei Jahre und bringt der katholischen Kirche einschneidende Veränderungen: Die lateinische Eucharistiefeier, die der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde zelebriert, wird zum Gottesdienst in allgemeinverständlicher Sprache. Laien erhalten mehr Möglichkeiten zur Mitarbeit, speziell die Diakone, die viele Aufgaben im Gottesdienst übernehmen dürfen, auch wenn sie verheiratet sind. Erstmals erkennt Rom andere christliche Gemeinschaften an, bekennt sich zur Religions- und Gewissensfreiheit, zu Menschenrechten und Demokratie. Und - bisher keine Selbstverständlichkeit im katholischen Milieu - das Konzil spricht sich gegen Antisemitismus aus.

Rechte KatholikInnen können mit den Neuerungen gar nichts anfangen. Der französische Erzbischof Marcel Lefebvre gründet 1970 die Bruderschaft St. Pius X., die weiterhin nach dem alten Ritus praktiziert («Eine Sprache, die auf der Strasse verwendet wird, entspricht dem heiligen Geschehen nicht»). Als Lefebvre 1988 eigenmächtig vier Bischöfe weiht - darunter den Antisemiten Richard Williamson -, schliesst der Papst ihn und die Geweihten aus der Kirche aus. Lefebvre stirbt 1991. Die Bruderschaft St. Pius X. besteht weiter, ihre Mitglieder fallen immer wieder mit sexistischen, antisemitischen, antiaufklärerischen und schwulen- und lesbenfeindlichen Äusserungen auf. Aufgrund der aktuellen Kontroverse hat die Bruderschaft Richard Williamson nun sein Amt als Leiter eines Priesterseminars in Argentinien entzogen.