Stromabkommen: Zwei ganz verschiedene Teile

Nr. 21 –

Der Bundesrat inszeniert das Stromabkommen als vollen Verhandlungserfolg, sagt aber nicht, was genau drinsteht. Im linken Lager ist man schon jetzt uneins.

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Das geplante Stromabkommen mit der EU bleibt rätselhaft. Das liegt zunächst am Bundesrat, der die Öffentlichkeit bisher nur häppchenweise informiert. Letzten Dezember publizierte er ein Faktenblatt mit den Eckpfeilern des Abkommens. Vergangene Woche dann trat der zuständige Energieminister Albert Rösti (SVP) vor die Medien und präzisierte einige Punkte. Sowohl das Faktenblatt wie auch Röstis Auftritt erwecken den Eindruck, dass die Schweiz gut verhandelt habe, allem voran in Bezug auf die geplante Öffnung des Schweizer Strommarkts für europäische Anbieter. So sei die Wasserkraft, der mit Abstand wichtigste Bereich der heimischen Stromproduktion, vom Abkommen ausgenommen. Wasserkraftkonzessionen sollen auch künftig nicht europaweit ausgeschrieben werden. Und private Haushalte dürften auch weiterhin in der Grundversorgung mit regulierten Strompreisen bleiben.

Service-public-Struktur in Gefahr

Das Kernstück des Abkommens jedoch, der ausverhandelte Vertragstext in all seinen Details, bleibt weiterhin unter Verschluss – angeblich soll er Mitte Juni veröffentlicht werden. Eine fundierte Auseinandersetzung ist so nicht möglich. Man fragt sich unweigerlich: Hat der Bundesrat vielleicht doch nicht so gut verhandelt?

Rätselhaft ist das Abkommen aber nicht nur wegen der bundesrätlichen Intransparenz, sondern auch, weil es zwei grundverschiedene Bereiche miteinander verknüpft: das Stromnetz und den Stromhandel. In Bezug auf das Netz ist die Ausgangslage klar: Die Schweiz ist über insgesamt 41 Knotenpunkte mit den Hochspannungsnetzen der Nachbarländer verbunden. Als Drehscheibe trägt sie massgeblich zur Sicherheit und Stabilisierung der gesamten kontinentaleuropäischen Stromversorgung bei. Derzeit ist der Zugriff auf dieses Netz institutionell nicht abgesichert, was sich mit dem Stromabkommen ändern würde. Mit Ausnahme der SVP, die von einer autonomen Stromversorgung fabuliert, sind sich in diesem Punkt alle anderen Akteure einig – Swissgrid als Betreiberin des Schweizer Hochspannungsnetzes sowie die Stromunternehmen, Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften: Für die Versorgungssicherheit ist das Abkommen wichtig und sinnvoll.

Aber das Abkommen umfasst eben auch den Stromhandel und soll eine Öffnung des Schweizer Strommarkts bringen. Bis anhin ist dieser nur teilweise liberalisiert, nur grosse Verbraucher:innen können ihren Stromlieferanten frei wählen. Private Haushalte sowie mittlere und kleinere Unternehmen müssen ihren Strom bis jetzt bei einheimischen Versorgungsunternehmen zu einem fix definierten Preis beschaffen. Dieser regulierte Markt besteht aktuell aus rund 600 Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVUs); aus lokalen Verteilnetzbetreibern, Gemeinde- und Stadtwerken, überregionalen Versorgern bis hin zu börsenkotierten Grossproduzenten wie Axpo oder Alpiq. Neunzig Prozent dieser EVUs sind im Besitz der öffentlichen Hand. Inwieweit diese Service-public-Struktur nach einer Marktöffnung überlebt, ist die entscheidende Frage. Sie bleibt offen, solange der exakte Inhalt des Abkommens und die konkreten flankierenden Massnahmen unbekannt sind.

SP hält sich bedeckt

Für das linke Lager ist noch eine zweite Frage entscheidend: Trägt das Stromabkommen zum Ausbau der erneuerbaren Energien bei, oder schwächt es ihn gar? Obschon auch diesbezüglich die Details fehlen, haben sich zwei linke Schwergewichte bereits in Stellung gebracht. Auf der einen Seite unterstützen die Grünen das Stromabkommen. Marionna Schlatter, Mitglied der nationalrätlichen Energiekommission, verweist vor allem auf die Versorgungssicherheit. «Die Herausforderungen sind der Winter und der schleppende Ausbau der Windkraft. Diese Winterlücke können wir mit Importen aus dem europäischen Netz gut schliessen.» Dank dieser Möglichkeiten brauche es weder neue AKWs, wie das derzeit – «von SVP-Bundesrat Rösti befeuert» – debattiert werde, noch eine Vielzahl von Reservekraftwerken. «Das gibt uns etwas Zeit und schafft Raum für den Ausbau der Erneuerbaren», so Schlatter.

Das sieht Reto Wyss vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund ganz anders, und zwar wegen der geplanten Öffnung des hiesigen Strommarkts. «Für einen substanziellen Ausbau der Erneuerbaren braucht es stabile und sichere Rahmenbedingungen», so Wyss. Mit der heute bestehenden Service-public-Struktur sei es für die Stromversorger möglich, «Verteilung, Produktion, Nachfrage und Angebot aus einem Guss» zusammenzubringen. «In einem offenen Markt mit viel stärker schwankenden Preisen hingegen gibt es viel weniger Planungssicherheit und damit deutlich weniger Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren», sagt Wyss.

Die SP hält sich derweil bedeckt. Kopräsidentin Mattea Meyer sagt, die Abwägung und Positionierung könne die Partei erst machen, wenn Details bekannt seien. «Das Abkommen bringt Verbesserungen bei der Versorgungssicherheit, die Liberalisierung sehen wir aber kritisch», so Meyer. Denn diese könne zu höheren Preisschwankungen und weniger öffentlichen Investitionen in die Energiewende führen, zum Nachteil von Privaten und KMUs.