Auf allen Kanälen: Uninteressante Täter
Lässt sich eine Gewalttat politisch nicht so leicht vereinnahmen, ebbt das Medieninteresse oft rasch ab: Was die Berichterstattung anlässlich des Anschlags in Mannheim verrät.

Wieder ein Attentat in Deutschland: Am Montag vergangener Woche fuhr ein Mann in der Mannheimer Innenstadt mit dem Auto in eine Menschenmenge. Laut Behördenangaben tötete er dabei eine 83-Jährige und einen 54-Jährigen und verletzte vierzehn weitere Personen.
Während in den sozialen Medien unmittelbar nach der Tat Falschnachrichten verbreitet wurden, in denen etwa vom «dunklen Hauttyp» des Täters die Rede war, berichteten zahlreiche Medien korrekterweise, dass es sich beim mutmasslichen Täter um einen weissen Deutschen handle. Und zitierten den zuständigen Oberstaatsanwalt, der sagte, es gebe keine Hinweise auf einen extremistischen Hintergrund, sondern vielmehr solche auf eine psychische Erkrankung des Mannes.
Wo blieb die Empörung?
Was darauf nicht folgte, war öffentliche Empörung. Trauer, ja, sowie eine lauwarme Sicherheitsdebatte (etwa: mehr Poller), doch gab es keine rechten und rechtsextremen Politiker:innen, die nun hartes Durchgreifen forderten. Ganz anders also als nach der Gewalttat in Aschaffenburg, die sich wenige Wochen zuvor ereignet hatte. Ende Januar, mitten im deutschen Wahlkampf, erstach dort ein Mann zwei Menschen und verletzte drei weitere schwer. Gerade mal einen Tag nach der Tat präsentierte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz einen fünf Kernpunkte umfassenden Plan, die Migrationspolitik zu verschärfen, inklusive der rechtswidrigen Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen.
Was in Aschaffenburg anders war, war die Herkunft des mutmasslichen Täters: Der Mann war aus Afghanistan geflüchtet, sein Asylgesuch in Deutschland abgelehnt worden. Daneben gab es zwar verschiedene Parallelen zwischen den beiden Fällen, doch wurden diese in der Berichterstattung weder thematisiert, noch wurden daraus politische Forderungen abgeleitet. Die Tatsache etwa, dass beide Täter Männer waren, interessierte ebenso wenig wie der Fakt, dass auch der Täter in Aschaffenburg psychisch krank war. Keine Partei forderte deswegen bisher eine gross angelegte Kampagne gegen patriarchale Gewalt oder eine Offensive für psychische Gesundheit.
Die psychischen Probleme, die beim deutschen Täter in Mannheim als Anlass genommen wurden, seinen Fall zu individualisieren, spielten beim afghanischen Asylbewerber schlicht keine Rolle. Denn er ist, egal wie es um seine Psyche steht, vor allem ein Ausländer.
Rechtsextreme Vergangenheit
Damit passt er in ein Narrativ, das Rechte und viele Medien lieben. Durch seine Herkunft lässt sich die Tat instrumentalisieren, lassen sich Ängste weiter schüren. Der Mann dagegen, der in Mannheim zahlreiche Menschen überfuhr, ist ein psychisch kranker, weisser, deutscher Alexander. Mit ihm liess sich kein altbekanntes Bild reproduzieren, was sich darin zeigte, dass die Berichterstattung zunächst abflaute.
Einen Tag nach der Tat veröffentlichte die antifaschistische Rechercheplattform «Exif» einen Beitrag, der darauf hinwies, dass der Täter in der Vergangenheit Verbindungen zu Neonazikreisen gehabt hatte. Im Verlauf der vergangenen Woche griffen verschiedene deutsche Medien die «Exif»-Recherche auf. Die zuständigen Ermittler:innen, die am Tag des Geschehens bereits bekannt gegeben hatten, man gehe nicht von einem extremistischen Motiv aus, wiederholten dies auch, als sie mit den Hinweisen des antifaschistischen Kollektivs konfrontiert wurden.
Ob es daran liegt, dass Rechtsextremismus grundsätzlich weniger interessiert, oder ob mit der deutschen Staatsbürgerschaft des Täters die Weichen für die mediale Berichterstattung bereits gestellt waren: Das Medieninteresse blieb kleiner als in vergleichbaren Fällen mit Tätern ausländischer Herkunft, laut «Frankfurter Rundschau» gar nur halb so gross. Aus den hiesigen Schlagzeilen ist der Fall sowieso praktisch komplett verschwunden. Berichteten Schweizer Medien noch rege über die Tat selbst, wurden die Verbindungen des Täters zu rechtsextremen Kreisen nur vereinzelt aufgegriffen.
Dass eine je nach Herkunft von Tätern ungleich verteilte öffentliche Aufmerksamkeit gewisse Wahrnehmungen und Stereotype verfestigen kann, liegt auf der Hand. Ebenso klar ist, wer davon profitiert – auch hierzulande.