Scheinwahl in Belarus: Im Griff eines alternden Diktators

Nr. 4 –

Politische Alternativen durch Repression erstickt: Am Sonntag lässt sich Langzeitherrscher Aljaksandr Lukaschenka erneut zum Präsidenten wählen. Damit die demokratischen Kräfte Widerstand leisten können, werden sie Unterstützung brauchen.

Fünf Namen werden auf dem Wahlzettel stehen, wenn die Belarus:innen am Sonntag einen Präsidenten bestimmen: jener von Machthaber Aljaksandr Lukaschenka, der schon zum siebten Mal in Folge antritt, dazu vier andere Kandidaten. Als Konkurrenten lassen sich diese allerdings nicht bezeichnen, eher sind sie so etwas wie «Sparringpartner» – bloss dazu da, den Schein einer Auswahl zu wahren.

Demokratisch waren Wahlen in Belarus nie; jedes Mal wurden die Ergebnisse zugunsten des Regimes gefälscht, mal mehr, mal weniger. Bis 2020 hatten die Behörden immerhin noch Gegenkandidat:innen zugelassen. Seit in jenem Jahr aber Swjatlana Zichanouskaja den Machthaber besiegte – das hat eine von der Opposition organisierte, inoffizielle Stimmenauszählung ergeben –, setzt das Regime auf noch härtere Repression, um jede politische Alternative im Keim zu ersticken. Hunderttausende Belarus:innen waren in der Folge gezwungen zu fliehen; unabhängige Medien wurden aus dem Land gedrängt und arbeiten heute im Exil; alle Parteien der Opposition und über 1800 NGOs wurden aufgelöst.

6550 politische Urteile

Zur Sicherung seiner Herrschaft ist Lukaschenka auf Hilfe aus Moskau angewiesen, die er allerdings mit seiner Souveränität bezahlt. Entsprechend wächst unter westlichen Politiker:innen die Einsicht, dass der Machthaber zur Marionette von Wladimir Putin geworden ist. Lukaschenkas Lage ist tatsächlich desolat: Sein Regime leidet unter den internationalen Sanktionen, denen sich auch die Schweiz angeschlossen hat. Und auch die Abhängigkeit vom Kreml missfällt ihm.

Um die gestörten Beziehungen zum Westen wiederherzustellen, will Lukaschenka unbedingt «das Blatt wenden», wie er sagt. Zu diesem Zweck hat er in den letzten Monaten knapp hundert politische Gefangene freigelassen. Nach Zählung von Aktivist:innen sind in Belarus derzeit 1256 Personen für ihre oppositionelle Haltung inhaftiert; insgesamt ergingen seit 2020 nach Angaben des Minsker Menschenrechtszentrums Wjasna 6550 politisch motivierte Urteile. Da Angehörige oft Angst haben, Informationen zu teilen, ist ihre Zahl in Wirklichkeit wohl deutlich höher.

Genau wie jene vieler autoritärer Machthaber liegen auch Lukaschenkas Hoffnungen derzeit auf Donald Trump: Mit einem zynischen Geschäftemacher und «Realpolitik»-Verfechter als US-Präsidenten würden sich auch die Beziehungen zu den USA verbessern, so seine Annahme. Auch die Zukunft von Belarus hängt massgeblich vom Ausgang des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ab. Von einem allfälligen Übereinkommen zwischen Trump und Putin würde auch Lukaschenkas Regime profitieren.

Insgesamt hat der Krieg das westliche Interesse an Belarus erheblich geschwächt. Dessen Höhepunkt lag im Jahr 2020, als die Fälschung der Wahlergebnisse zu Massenprotesten führte: Hunderttausende Menschen demonstrierten damals auf den Strassen von Minsk – in einem Land mit rund neun Millionen Einwohner:innen. Heute sind die Schrauben der Repression indes so fest angezogen, dass am Sonntag keine grossen Proteste zu erwarten sind. Offiziell dürften die Scheinwahlen reibungslos verlaufen. Und es ist zu befürchten, dass westliche Politiker:innen Lukaschenkas Aufforderung, «das Blatt zu wenden», folgen werden.

Trotz der vermeintlich humanen Geste, einige politische Gefangene freizulassen, muss festgehalten werden: Das Wesen des Regimes hat sich nicht geändert – und wird es bis zum Ende von Lukaschenkas Herrschaft auch nicht tun.

International im Abseits

Das Jahr 2020 hat gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Belarus:innen den grausamen Herrscher ablehnt, der das Land in die sowjetische Vergangenheit zurückgeführt hat. Auch wenn diese Menschen derzeit stillhalten müssen, haben sich ihre Ansichten nicht verändert, viele Belarus:innen wünschen sich weiterhin demokratische Veränderungen. Entsprechend setzt Lukaschenka weiterhin auf Repression – um die Angst in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten: In Belarus kann eine Person schon verhaftet werden, wenn sie einen Social-Media-Post likt, der nach Auffassung der Behörden «extremistisch» ist. Immens wichtig ist daher, dass die Zivilgesellschaft Unterstützung von Europa erhält. Und dass Belarus auf der internationalen Bühne nicht weiter ins Abseits gerät.

Die Sicherheit in der Region und auf dem ganzen Kontinent hängt auch davon ab, welchen Weg Belarus einschlagen wird: ob es ein bedrohlicher Satellit des Kremls bleibt oder ob die demokratischen Kräfte in der Lage sein werden, ein allfälliges Zeitfenster für Veränderungen zu nutzen. Ein solches könnte sich durch den Rücktritt oder den Tod Lukaschenkas öffnen, dessen Gesundheitszustand sich in letzter Zeit merklich verschlechtert hat. Natürlich ist der Kampf um die demokratische Zukunft in erster Linie eine Angelegenheit der Belarus:innen selbst – vieles wird aber von der westlichen Unterstützung abhängen.

Die Minsker Journalistin Olga Klaskovskaya (42) wurde im Oktober 2020 aufgrund fingierter Vorwürfe zu 2,5 Jahren Haft verurteilt, die Menschenrechtsorganisation Wjasna hat sie als politische Gefangene registriert. Nach der Freilassung im Dezember 2022 gelang Klaskovskaya die Flucht in die Schweiz, wo sie bis heute lebt.

Aus dem Russischen von Anna Jikhareva.