Ein Traum der Welt: Papst und Peripherie
Annette Hug denkt immer an Tropenstürme

Wenn der Suezkanal geschlossen ist, weil sich wie 2021 ein Containerschiff verkeilt, weil Milizen oder Piraten Tanker bedrohen, dann wird die Route über Südafrika aktuell. Um ans Kap der Guten Hoffnung zu gelangen, fahren Schiffe an den Komoren vorbei, zwischen Madagaskar und Moçambique hindurch. Und wenn man diese Route auf einer Karte nachfährt, wird deutlich, warum Frankreich genau hier an Felsen und Inseln festhält. In einer Zeit, in der Interessen ohne Rücksicht auf die Rechtslage durchgesetzt werden, kann die militärische Präsenz in Meeresstrassen entscheidend sein.
Auf dem «Archipel der verstreuten Inseln» finden sich fast nur Forscher:innen und Militärpersonal, aber auf der Insel Mayotte leben über 300 000 Menschen. Wie viele es genau sind, ist umstritten, wie auch der Status der Insel, denn das französische Departement wird von den Komoren beansprucht. Seit am 14. Dezember 2024 der Zyklon Chido über die Insel fegte, droht sie zu einem Hotspot der Hoffnungslosigkeit zu werden. Präsident Emmanuel Macron war letzte Woche da. Man sah ihn vor einem Abhang mit Erosionsspuren, es war windig, mit wacklig übermittelter Stimme kondolierte er den Katholik:innen der Welt zum Tod von Papst Franziskus. Offenbar fehlte das Equipment zum Ausleuchten seines Gesichts. So wirkte er müde, seine Augen verschwanden in Schattenhöhlen. Eigentlich war er da, um ein Gesetz zur «Neugründung» der Insel vorzustellen. Der Begriff ist wohl eine Antwort auf eine Frage, die im Dezember in Paris zu lesen war: Wird diese Insel bewohnbar bleiben?
Welche Konflikte aufbrechen, wenn die Katastrophenzukunft Gegenwart wird, macht Mayotte deutlich: Während Bulldozer behelfsmässig wiederaufgebaute Armenviertel abreissen, kommt der Bau stabiler Wohnhäuser nicht in Gang. In Macrons Gesetzesvorschlag bildet die «Bekämpfung der illegalen Immigration» einen zentralen Punkt. Die Forderungen des lokalen Generalstreiks zum Präsidentenbesuch gehen in eine andere Richtung: Die Einwohner:innen Mayottes, die Mahorais:es, wollen punkto Sozialleistungen endlich den anderen Französ:innen gleichgestellt werden. Paris kommt ein Stück weit entgegen, macht die Insel aber zu einem Zwischenlager: die Einreise nach Mayotte wird erschwert, hier geborene Kinder erhalten nicht mehr automatisch die Staatsbürger:innenschaft, ein Visum für Mayotte erlaubt keine Weiterreise in die EU.
Um die grossen Lücken beim Personal für Spitäler und Schulen zu schliessen, sind neue Anreize vorgesehen. Bisher bleiben aber die meisten Klassenzimmer nicht benutzbar, die Schulen arbeiten im Zweischichtbetrieb. Der vom Sturm schwer beschädigte Wald gerät als Energielieferant zusätzlich unter Druck, weil noch nicht alle wieder Zugang zu Strom haben. 3,1 Milliarden Euro sieht das Gesetz für Polizei, Infrastruktur und eine Freihandelszone vor. Unterdessen beobachten Förster:innen, welche Bäume am besten nachwachsen.
Papst Franziskus lehnte im vergangenen Dezember die Einladung zur Wiedereröffnung von Notre Dame de Paris ab. In Frankreich besuchte er nur Marseille und Korsika. Wenn er vom Mittelmeer sprach, dann von Fluchtrouten und Ertrinkenden. Dass ihn Macron jetzt zerzaust in Mayotte würdigen musste, hätte dem Verstorbenen vielleicht ins symbolische Programm gepasst.
Annette Hug ist Autorin und Übersetzerin in Zürich. Was Radiohören und Zeitunglesen betrifft, ist sie in Frankreich hängen geblieben.