Ein Traum der Welt: Duterte im Knast
Annette Hug betrachtet einen Körper

Der ehemalige Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, wurde überraschend verhaftet und an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag überführt. Am 14. März fand eine Vorverhandlung statt, die live übertragen wurde. Sie ist im Internet einfach nachzusehen. Da passiert nicht viel, und doch hinterlässt das Video einen starken Eindruck.
Angehörige von Opfern der Mordkampagne, die im Juli 2016 begann und «Krieg gegen Drogen» hiess, haben in Manila als Gruppe zugeschaut. Eine von ihnen sagte daraufhin: «König spielen kann er nur hier.» Dort ist er ein alter Mann, der per Videokonferenz in den Saal zugeschaltet wird. Offenbar zu schwach, um in den Saal zu kommen, wirkt er wie ein Häufchen Elend.
Der ehemalige «Punisher» (Bestrafer) hat vor Gericht seine Ausstrahlung verloren. Auf der Reise nach Europa redete er noch in ein Mikrofon von «den Weissen», die ihm da blöd kämen. Schon zur Zeit, als er dazu aufrief, Bürger:innen sollten Drogensüchtige gleich selbst erschiessen, tat er die Uno und Menschenrechte als westliches Zeug ab. Dabei konnte er an rechts- und linkspopulistische Ressentiments anknüpfen. Den überzeugendsten Versuch, seine Popularität zu verstehen, hörte ich in einem informellen Gespräch. Eine Freundin beschrieb das so: Um zu zeigen, dass der philippinische Macho nicht hinter den sehr viel erfolgreicheren Mackern an der Spitze von Singapur und China zurückstehe, sollten die Loser im eigenen Land vernichtet werden. Jugendliche in den Armenvierteln wurden zu Sündenböcken für die anhaltende Misere im Land.
Das Gericht, das jetzt über Duterte berät, besteht aus drei Frauen. Sie heissen Iulia Antoanella Motoc (Rumänien), Reine Adélaïde Sophie Alapini-Gansou (Benin) und María del Socorro Flores Liera (Mexiko). Richterin Motoc verliest die Anklage: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In 34 Fällen wird Dutertes Rolle in einem Mord untersucht. Sie stehen für 12 000 bis 30 000 Menschen, die ohne jeden Prozess erschossen wurden. Besonders hilfreiche Auskünfte liefert in den Medien Raul Pangalangan. Der philippinische Rechtsprofessor war von 2015 bis 2021 Richter des ICC und schon an der Ausformulierung des Römer Statuts, das zu seiner Gründung führte, beteiligt. Lange vor ihm, 1948, hatte Carlos Romulo die Philippinen bei der Erarbeitung und Verabschiedung der Uno-Menschenrechtskonvention vertreten.
In Manila dreht sich jetzt viel um Klagen gegen Dutertes Auslieferung. Dabei fällt ein sperriger Begriff englischsprachiger Rechtssysteme: «Habeas Corpus». Er steht für das Recht, dass die Polizei (lebende) «Körper» vor Gericht «zur Verfügung halte» – dass also eine Haftprüfung stattfindet. Dieses Recht sei Duterte verwehrt worden. War die Aufhebung dieses Rechts auf Haftprüfung 1972 eine Massnahme des Kriegsrechts unter Ferdinand Marcos senior, so rief Duterte die Polizei zur Missachtung jeglichen Rechts auf. In den ersten Monaten seiner Amtszeit liess die Polizei Leichen als unbestimmte Warnzeichen auf Strassen liegen.
Das Eindrückliche an der kurzen Verhandlung in Den Haag, die Duterte über seine Rechte informiert, ist die Abwesenheit von Häme. Das Recht wird dadurch wieder ins Recht gesetzt, dass der Angeklagte so behandelt wird, wie er es anderen verwehrt hat.
Annette Hug ist Autorin in Zürich. Für die WOZ hat sie 2017 und 2018 zwei Reportagen über den Widerstand gegen die Erschiessungskommandos auf den Philippinen geschrieben.