Sexarbeit: Sexverkauf geht alle an
Die Forderung, Freier zu kriminalisieren, ist marginal und unnütz. Wieso wird sie trotzdem immer wieder aufgestellt?
In der Schweiz findet eine mediale Debatte über Sexarbeit statt – aber sprechen überhaupt alle vom selben? «Die Mitte Frauen verstehen Prostitution nicht als gewerbliche Arbeit und verwenden darum nicht den Begriff der Sexarbeit», schreibt ebendiese Teilpartei in einem neuen Papier, das den Anstoss gab.
Am Schluss stehen ein paar allgemein gehaltene Forderungen für eine stärkere Regulierung des Sexgewerbes. Die Analyse davor spricht eine andere Sprache: Man wolle «keine Strukturen für ein System stellen», das Frauen entwürdige. Wobei man sich nun fragen kann, wieso es denn Reformen für ein System braucht, das seinem Wesen nach frauenverachtend sei.
Es ist die Sprache der Verbotsbefürworter:innen, wobei für derartige Forderungen aber auch in der Mitte-Partei der Rückhalt fehlt. Die einzige hiesige Partei, die ein Sexkaufverbot fordert, ist die kleine EVP. 2022 stimmte der Nationalrat über eine Motion ihrer Nationalrätin Marianne Streiff zur Einführung des sogenannten nordischen Modells ab. Dazu gehört unter anderem ein Verbot des Kaufs, aber nicht des Verkaufs sexueller Dienstleistungen. 11 Nationalrät:innen stimmten dafür, 172 dagegen.
Sexarbeiter:innen lehnen das Verbot laut Fachpersonen mehrheitlich ab, wie auch alle namhaften Schweizer Organisationen, die im Alltag mit ihnen arbeiten. Sie fordern, dass die Rechte der Sexarbeiter:innen gestärkt und die Kontrollen auf die Betreiber verschoben werden.
Trotzdem wird das Verbot in den Medien immer wieder gefordert. Wie aktuell von Raphaela Birrer, der Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers», die das Papier der Mitte-Frauen in einem Leitartikel zu Ende denkt: «Nur ein Verbot, Sex zu kaufen, schützt die Frauen effektiv.»
Die Behauptung zielt an der Realität der Sexarbeiter:innen vorbei. Das Sexkaufverbot kriminalisiert nämlich nicht nur die Freier, sondern auch Dritte; so könnten Sexarbeiter:innen nicht mehr legal ein Zimmer mieten, auch nicht zusammenarbeiten oder ihr Einkommen mit anderen teilen, weil sie sich damit der Zuhälterei schuldig machten. Auch ihr Zugang zu Beratung wäre erschwert, sie würden in den Untergrund gedrängt. Kein Staat wird die Sexarbeit zum Verschwinden bringen, aber vermutlich bleiben nicht die nettesten Freier übrig, wenn der Kauf illegal ist.
Birrer schreibt über Sexarbeiter:innen bloss als Objekte, die gekauft, beherrscht, konsumiert, gezwungen werden. Als Ausnahme dient ihr die prominente und sehr privilegierte Edelescort Salomé Balthus. Dass sich ein Grossteil der Sexarbeit in vielfältigen und komplexen Realitäten bewegt, die irgendwo zwischen Balthus und Menschenhandel liegen, weiss auch Birrer. Immerhin haben sie gleich zwei Repliken in der eigenen Zeitung daran erinnert.
Um das Phänomen dieser Verbotsfraktion zu verstehen, zu der vor allem freikirchliche Kreise gehören, lohnt es sich, wieder einmal Virginie Despentes’ fulminanten Essay «King Kong Theorie» zur Hand zu nehmen. Darin schreibt die französische Autorin nicht nur über Pornografie und ihre eigene Vergewaltigung, sondern auch über ihre Erfahrungen als Sexarbeiterin.
Das Schicksal mittelloser Frauen interessiere für gewöhnlich niemanden – «doch Sex verkaufen geht alle an, und die ‹anständigen› Frauen haben ein Wörtchen mitzureden». Die blosse Existenz der Sexarbeit ist der patriarchalen Gesellschaft demnach ein Dorn im Auge, weil Frauen hier für etwas Geld verlangen, das sie gefälligst gratis zur Verfügung zu stellen haben. «Wenn der Prostitutionsvertrag alltäglich wird, erscheint der Ehevertrag klarer als das, was er ist: ein Handel, in dem die Frau sich verpflichtet, zu einem Tarif, der jeder Konkurrenz spottet, eine gewisse Zahl von Diensten für das Wohlergehen des Mannes zu leisten. Namentlich sexuelle.»
Und so bleibt die Sexarbeit unbequem, gerade auch für die Privilegierten.