Opposition in Belarus: Trumps Annäherung an Minsk
Nach dem Besuch eines US-Diplomaten hat Aljaksandr Lukaschenka politische Gefangene freigelassen, darunter auch seinen grössten Widersacher. Was hat der ungewöhnliche Schritt mit einem anstehenden Militärmanöver zu tun?

Die Nachricht aus Minsk war so überraschend wie erfreulich: Letzten Samstag ist Sjarhej Zichanouski aus der Haft entlassen worden, der wohl grösste Widersacher des belarusischen Machthabers. Zum ersten Mal seit fünf Jahren konnte er seine Frau, die Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja, in die Arme schliessen. Die meisten seiner Anhänger:innen hatten kaum noch daran geglaubt, dass dieser Tag einst kommen würde, schliesslich hegte Aljaksandr Lukaschenka einen besonderen Groll gegen die markante politische Persönlichkeit, eine der wichtigsten Inspirationsfiguren der belarusischen Widerstandsbewegung von 2020.
Lukaschenkas Ärger auf sich gezogen hatte Zichanouski, als er zu dessen gefährlichstem Konkurrenten im Kampf ums Präsidialamt avancierte: In einem Livestream trat der Oppositionelle in direkten Dialog mit der Bevölkerung. Er bediente sich dabei der gleichen populistischen Rhetorik wie der junge Lukaschenka selbst, als dieser 1994 erstmals für den Posten kandidierte. Kurz nach Bekanntgabe seiner Kandidatur im Mai 2020 wurde Zichanouski verhaftet und später wegen der «Organisation von Massenunruhen» zu achtzehn Jahren Haft verurteilt. An seiner Stelle trat Swjatlana Zichanouskaja die Kandidatur an.
Folter und Isolation
An einer Pressekonferenz in Litauens Hauptstadt Vilnius, wo seine Frau inzwischen lebt und wohin er nach der Freilassung gebracht worden war, berichtete Zichanouski ausführlich von der Folter, der politische Gefangene wie er in belarusischen Gefängnissen ausgesetzt sind. Er sei in einer Einzelzelle ohne Kontakt zur Aussenwelt untergebracht gewesen, habe nicht einmal grundlegende Hygieneartikel erhalten, erzählte er unter Tränen. In den fünf Jahren seiner Haft hat er stark an Gewicht verloren. Auf die Frage eines Journalisten, ob er sich wieder an die Spitze der Opposition stellen würde, sagte er: «Swjatlana ist die Anführerin. Ich werde keine Ansprüche erheben.»
Mit Zichanouski kamen am Samstag dreizehn weitere politische Gefangene frei, darunter ein ehemaliger Journalist des US-finanzierten Senders Radio Liberty sowie ein anarchistischer Aktivist. Auch Bürger:innen Polens, Lettlands, Estlands, Schwedens und Japans waren darunter – was darauf schliessen lässt, dass die Aktion auch international ein Echo auslösen sollte.
Die Begnadigung der Oppositionellen wurde wenige Stunden nach einem Treffen Lukaschenkas mit US-General Keith Kellogg in Minsk bekannt gegeben. Sie lässt sich daher auch als eine Art Dankeschön des Diktators für die Anerkennung lesen, die ihm Trumps Sondergesandter für die Ukraine mit seinem Besuch erwiesen hatte. Westliche Gäste dieses Kalibers waren schon lange nicht mehr nach Belarus gereist: für Lukaschenka ein grosser PR-Erfolg vor dem heimischen Publikum. Aus ebendiesem Grund hatte er sich sogar entschlossen, seinen Feind Nummer eins in die Freiheit zu entlassen – oder genauer: ins Ausland zu drängen.
Schmerzliche Sanktionen
Dass der Langzeitdiktator plötzlich zum grossen Humanisten geworden ist oder beschlossen hat, die Repressionsschrauben im Innern generell zu lockern, ist kaum anzunehmen. Vielmehr erhofft er sich die Aufhebung der Sanktionen, die westliche Länder nach der Niederschlagung der Protestbewegung verhängt hatten. 2022 wurden diese dann noch verschärft, nachdem Lukaschenka Wladimir Putins Truppen für den Angriff auf die Ukraine sein Territorium zur Verfügung gestellt hatte. Ausserdem will er seiner Herrschaft neue Legitimität verleihen: Die meisten westlichen Staaten hatten Lukaschenkas «Wahlsieg» 2020 aufgrund von zahlreichen Stimmenfälschungen nicht anerkannt. Eine inoffizielle Zählung hatte damals einen Sieg von Zichanouskaja ergeben.
Derzeit macht Lukaschenka die darbende Wirtschaft zu schaffen, die zu einem Mangel verschiedener Produkte wie etwas Kartoffeln geführt hat. Entsprechend wichtig ist es ihm, die Isolation zu durchbrechen und sich dem Westen anzunähern, mit dem er bis 2020 lukrative Handelsbeziehungen unterhielt. Der Autokrat flirtet aber auch deshalb mit den USA, weil er bei einem potenziellen Friedensprozess in der Ukraine eine Rolle spielen und sich anschliessend am Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur beteiligen möchte. Seine gegenwärtige Rolle als Putins Marionette scheint ihm inzwischen unbehaglich geworden zu sein.
Lukaschenkas Motive für den Empfang von General Kellogg sind also offensichtlich. Doch was hat die neue US-Regierung von dieser Annäherung?
Angst vor neuem Angriff
Eine mögliche Erklärung ist, dass Präsident Donald Trump, der einst versprochen hatte, den Krieg gegen die Ukraine «innert 24 Stunden» zu beenden, bisher keine gemeinsame Sprache mit Putin gefunden hat. Mit dessen engstem Verbündeten Lukaschenka ins Gespräch zu kommen, würde deshalb einer gewissen Logik folgen. Hinter den Kulissen verhandeln US- und belarusische Diplomat:innen schon länger miteinander. Seit Januar haben Gesandte aus Washington Lukaschenka mehrmals getroffen. Im Februar berichtete die «New York Times», dass Belarus und die USA einen «grossen Deal» vorbereiten würden, in dessen Rahmen Lukaschenka zahlreiche politische Häftlinge freilassen werde, darunter auch prominente Persönlichkeiten. Im Gegenzug würden die USA Sanktionen lockern, die belarusische Banken und bestimmte Exportgüter betreffen.
Zwar wird man auch in Washington wissen, dass sich das belarusische Regime kaum ernsthaft wandeln wird; offensichtlich will man Lukaschenka aber zumindest ein Stück weit aus dem Orbit Moskaus herauslösen – und erwirken, dass Belarus bei der Beendigung des Krieges gegen die Ukraine eine konstruktive Rolle einnimmt. Einfach dürfte das nicht werden: Seit der Niederschlagung der Proteste 2020 ist der belarusische Diktator noch stärker von Putin abhängig.
Möglicherweise ging es bei Kelloggs Besuch in Minsk aber auch um das belarusisch-russische Militärmanöver «Sapad-2025» (Westen 2025), das im September auf belarusischem Territorium durchgeführt werden soll. Für Moskau ist das Nachbarland von grosser strategischer Bedeutung: Von dort startete Putin im Februar 2022 auch seinen Angriff auf Kyjiw.
Die Gefahr eines neuen Angriffs aus dem Norden besteht für die Ukraine bis heute. Insbesondere befürchten die umliegenden Nato-Staaten, dass die sogenannte Suwałki-Lücke von belarusischem Boden aus attackiert werden könnte, ein schmaler Landstreifen zwischen Polen und Litauen, der als Achillesferse des westlichen Militärbündnisses gilt. Wird der Korridor durchbrochen, entsteht eine direkte Verbindung zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und Belarus. Entschliesst sich der Kreml zu einer solchen Aggression, sind die baltischen Staaten vom Rest der Nato abgeschnitten.
Europäische Staaten haben wiederholt ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass «Sapad-2025» als Deckmantel für Provokationen, ja sogar für eine Aggression Russlands gegen einen Nato-Staat dienen könnte. Lukaschenka versuchte, diese Bedenken kürzlich auszuräumen: Die Manöver würden «weniger umfangreich» ausfallen als geplant und von der Grenze ins Landesinnere verlegt.
Unabhängig davon, ob die Annäherung gelingt: Mit den Verhandlungen gestehen die USA Lukaschenka immerhin eine gewisse politische Subjektivität zu, während viele europäische Politiker:innen das Land bloss als eine Art russische Provinz betrachten. Minsk aber weiter in Putins Arme zu treiben, wäre kurzsichtig – denn geht die belarusische Unabhängigkeit vollends verloren, könnten russische Panzer tatsächlich bald schon an der Grenze zu Polen stehen.
Wie weit die USA mit ihrer Strategie in Belarus kommen, ist schwer zu sagen. Und es entbehrt vielleicht nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Trump europäischen Politiker:innen aufzeigt, wie man Menschen aus der Geiselhaft einer Diktatur befreit. Doch die Freilassung der vierzehn Regimekritiker:innen ist zweifelsohne schon ein Erfolg: vierzehn gerettete Menschenleben. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna zählt Belarus derzeit noch 1173 politische Gefangene.
Die Minsker Journalistin Olga Klaskovskaya wurde im Oktober 2020 aufgrund fingierter Vorwürfe zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, die Menschenrechtsorganisation Wjasna hat sie als politische Gefangene registriert. Nach der Freilassung im Dezember 2022 gelang Klaskovskaya die Flucht in die Schweiz, wo sie bis heute lebt.
Aus dem Russischen von Anna Jikhareva.