Was weiter geschah: Flucht aus Pokrowsk, Neuanfang in Odesa

Nr. 14 –

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Es war im Oktober 2024, als Victoria Schytikowa und ihr Ehemann sich zur Flucht entschieden. Vier Tage lang hatten sie aufgrund der nahen Kämpfe in ihrer Wohnung ausgeharrt. «Es wurde unerträglich, so zu leben», sagt die heute 21-Jährige, die ausser ihrem Hund und einem Koffer alles in ihrer Heimatstadt Pokrowsk zurücklassen musste.

Dort hatte die WOZ sie vergangenen Sommer für eine Reportage über ihre Arbeit in einem Kohlebergwerk besucht, wo Frauen die Arbeit der Männer übernahmen, die an der Front kämpfen. Mittlerweile arbeitet sie als Verkäuferin in einer Tierhandlung in Odesa. «Freund:innen von uns zogen damals gerade dorthin. Wir wollten uns nach Möglichkeiten in einer Stadt umsehen, in der wir schon Leute kennen», erzählt Schytikowa.

An einem sonnigen Märztag spaziert die junge Frau durchs Zentrum der Hafenstadt am Schwarzen Meer, vorbei an mit Spanplatten ausgekleideten Schaufenstern. Rundherum fordern Plakate die Bewohner:innen auf, die Sirenen des Luftalarms nicht zu ignorieren. Verglichen mit Pokrowsk sei Odesa eine «normale» Stadt, fast schon friedlich, sagt Victoria Schytikowa. «Am meisten Angst habe ich davor, im Stadtzentrum zu leben, also haben wir eine Wohnung ausserhalb gesucht.» Die russischen Angriffe reissen auch nach den Absichtserklärungen der Ukraine und Russlands nicht ab, zumindest im Schwarzen Meer eine Art Waffenruhe einzuführen. Immer wieder wird auch Odesa getroffen.

Jeden Tag wünsche sie sich, nach Hause zurückzukehren, sagt Schytikowa. «Aber ich weiss nicht, ob das jemals passieren wird.» Pokrowsk, das in den vergangenen Jahren ein Drehkreuz für die humanitäre und militärische Versorgung von Bewohner:innen und ukrainischen Truppen im Donbas war, ist heute einer der Hauptschauplätze der Kämpfe. «Kann und will man in Zukunft dort wohnen, wo Tausende Soldaten gefallen sind?», fragt sie nachdenklich. Für eine junge Frau sei es einfacher, neu anzufangen, als für andere. Doch der Krieg holt die Menschen im ganzen Land immer wieder ein.

Nachtrag zum Artikel «Ukraine: Im sicheren Untergrund» in WOZ Nr. 27/24.