Kost und Logis: Was tun? (Teil II)
Ruth Wysseier verbeugt sich vor den Klimaseniorinnen

Es ist wieder Zeit, Kartoffeln zu setzen, hoffentlich mit einem besseren Resultat als letztes Jahr. Bei all dem Regen konnte ich kaum mehr Knollen ernten, als ich in die Erde gesteckt hatte; die meisten waren verfault. Aber 2024 war ja auch ein Jahr der extremen Wetterereignisse. In Europa war es das wärmste Jahr seit Messbeginn, schreibt der europäische Klimadienst C3S. Im Osten herrschten Hitze und Trockenheit, im Westen starke Niederschläge und Überschwemmungen. Hunderte Menschen verloren durch extreme Wetterereignisse ihr Leben, Hunderttausende waren betroffen.
Da ist es ein Glück, dass von der Schweiz aus so starke Signale im Kampf gegen den Klimawandel ausgesendet werden und diese Bemühungen auch international beachtet werden. Es hat mich jedenfalls sehr gefreut, dass es jemand aus der kleinen Schweiz auf die Liste der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten geschafft hat, die das «Time»-Magazin jeden Frühling veröffentlicht: die Zürcher Anwältin Cordelia Bähr. Wie hat sie das verdient? Wenn es eine Formel gäbe für Klimagerechtigkeit, schrieb «Time», könnte sie so lauten: Eine hartnäckige Anwältin plus 2500 entschlossene ältere Frauen ergibt einen Gerichtsentscheid, der Klimaverantwortlichkeit neu definiert.
Cordelia Bähr hat letztes Jahr mit den Klimaseniorinnen und mit Greenpeace zusammen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erstritten, das die Schweiz zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Ihre Klage war vorher durch alle Instanzen bis hinauf zum Bundesgericht abgewiesen worden, doch in Strassburg fanden die Klägerinnen nach achtjährigem Kampf Gehör: Die Schweiz tue zu wenig, um die Gesundheit älterer Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, sagten die Richter:innen. Das Urteil ging um die Welt.
Die offizielle Schweiz hat wenig Freude an den Klimaseniorinnen und noch weniger am Urteil. Bundesrat und Parlament kritisierten den Entscheid. Mehr als das: Sie beschlossen, ihn zu ignorieren. Die Schweiz tue genug für den Klimaschutz, heisst es, und in Strassburg verstehe man die direkte Demokratie nicht. Schliesslich könne hierzulande die Regierung nur das tun, was die Bevölkerung wolle.
Nun, manchmal sendet auch die Bevölkerung ein starkes Signal: Letzten November hat sie zum ersten Mal Nein gesagt zu mehr Autobahnen. Dies, obschon das Ja-Lager über ein Budget von 4 Millionen Franken verfügte (das Nein-Lager hatte 2,7 Millionen). Ausserdem hatten über neunzig Prozent der Zeitungsinserate zum Thema Autobahnausbau für die Vorlage geworben, wie die Analyse des Jahrbuchs für Schweizer Politik zeigte.
Was tun also? Sicher weiterhin Kartoffeln pflanzen, ganz sicher weiterhin für eine umweltfreundliche Politik kämpfen – und ins Kino gehen. Ab Mitte Mai läuft «Trop chaud», ein spannender und motivierender Gerichtskrimi, der den Kampf der Klimaseniorinnen dokumentiert.
Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. Teil I von «Kost und Logis: Was tun?» ist in WOZ Nr. 12/25 erschienen.