Ukraine: Im sicheren Untergrund
Bis vor wenigen Jahren undenkbar und sogar gesetzlich verboten: In den Kohleminen im umkämpften Osten des Landes arbeiten heute zahlreiche Frauen unter Tag.
Seit einem Jahr und vier Monaten arbeitet Violetta Loewskaja im Kohlebergwerk von Pokrowsk. Ein Ort, der keiner für Frauen sei, so das Vorurteil, mit dem sie aufgewachsen ist. «Am liebsten wäre den Leuten, wenn ich mich nur mit Maniküre beschäftigen würde», sagt die 21-Jährige. Daraus, dass sie sich gerne mit ihren Nägeln und Kosmetik beschäftigt, macht sie kein Geheimnis. Selbst mehr als 500 Meter unter der Erde trägt sie dezentes Make-up und Lipgloss, an den Ohren baumeln strassbesetzte Ohrringe. Sie verdreht die Augen, als sie sich an ihre Anfangszeit zurückerinnert. «Die Leute haben mich mehr oder weniger gefragt, was mit mir nicht stimme, und gemeint, dass ich mich doch um die Familie kümmern solle. Jetzt haben sich alle daran gewöhnt.»
Mit eingeschalteter Stirnlampe läuft Loewskaja in Stiefeln und Schutzkleidung über den sandig-rutschigen Boden, folgt dem Lichtkegel und weicht dabei einigen Löchern aus. In der Luft hängt feiner Staub, der einen schon nach kurzer Zeit husten lässt. Der Job sei anstrengend, aber immerhin interessant und abwechslungsreich, sagt sie. «Am Anfang findet man sich hier natürlich schwer zurecht, man muss die Arbeitsabläufe verstehen und sich an die Dunkelheit gewöhnen.» Neben ihr spuckt ein Förderband laut quietschend die männlichen Kumpel aus der dunklen Tiefe des Tunnels aus, wo die Kokskohle abgebaut wird. An einen der Männer tritt Loewskaja gemeinsam mit ihrer Kollegin Victoria Schytikowa heran.
Mit fester Stimme befragen die beiden Frauen den Mann über die Einhaltung der Sicherheitsstandards. Zu ihren Aufgaben gehört die Überprüfung der Sensoren, der Gaskonzentration, der Schutzvorrichtungen am Förderband und der Belüftung. «Es gibt Tätigkeiten im Bergwerk, die körperlich sehr schwer sind», sagt die zwanzigjährige Victoria Schytikowa. Der Abbau der Kohle noch tiefer unter der Erde gehöre dazu. «Aber dann gibt es Aufgaben wie unsere, die Männer und Frauen gleich gut absolvieren können.»
«Wir spüren, dass der Krieg näher kommt»
Bis zum Jahr 2017 war in der Ukraine Frauen der Eintritt in Berufe im Bergbau, in der Metallurgie, der Elektro- und Chemieproduktion, im Lkw-Transport oder in der Feuerwehr gesetzlich nicht erlaubt. Mindestens 450 Berufe galten als für Frauen verboten – ein gesetzliches Relikt aus der Sowjetzeit. Die Begründung damals: Die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau solle geschützt werden. Im Bergwerk in Pokrowsk machten Frauen im Jahr 2021 bereits ein Viertel der Belegschaft aus. Nach mehr als zwei Jahren Krieg sind ein Drittel der 7000 Mitarbeitenden weiblich. «Ich bin keine Feministin, aber gleichzeitig finde ich nicht, dass eine Frau nur daheimsitzen und Borschtsch kochen soll», sagt Loewskaja mit lauter Stimme, um die Zugluft zu übertönen. Victoria Schytikowa nickt zustimmend und sagt: «Für uns bedeutet die Arbeit hier auch, später eine gute Rente zu bekommen.» Und irgendwann wolle sie sich ein Auto leisten und eine Wohnung kaufen, sollten es die Umstände zulassen.«Mein grösster Traum ist, dass dieser Krieg aufhört», sagt Schytikowa. «Ich will, dass endlich Ruhe einkehrt und wir nicht jeden Tag aufs Neue froh sein müssen, dass wir in der Nacht nicht getötet wurden.» Die Anlage des Bergwerks wurde letztes Jahr von einer Drohne oder Rakete getroffen; mindestens eine Mitarbeiterin kam ums Leben. «Natürlich spüren wir, dass der Krieg näher kommt», sagt Loewskaja. «Aber wir alle hier verstehen, dass die Arbeit unter der Erde sicher ist, wenn man sie mit den Jobs oben vergleicht.» Pokrowsk ist regelmässig das Ziel russischer Angriffe mit Raketen und Drohnen, es liegt mehr als zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion etwa dreissig Kilometer Luftlinie von der Front entfernt.
Manche der Hotels der Stadt, in denen Journalist:innen, Mitarbeitende von Hilfsorganisationen und Soldaten in den ersten Monaten des Krieges übernachtet hatten, wurden bereits letztes Jahr durch Raketen zerstört. Doch in den vergangenen Monaten geriet der Ort immer mehr in den Fokus. Sollte es den russischen Truppen gelingen, weitere Gebiete einzunehmen, könnte sich die Stadt vielleicht bald selbst an vorderster Front befinden. Umso wichtiger, sagen die beiden Frauen, sei die verlässliche Arbeit und das Einkommen im Kohlebergwerk, das schon vor Kriegsbeginn der wichtigste Arbeitgeber in Pokrowsk war. Mittlerweile ist das Bergwerk laut dem Betreiber Metinvest das einzige im ganzen Land, das noch immer Kokskohle fördert – Kohle, die nicht zum Heizen verwendet wird, sondern für die Stahlerzeugung, die auch für die Verteidigungsindustrie wichtig ist.
Das Bergwerk hält alles zusammen
Der Arbeitsalltag wirkt auf den ersten Blick wie aus dem Kriegskontext ausgeklammert. Im Administrativgebäude der Anlage stöckeln Frauen durch die Eingangshalle, vorbei an Schildern, die vor den Gefahren im Arbeitsalltag warnen – die alten in russischer Sprache, die neuen, die teilweise noch verpackt in den Büroräumen liegen, auf Ukrainisch. «Tragt eure Schutzbrillen, wenn ihr eure Kinder sehen wollt», steht auf einem Schild. Hinter einer der Türen brüten die Manager über Karten der unterirdischen Stollen und besprechen die Luftzirkulation.
Draussen im Innenhof stehen die männlichen Arbeiter bei Vogelgezwitscher und dem Plätschern des Brunnens vor ihrer Schicht beisammen und rauchen, es riecht nach Tabak und Lack. Die Sitzbänke und Mülleimer haben rechtzeitig zum Sommerbeginn so wie jedes Jahr eine frische Farbschicht erhalten: Rot die Bänke, Schwarz die Mülleimer. An einer Wand im Raucherbereich prangt das Foto eines Mitarbeiters, Mugshot-Style, als Warnung an die Belegschaft. Am 2. Mai 2024 sei der Mann betrunken zur Arbeit gekommen, «mit 0,7 Promille», steht darauf geschrieben, «was in unserem Unternehmen nicht akzeptiert wird». In der Kantine werden noch immer Speisen zum Preis von neun Griwna, umgerechnet zwanzig Rappen, angeboten, während auf den Bildschirmen eine Mischung aus Metinvest-Eigenwerbung und Nachrichten aus dem ganzen Land läuft.
«Das Bergwerk hält alles zusammen», sagt Violetta Loewskaja. Es bestimmt den Rhythmus, den Wohlstand und war zuletzt auch dafür verantwortlich, dass sie ihren Ehemann kennengelernt hat: vor drei Jahren am «Tag des Bergmanns», an einem für die Bergbauregion Donbas besonders wichtigen Feiertag Ende August, der auf die Sowjetunion zurückgeht und noch immer mit Konzerten und Festen gefeiert wird. «Ich hatte weisse Turnschuhe an, und er ist mir auf den Fuss getreten, ohne es zu merken», erzählt Loewskaja, die damals noch in der Ausbildung war. «‹Pass auf›, habe ich zu ihm gesagt. So hat alles angefangen.»
Ihr sechs Jahre älterer Ehemann arbeitete schon damals als Mechaniker im Werk. Heute lebt das Paar mit einem Hund in einer Wohnung in Pokrowsk und denkt über Kinder nach – sobald der Krieg vorbei ist. «Ich möchte nicht, dass meine Kinder so etwas sehen und erleben.» Victoria Schytikowas Ehemann arbeitet ebenfalls im Bergwerk. Er habe sie unterstützt, so gut er eben gekonnt habe, erklärt sie. «Aber am Anfang war auch er dagegen, dass ich hier arbeite. Er meinte: ‹Bleib zu Hause, sei schön und erzieh die Kinder.›» Mittlerweile habe er ihre Wünsche akzeptiert. «Doch wenn mir etwas an der Arbeit nicht gefällt und ich darüber spreche, sagt er: ‹Dann geh und kündige.›» Loewskaja zuckt mit den Schultern. Die Mentalität ändere sich eben nur langsam.
Der Personalmangel wächst
Eine schnurgerade Baumallee verbindet das Kohlebergwerk mit kleinen Ortschaften, deren Namen sich mit «Glücklich» oder «Unterhaltsam» übersetzen lassen. Die Landschaft wechselt von grünen Feldern zu Abraumhalden, die diese Gegend seit Jahrzehnten prägen. Das Büro von Andri Akulitsch, dem Generaldirektor von Metinvest Pokrowsk Coal, befindet sich in einem unscheinbaren zweistöckigen Gebäude in einem Vorort von Pokrowsk. An der Wand im fensterlosen Gang hängt der gerahmte Druck eines zeitgenössischen griechischen Künstlers, im Büro ein Foto einer Segelregatta aus dem Jahr 2014, darunter der Spruch: «Teamwork. Together we achieve that which no one can achieve alone» (Teamarbeit. Zusammen erreichen wir das, was niemand alleine schafft).
Akulitsch sitzt hinter einem wuchtigen Schreibtisch, sein Handy klingelt mehrmals. Der Klingelton ist das seit Beginn der Invasion bekannte Lied «Guten Abend, wir sind aus der Ukraine». Der 44-Jährige – blaues Hemd, Brille von Prada – hat seine Karriere vor Jahren in seiner Heimatstadt Mariupol begonnen, im Asow-Stahlwerk, das 2022 weltweit Berühmtheit erlangte, als sich ukrainische Soldaten dort monatelang vor den russischen Angreifern verschanzt hatten. In den ersten Tagen des Krieges habe das Unternehmen mehrere Tausend Menschen aus Mariupol evakuiert, sagt Akulitsch. Noch im April 2022 kündigte der Konzern, der Rinat Achmetow, dem reichsten Mann der Ukraine, gehört, an, niemals unter russischer Besatzung zu arbeiten.
Doch abgesehen von den Angriffen wächst der Druck auf das Unternehmen auch aufgrund der Mobilisierung. Mindestens 1200 Mitarbeiter wurden bisher einberufen, die Zahl wird weiter steigen. «Wir dachten, dass der Punkt, an dem wir unsere Produktion nicht fortsetzen können, bereits überschritten wurde. Aber es gibt keine klare rote Linie, nach der wir die Mine schliessen würden. Wir machen einfach weiter», sagt Akulitsch. Schon jetzt fehlten fünfzehn Prozent des Personals. Deshalb leisten die Mitarbeiter:innen derzeit Überstunden – bezahlte, wie Akulitsch betont. Durch den Personalmangel könnte der Anteil von Frauen im Bergwerk in Pokrowsk so wie in anderen Unternehmen im Land weiter zunehmen.
Der Mangel an Männern in der Arbeitswelt stelle das Land vor eine grosse Herausforderung, erklärte der Präsident des Ukrainischen Verbands der internationalen Beschäftigungsgesellschaften, Wassili Woskoboinik, vor kurzem in einem Interview. Nachdem das Mobilisierungsgesetz in Kraft getreten war, hätten viele Männer ihre Arbeit aufgegeben, um nicht eingezogen zu werden – da die Einberufung auch über die Arbeitgeber abläuft. Seitdem würden viele zu Hause bleiben, so Woskoboinik. «Deshalb müssen die Arbeitgeber mehr Frauen, Menschen über sechzig sowie Menschen mit Behinderungen einstellen.»
Szenarien für den Ernstfall
Der Stahlproduzent Kryworischstal mit Sitz in der Stadt Krywyj Rih fordert Frauen seit kurzem aktiv auf, sich zu bewerben. Doch das ändere noch lange nicht den Umstand, dass die allermeisten Führungspositionen von Männern besetzt würden, erklärt Wlada Nedak, die Geschäftsführerin der gesamtukrainischen jüdischen Frauenorganisation Projekt Kescher in Krywyj Rih. «Andererseits wissen wir, dass die meisten Frauen, die Kinder haben, nur begrenzte Möglichkeiten haben, Karriere zu machen, vor allem in den Regionen nahe der Frontlinie», sagt Nedak. «Das Bildungssystem arbeitet hauptsächlich online. Das bedeutet, dass sich Frauen um die Kinder kümmern sollen und entscheiden müssen, ob sie überhaupt ins Büro fahren können.»
Besondere Massnahmen für die Vereinbarung von Familie und Beruf seien im Bergwerk von Pokrowsk nicht vorgesehen, sagt Akulitsch dazu. «Schaffen wir besondere Bedingungen für Frauen? Nein, denn wir können die Bedingungen unter Tag nicht ändern. Sie sind für Männer und Frauen gleich.» Man verstehe aber, dass man den neuen Mitarbeiterinnen bei der Einarbeitung zur Seite stehen müsse.
Akulitsch wirkt gelassen und erklärt, dass jede Art von Stress im Grunde genommen eine Chance zur Weiterentwicklung sei. «Wenn man auf all diese Militärexperten hörte, würde man verrückt werden», sagt er. «Wir hören ja selbst abends den Beschuss. Und wir als Unternehmen können das, was an der Front passiert, sowieso nicht bestimmen.» Allenfalls entwerfe man Szenarien für den Ernstfall. «Ich kann nicht beurteilen, ob unser Werk für die Russen ein vorrangiges Ziel ist. An sich gibt es in der Gegend genügend militärische Objekte.»
Dabei unterstützt längst auch Metinvest die ukrainische Armee und hat laut Akulitsch mehr als hundert Millionen Griwna – ungefähr 2 200 000 Franken – in Befestigungsanlagen in der Region investiert, die nach dem Fall von Bachmut und Awdijiwka zu einem der wichtigsten Themen geworden sind. «Wir müssen in die Sicherheit dieser Region investieren», sagt er. «Wir haben spezielle Transportbagger, und wir haben die Möglichkeit, Materialien wie Holz für die Befestigungen zu kaufen. Und wir haben auch eigene fähige Leute, die arbeiten können.»
Eine kurze Autofahrt entfernt werden neben Waldböschungen neue Verteidigungslinien gebaut. Lärm wie von einer Baustelle – Motorsägen, Bagger, Hämmern – durchdringt die Luft. An diesem heissen Tag arbeiten Männer ohne T-Shirts in den frischen Schützengräben. Plötzlich steigt im Hintergrund eine Himars-Rakete auf, dann erfüllt das ohrenbetäubende Geräusch eines Kampfjets die Luft. Alle Blicke richten sich auf die Kondensstreifen, suchen den blauen Himmel nach dem Flugzeug ab, bis einer der Männer schreit: «Keine Sorge, das sind unsere!» Und die Arbeit geht weiter.
Ein Soldat, der sich mit seinem Rufnamen Morpich vorstellt – das ukrainische Wort für «Marine» –, ist für den Bau der Befestigungen in der Region verantwortlich. Er führt durch die Anlage. «Es ist nicht einfach, einen Graben auszuheben. Er muss richtig ausgestattet sein, er muss bequem sein, er muss multifunktional sein, damit Verteidigungsaktionen ausgeführt werden können», sagt der 39-Jährige. Er selbst stammt aus Tscherkassy im Zentrum des Landes, kämpft aber schon seit dem Jahr 2014 im Donbas, als die Kämpfe unweit von Pokrowsk ausbrachen.
Etwas mehr als zwei Meter sind die Gräben tief, mehrere Reihen reissen Kurven und Zickzackmuster durch das Erdreich, aus dem Sonnenblumen und Raps wachsen. Morpich zeigt auf die Netze an den Wänden, die die Gräben stützen, und auf den Boden, der so angelegt wurde, dass die Soldaten bei Regen nicht im Schlamm stehen müssen. Dann läuft er eine Holztreppe nach unten, nimmt den Eingang zum Schutzraum, in dem die Soldaten schlafen werden.
«Diese Schützengräben sind nur eine Etappe in einer ganzen Festung. Dazu kommen Panzersperren, Minenfelder, Zäune», sagt Morpich. Der Bau einer Stellung dauert zwei bis zweieinhalb Wochen. «Das ist leider nicht schnell genug, weil wir viel mehr davon bauen müssen.» Es gebe Orte nahe der Front, an denen diese Verteidigungslinien derzeit notwendiger wären als hier, sagt er. Aber nicht überall kann gegraben werden, wegen der Gefahr, die von der feindlichen Artillerie ausgeht. Doch Geheimnisse, die die Gegner voreinander wahren könnten, gebe es in dieser Gegend sowieso schon lange keine mehr, sagt er. «Auch hier gibt es Aufklärungsdrohnen, weil es von hier nur 20 bis 22 Kilometer bis zur Frontlinie sind. Der Feind kann Fotos von einem Satelliten bestellen, und alles, was wir hier machen, wird darauf sichtbar sein.»
Um die Armee zu entlasten, wurde beschlossen, dass auch Bergleute dem Militär zur Seite gestellt werden. Morpich ist froh darüber, dass Unternehmen wie Metinvest begonnen haben, in die Verteidigung zu investieren und Baumaterial und Bagger zur Verfügung stellen. Sie hätten endlich verstanden, dass sie ihr Geschäft verlieren würden, wenn es keine Verteidigungslinien gäbe.
Kein Ausgehen, Tanzen, Feiern
In Pokrowsk verbringen die Bewohner:innen die letzten Stunden vor der nächtlichen Ausgangssperre in den Strassen und Parks, die kurz nach Beginn der Invasion kurzzeitig wie ausgestorben wirkten. An manchen Strassenkreuzungen hängen vergilbte Aufkleber und Schilder mit Beleidigungen, die sich an die russischen Soldaten richten. Im Zentrum hat vor kurzem ein moderner Food-Court neu eröffnet, in dem auch Handyzubehör verkauft wird und in dem Soldaten in Uniform oder ziviler Kleidung Espresso Tonic bestellen.
Im Stadtteil Schachtarski, der nach der Berufsgattung der Minenarbeiter benannt wurde, treffen sich Victoria Schytikowa und Violetta Loewskaja nach ihrer Schicht in einem Park in der Nähe ihrer Wohnungen. Nach vielen Stunden mit Schutzhelm auf dem Kopf tragen sie beide ihr Haar offen. Gegenüber dem Park befindet sich eine Kirche, auf deren Wand mit roter Farbe ein Pfeil und das Wort «Schutzkeller» gemalt wurden. Dass dieser Krieg weiter andauere, könne sie noch immer nicht fassen, sagt Schytikowa.
Eigentlich würden die beiden Frauen gerne reisen, ins Ausland, in andere Landesteile. «Ich traue mich nicht, irgendwo anders hinzufahren», sagt Loewskaja. «Wenn hier zu Hause etwas passiert, kenne ich zumindest Leute und weiss, wo ich hingehen kann.» Viele ihrer Freund:innen haben Pokrowsk längst verlassen. Ausgehen, Feiern, Tanzen ist aufgrund der Ausgangssperre nicht möglich. In ihrer Freizeit gehen die beiden spazieren, ins Kosmetikstudio oder einkaufen. «Zuerst hatten wir schon Fernunterricht wegen der Coronapandemie, dann kam der Krieg», sagt die 21-jährige Loewskaja. Und noch immer könne ihr in ihrem jungen Leben niemand sagen, wie es morgen weitergehe, in einer Woche, in einem Monat.
Mitarbeit: Dzvinka Pinchuk.