Wichtig zu wissen: Lieber spät als früh
Ruedi Widmer über Augen und Autoritäten
 
        
      
    Die autoritäre Wende hat es auch nicht so leicht. So sind in Nordrhein-Westfalen gleich sechs zur Wahl stehende AfD-Kandidat:innen gestorben, und die Wahlzettel mussten neu gedruckt werden (es sind aber auch sechs Kandidat:innen anderer Parteien gestorben); Chinas Bevölkerung schrumpft bald wegen der Ein-Kind-Familienpolitik; Viktor Orbán wiederum schafft es umgekehrt nicht, die Ungar:innen zu mehr Geburten zu animieren, denn diese sehen nur wenig Zukunft für Kinder in ihrem Land. Und in den USA sieht der Präsident neuerdings wässrig und bleich statt orange aus.
Der Kanton Zürich schafft das Frühfranzösisch in seinen Volksschulen ab. Was passiert nun mit dem erlernten Frühfranzösisch? Muss es fertig gesprochen werden, bis nichts mehr übrig bleibt, oder können die Worte, die einem noch geblieben sind, beim Erziehungsdepartement am Schalter abgegeben werden? Welche erlernten Wörter sind nun Frühfranzösisch, welche Französisch?
Das Spätfranzösisch soll weiter unterrichtet werden, das sogenannte «Français tardif». «La lune s’est levée.» (Der Mond ist aufgegangen.) «Je suis fatigué. Il est déjà tard.» (Ich bin müde. Es ist schon spät.) «Je vais me coucher.» (Ich gehe ins Bett.)
Wenn der Amerikanerpräsident in China hergestelltes Temu-Plastikgold (63 Dollar für ein 50-cm-Geschnörkel) überall auf die Wände seines ovalen Büros klebt, keimt die Hoffnung auf, dass Weltherrschaft vielleicht doch keine Frage des Geldes ist.
Als ich sah, wie der Berner Sänger Gölä am Schwingfest böse guckte und die Hand bei der Schweizerischen Nationalhymne (SN) auf die Brust schlug wie ein waschechter Amerikaner, fand ich, dass dieser Mann («Schwan») eines Tages Schweizer Präsident werden könnte – in jenem trumpschen Sinn, wonach alles, was nicht wahr sein darf, wahr wird.
Kürzlich durchzuckte mich auf dem Velo der Gedanke, warum man hinten keine Augen hat. Eine solche Informationslücke passt in keinster Weise zur heutigen Informationsgesellschaft. Ich weiss besser Bescheid über die Beziehungsgerüchte und Handyhintergrundbilder von Tennisstar Jannik Sinner und Model Laila Hasanovic, als dass ich erfahre, ob von hinten jemand mit einem Zollhammer zuschlägt. Der Mensch als wichtigster Akteur der Menschheit hat keine Möglichkeit, seinen Aktionsraum zu überblicken. Jedes Auto hat heute eine Rückfahrkamera!
Versuchen Sie mal zu spüren, wie Sie mit dem Hinterkopf nicht sehen können. Das ist wirklich unangenehm.
Es wäre keine grosse Sache gewesen für Gott, Darwin oder unsere Eltern oder wer auch immer unsere Körper «zusammengebastelt» haben mag, noch zwei Augen mehr zu machen. Libellen etwa haben mehrere Zehntausend Einzelaugen, oder Tiefseegetier drei oder fünf – und sogar Lampen. Am Preis für Augen kann es nicht liegen, zumal die meisten Augen heute in Niedriglohnländern wie China und Indien hervorgebracht werden.
Der Mensch ging ziemlich leer aus bei seiner Erschaffung. Klar, wir haben ein Gehirn, das zwar viel weiss, aber eben auch herausfindet, dass es zu kurz gekommen ist. Der Elefant hat Zähne AUS ELFENBEIN! Gratis. Wenn wir Schmuck aus Elfenbein wollen, kostet uns das die halbe Welt. Grosskatzen bekommen ein Leopardenfell geschenkt, Kühe haben kostenlos Kuhmilch und Vögel Flügel, während wir für Flugtickets oder Gleitschirme immer noch extra bezahlen müssen.
Der Bundesrat ist sich nun nicht mehr so sicher, ob es beim Zollhammer bleibt – oder ob noch Zollbeil und Zollkreissäge uns die letzten handlungsfähigen Glieder abschneiden.
Wir sollten Frühberndeutsch lernen, dann würden wir vielleicht besser verstehen, warum Bundesrat Rösti Trump so gut findet.
Oder Frühkartoffeldeutsch, um auch Dettling zu begreifen.
Ruedi Widmer lebt mit zwei Einzelaugen in Winterthur.
