Licht im Tunnel: Romantik 2.0
Michelle Steinbeck über Düsteres im Literaturbetrieb

«Es fehlt an Büchern für junge Männer», titelt der Deutschlandfunk (DLF) nach der Leipziger Buchmesse und fordert: «Die Branche müsste sich darum kümmern, diese Zielgruppe wiederzuentdecken.» Denn während die Messe heuer von einem Ansturm junger Frauen regelrecht geflutet wurde, würden die jungen Männer «in medial völlig unterschiedlichen Welten leben» und deshalb – so die steile These – immer mehr AfD wählen, während die jungen Frauen immer linker würden.
«Gab es früher noch grosse Romane, die explizit die Lebenswelt junger – oft verlorener – Männer in den Mittelpunkt rückten, fehlen diese Erzählungen heute fast völlig», beschwert sich der Kommentator im DLF. Für die Zielgruppe am anderen Ende der Binarität gebe es hingegen «eine riesige Anzahl neuer Angebote». Gemeint ist das boomende Genre «New Adult», das derzeit einen Grossteil des Buchmarkts ausmacht und zu dem die umstrittene «Dark Romance» gehört. Eine ihrer erfolgreichsten Autorinnen besetzte auf der Buchmesse allein einen Stand, der laut der «Süddeutschen» «genauso gross wie der Stand von Kiepenheuer & Witsch» war.
Worum es in ihren Büchern geht, erzählt sie der SZ im Interview: «Männer behandeln Frauen erst schlecht, erkennen aber dann deren Wert, und das ist dann die richtig grosse Liebe.» Ihre Männerfiguren seien «attraktive» Typen wie Mafiabosse, Stalker und andere «Psychos», die Frauen «am Anfang klein, wachsen aber dann auf Augenhöhe». Ihren Erfolg – mehrere Millionen Euro im Jahr – erklärt sie etwa damit, dass sie besonders gute Vergewaltigungsszenen schreibe: «Die Frau darf nicht die ganze Zeit nur schreien […] Am Anfang, beim Vorspiel, soll sie es nicht gleich wollen, sich ein bisschen wehren. Dann soll sie es aber gut finden.» Und: «Optisch ansprechend müsse der Vergewaltiger auf jeden Fall sein.»
Die «Süddeutsche» folgert: «Dark Romance ist so etwas wie eine weibliche Manosphere». Unter «Stalker Romance», «Mobbing Romance» oder «Enemies to Lovers» gibts Vergewaltigungen, physischen und psychischen Missbrauch und toxische Beziehungen mit Happy End. Die Frage, warum (vor allem) junge Frauen diese Bücher so massenhaft verschlingen, beschäftigt auch Feminist:innen. Im ARD-Podcast «Internet Girl» wird etwa diskutiert, ob Dark Romance eine Art weibliches «Re-Owning» und «Re-Claiming» sein könnte, ob die Diskussionen darum produktiv sind und diese Lektüren und ihre Communitys tatsächlich ein Spielfeld bieten, um sich über toxische Beziehungen und Gewaltfantasien auszutauschen – oder ob es doch nur Kommerzialisierung von realem weiblichem Leid ist.
In Anbetracht der Verhältnisse ist ebenso fraglich, ob es nun sinnvoll (und faktisch korrekt?) ist, männliche Autoren als strukturell benachteiligt darzustellen und mehr Raum für explizite Männerliteratur zu fordern. Allein die Annahme, junge Männer könnten sich nur angesprochen fühlen von Büchern, die von Männern geschrieben wurden, ist Unsinn – schliesslich kennen sich Autorinnen wunderbar in der männlichen Psychologie aus, haben wir doch jahrhundertelang deren Kanon studiert. Ich zum Beispiel würde liebend gern das Genre erfinden, das lesefaule junge Männer aufwecken und mir Säcke voll Geld bescheren könnte. Warum nur ist klar, dass dieses Pendant – das Ausfabulieren der männlichen Angst vor der Sexualität der Frau – kein vergleichbarer Kassenschlager wird?
Michelle Steinbeck ist Autorin. Sie empfiehlt den Podcast «Internet Girl» zu Dark Romance.