Licht im Tunnel: Wer zuletzt lacht
Michelle Steinbecks Schulaufsatz zum obigen Thema

Als ich jung war, wollte ich Musikjournalistin werden. Das schien mir realistisch, nachdem mir der kindische Wunsch, Schriftstellerin zu werden, im Kerker einer Kantonsschule, die sich selbst «elitär» nannte, gründlich ausgeprügelt worden war. Einer meiner grössten Helden zu dieser Zeit war Pete Doherty. Sein Gesicht trug ich auf einem Shirt, dazu das Motto gegen die erdrückende Schulqual: «Fuck Forever», das auch durch meine Kopfhörer drang, mich in eine Ahnung von Punk hüllte, der im Zürich der 2000er Jahre längst einbalsamiert war, und durch die nicht enden wollenden Schulhausflure voller Longchamp-Taschen und Leistungszwangsmief trug.
Die Zeit der Libertines war da schon vorbei. Die Band, die über zwei Alben versucht hatte, mit dem Junkietum von Pete umzugehen, sich sogar nach seinem Einbruch in Kofrontmann Carl Barâts Wohnung nach der Entlassung aus dem Gefängnis mit einem legendären Konzert versöhnen wollte, war schliesslich daran zerbrochen. Petes Genie und Erfolg stolperten unverdrossen weiter, seine Babyshambles waren mindestens so gut wie die Libertines. Als Fans bekamen jedoch auch wir sein «Fuck Forever» zu spüren: Erwähnt sei hier nur mein Extremurlaub auf einem deutschen Festival, wo es vier Tage sintflutartig regnete, wir schon freitags knietief im Schlamm einsanken, den ich aber bis zum letzten Tag stoisch, mangels Gummistiefeln barfuss durchpflügte, um am Sonntagnachmittag vor der Hauptbühne zu schwimmen, wo statt meiner Lieblingsband ersatzweise Ice-T stand, weil Pete mal wieder in der Easyjet-Toilette gefixt hatte oder so.
Als nach weiteren erfolglosen Reisen im Versuch, meinen Helden live zu erleben, dieser schliesslich ausgerechnet im kleinen «Mascotte» auf die Bühne schlenderte, kam es mir vor wie ein Traum. Pete sah schon etwas mitgenommen aus, aber er war gut drauf, zwinkerte mir zu, und es wurde das magischste Konzert meines Lebens. Nun, siebzehn Jahre später, schliesst das «Mascotte» in Zürich, und Pete, der längst totgesagte, ist clean – und produktiv wie nie. Sein altes (selbst)zerstörerisches Leben hat er hinter sich gelassen, wie er in freimütigen Interviews erzählt, nun tourt er mit Frau und Kind und Hund, tauscht seine Kunst aus Drogenzeiten gegen Babykleider und hört zum ersten Mal das Lob seiner Bandkollegen nach der Show – früher sei er immer sofort abgerauscht.
Ihre geglückte Wiedervereinigung bewiesen die Libertines letzten Winter bei einem gut gelaunten Konzert im Zürcher Volkshaus. Auf der neuen Platte trifft Albion-Nostalgie auf gegenwärtige Realität, etwa von Geflüchteten in «Merry Old England». Bevor es auch mit den Babyshambles weitergehen soll, erschien nun letzte Woche Petes Soloalbum «Felt Better Alive». Darauf zelebriert er sein neues Lebensgefühl, unter anderem als liebender Vater in «Pot of Gold»: «And if that lullaby is a hit / Dad can buy you loads of cool shit / Forget about the times / When they always try to run me out of town.» Am Schluss, so erzählt er seiner Tochter im Lied, warte eben kein Goldtopf am Ende des Regenbogens, sondern er, wie er freihändig herunterrutscht.
Der diabeteskranke Pete mag mittlerweile Gesundheitsschuhe tragen wie mein alter Mathelehrer, aber sein Spell ist ungebrochen. Die Musik von ihm und Carl ist nicht mehr mein Lebensgefühl, und doch rührt es mich sehr, sie so unverhofft wieder zusammen zu sehen und zu hören. Happy Nicht-End.
Michelle Steinbeck ist Schriftstellerin. Ha!