Im Affekt: Die hohe Kunst der Untertreibung

Nr. 34 –

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«Da unten ist übrigens das Tal, wo der vorletzte James-Bond-Film gedreht wurde», sagt, betont beiläufig, der Freund, nachdem wir eine etwas abenteuerliche Geröllhalde hochgekraxelt sind, vorsichtig darauf bedacht, keinen Steinschlag auszulösen. Am Fuss des Hangs machen sich vier Wander:innen an den Anstieg, ein anderes Gespann verschwindet weiter oben in einer Nebelbank, sonst sind wir allein – mitten in einer atemberaubenden Landschaft.

Dass knapp 800 Meter unter unseren Füssen «Skyfall» gedreht wurde, ein internationaler Blockbuster, würde man dem malerischen Tal nicht anmerken. Die Info stammt aus dem – deutschen – Wanderführer. Neben der stark befahrenen Strasse, wo bei einem kleinen Parkplatz ein Fussweg ins Tal von Bonds Kindheit abzweigt, steht dann immerhin ein Schild mit dem schlichten Hinweis: «Glen Etive», «glen» heisst Tal, der Name Etive bedeutet «kleine Hässliche» oder «kleine Wilde». Schottische Ironie ist so tief wie die omnipräsenten Schlammlöcher.

Es ist der erste Wegweiser, den wir an diesem Tag sehen. Sinnigerweise begegnet er uns erst am Ende unserer Wanderung, die über Gipfel, Felsplatten und Grate führte. Man stellt sich automatisch vor, was die Schweizer:innen mit dieser dank «The Queen» und «Skyfall» in der halben Welt bekannten Landschaft veranstalten würden. Man würde mindestens einen Wurststand hinstellen, eine Rodelbahn mit Selecta-Automat – gar ein Drehrestaurant oder ein Zermatt 2; zumal der Berg über dem Tal dem Matterhorn nicht unähnlich ist. Doch in Schottland regiert das Understatement: Möglichst nichts an die grosse Glocke hängen. Diese Freude an der Untertreibung zeigt sich auch bei vielen Wanderrouten: Markiert ist abseits der grossen Weitwanderwege wenig bis gar nichts. Hilfsmittel wie Ketten oder Eisentritte zur Überwindung von Schlüsselstellen fehlen. Bei jeder ungewissen Abzweigung sucht man vergeblich nach einem rettenden Wegzeichen. Und plötzlich wird eine gewöhnliche Wanderung wieder zum Abenteuer.

Bewusste Untertreibung als neue Tourismusstrategie: Darauf könnte sich auch die Voralpenregion gern besinnen.