Sexarbeit: «Die Landwirtschaft wurde auch nicht abgeschafft»
In der Debatte um ein Verbot der Prostitution tun sich zwischen Feministinnen tiefe Gräben auf. Die Frage spaltet auch die SP-Frauen. Kürzlich trafen sie sich zu einer Diskussionsrunde in Bern.
Die JungsozialistInnen haben die SP-Frauen kalt erwischt. «Konsequent gegen Menschenhandel und Prostitutionsverbot – für einen aufgeklärten Umgang mit Sexarbeit!» war die Resolution übertitelt, die der Vorstand der Juso Schweiz im März dieses Jahres zuhanden der Delegiertenversammlung der SP Schweiz verabschiedet hatte – und von dieser angenommen wurde.
Unter den Sozialdemokratinnen hatte bis dahin noch keine Diskussion zum Thema Sexarbeit stattgefunden. Dies erstaunt. Denn Auslöser für die Juso-Resolution war ein Postulat der EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller gewesen, das vom Bundesrat die Prüfung eines Prostitutionsverbots verlangt. Als erstrebenswertes Beispiel führt Streiff-Feller das schwedische Sexkaufverbot an. Nicht nur zum Entsetzen der Juso wurde das Postulat auch von SP-NationalrätInnen unterschrieben (siehe WOZ Nr. 48/13 ).
Das ganze feministische Spektrum
In Schweden ist der Kauf sexueller Dienstleistungen seit 1999 gesetzlich verboten. Das heisst, dass die Freier strafrechtlich belangt werden können, nicht aber die Frauen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten. Was von Schweden als Meilenstein seiner Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter gefeiert wird, hat jedoch fatale Folgen: In Schweden muss Sexarbeit seither im Untergrund, im Verborgenen stattfinden, wodurch die Sexarbeiterinnen noch schlechter geschützt sind als vorher.
Und doch gibt es SPlerinnen, die gar nicht glücklich darüber sind, dass die Resolution der Juso angenommen wurde. Überrascht über die Uneinigkeit innerhalb der eigenen Reihen zeigten sich die Sozialdemokratinnen auch am vergangenen Samstag in Bern. Die SP Frauen Schweiz hatten eine Diskussionsrunde zum Thema Sexarbeit im Restaurant Schmiedstube organisiert. Während die eingeladenen Vertreterinnen von Anlauf- und Beratungsstellen für SexarbeiterInnen sowie (ehemalige) Sexarbeiterinnen klar Position gegen das schwedische Modell bezogen, waren die anwesenden SP-Frauen tief gespalten. Zwar machten sie alle einen feministischen Anspruch geltend, doch ihre grundlegend unterschiedlichen Ansätze spiegelten das gesamte Spektrum der aktuellen Diskussion um Sexarbeit wider: von Alice Schwarzer, Kämpferin an vorderster Front gegen Pornografie und Prostitution, bis Melissa Gira Grant, Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin, die mit ihrem jüngst erschienenen Buch «Hure spielen» die Mythen rund um Sexarbeit dekonstruiert und die Trennung von Sexarbeit und «legitimer Ökonomie» kritisiert.
Als Befürworterin des schwedischen Modells nahm Brigitte Hollinger, Präsidentin der SP Basel Stadt, an der Diskussion teil. Sie zog Vergleiche zwischen der Sexarbeit und der Sklaverei und forderte ein Verbot nach dem Vorbild Schwedens. Denn ein Verbot verändere auch das Denken in den Köpfen und schliesslich die Gesellschaft: «In Schweden gilt ein Freier heute als Loser. Wer Sex möchte, soll in eine Bar gehen und sich anständig benehmen, um jemanden kennenzulernen.» Bei Prostitution hingegen gehe es nicht um Sexualität, sondern alleine um Machtausübung. Prostitution sei ein Missbrauch des Körpers, Sexarbeit ein «distanzloser» Job und keine Arbeit wie jede andere.
Dass Sexarbeit eine Arbeit wie jede andere sei, behauptet heute kaum mehr jemand. So stellt etwa das jüngst von verschiedenen feministischen Organisationen publizierte «Diskussionspapier Sexarbeit. Fakten, Positionen und Visionen aus feministischer Perspektive» berechtigterweise die Frage, welcher Beruf denn schon wie jeder andere sei. Hat eine Chirurgin einen Job wie jede andere? Ein Lastwagenfahrer? Eine Erntehelferin? In vielen Arbeitsbereichen kommt es zu Ausbeutung. Arbeitsverhältnisse sind immer von Machtverhältnissen geprägt. «Auch in der Landwirtschaft gab es Sklaverei, doch haben wir deshalb die Landwirtschaft abgeschafft?», fragte Marianne Schweizer von der Genfer Anlaufstelle Aspasie an der Diskussionsrunde der SP-Frauen in Bern.
Der Vergleich mit anderen Berufen wird von den Prostitutionsgegnerinnen nicht gerne gesehen. Für die Waadtländer Nationalrätin Cesla Amarelle kommt dies einer Banalisierung der Prostitution gleich. «Prostitution ist keine Arbeit», sagt sie. Das schwedische Modell sei ein interessanter Ansatz; eine Kriminalisierung der Freier sei aus ihrer Sicht aber nicht unbedingt nötig. Sie wünscht sich vielmehr gross angelegte Aufklärungskampagnen, ähnlich den Aids-Präventionskampagnen des Bundesamts für Gesundheit.
«Wie bei der Burkadebatte»
Von der WOZ auf die Haltung der Sexarbeiterinnen auf dem Podium angesprochen, antwortet Amarelle etwas verärgert: «Es ist wie bei der Burkadebatte: Auch dort finden sich immer ein, zwei Frauen, die sich für das Tragen der Burka aussprechen und sich auf ihre Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung berufen.» Diese sprächen jedoch nicht für die Mehrheit der anderen betroffenen Frauen. «Die Prostitution schädigt alle Frauen», ist Cesla Amarelle überzeugt. «Wie die SP für die Abschaffung des Kapitalismus kämpft, sollte sie sich auch für die Abschaffung der Prostitution engagieren.»
«Es irritiert mich, wie einige Leute ihre Ohren dafür verschliessen, was die Sexarbeiterinnen selbst zu sagen haben», sagt Yvonne Feri, Nationalrätin und Präsidentin der SP Frauen Schweiz. Feri ist eine der SozialdemokratInnen, die das Postulat von Marianne Streiff-Feller unterzeichnet haben. Einen Sinneswandel habe sie jedoch nicht durchgemacht. Das Postulat fordere die Ausarbeitung eines Berichts; eine Auslegeordnung sei durchaus sinnvoll und angebracht. Dazu gehöre auch die Prüfung eines Verbots, was jedoch keinesfalls bedeute, dass sie ein solches auch befürworte. Im gleichen Sinn erklärt auch Nationalrätin Barbara Gysi ihre Unterzeichnung des Postulats.
Zementierte Machtverhältnisse
Es ist eine Grundsatzfrage: Wollen wir die Prostitution oder ihre negativen Auswirkungen eindämmen? Die Autorinnen des Diskussionspapiers schreiben, dass das Hauptproblem der SexarbeiterInnen das Stigma sei, das ihnen anhaftet, ist es doch diese Stigmatisierung, die Gewalt und Ausbeutung überhaupt erst ermöglicht. «Ein Verbot bringt nichts», sagt Gysi deutlich. «Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass die Sexarbeiterinnen bei ihrer Arbeit bestmöglich geschützt sind. Wir müssen für gute Arbeitsbedingungen sorgen, dafür, dass sie sozial versichert sind. Wir müssen mit ihnen und nicht über sie reden. Wenn wir ihnen absprechen, für sich selbst sprechen zu können, zementieren wir das Machtgefälle weiter.»
Sowohl Barbara Gysi als auch Yvonne Feri bezweifeln, dass über gesetzliche Massnahmen wie zum Beispiel ein Sexkaufverbot tatsächlich ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden könne. «Ein Verbot verändert die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern nicht», ist Yvonne Feri überzeugt. «Eine Veränderung der Gesellschaft erreichen wir nur über die Gleichstellung der Geschlechter und nicht über ein Prostitutionsverbot.»