Wirtschaft und Klima: Wir stehen am Anfang des Heisszeitkapitalismus
Die Klimaerhitzung ist längst im Gang. Sie wird die Grundlagen von Ökonomie und Politik umwälzen. Ein analytischer Denkanstoss.

Für grosse Teile der Weltbevölkerung gehören Versorgungsengpässe, Knappheiten und die Unerreichbarkeit von essenziellen Gütern schon lange zum bitteren Alltag. In Industrienationen hingegen hat der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten fast jede kaufkräftige Nachfrage zu fast jedem Zeitpunkt verlässlich befriedigt. Das ist für den Neoliberalismus essenziell. Er basiert darauf, dass die marktbasierte Preisfindung in kurzen Zeiträumen ausreichende Anpassungsprozesse bewirkt. Kommt es zum Beispiel zu einem Mangel an Erdbeeren oder Schmerzmitteln oder Rohstoffen, steigen die Preise dieser «Mangelprodukte». Darauf reagiert der Markt, indem die Produktion angekurbelt wird. So lassen sich Engpässe jeweils überwinden. Das hat viele Jahre weitgehend geklappt. Gemessen an der kaufkräftigen – und damit für das Kapital einzig relevanten – Nachfrage blieben Versorgungsengpässe episodisch.
Doch das ändert sich gerade. Die Engpässe werden gravierender und dauern länger. Die Überschreitung der planetaren Umweltgrenzen führt zu Einbrüchen in der Agrarwirtschaft, zu neuen Pandemien, zu Unterbrüchen in den Lieferketten, zu enormen Reparaturkosten. Gleiches gilt auch für Wirtschaftskriege und bewaffnete Konflikte. In der Folge können die Engpässe von den «Marktmechanismen» nicht mehr ausreichend ausgeglichen werden. Das trifft den neoliberalen Kapitalismus in seinem Kern.
Immer wieder Knappheit
Einen Vorgeschmack darauf haben wir in der Coronakrise und in den ersten Monaten der russischen Vollinvasion gegen die Ukraine erlebt. Rohstoff- und Agrarkonzerne haben die damaligen Engpässe sofort für Preiserhöhungen genutzt. Sie taten dies in einem Ausmass, das eine Inflationswelle ausgelöst hat. Rasch wachsende Lebenshaltungskosten aber sind sozialpolitischer Zündstoff. Zwar sind die Inflationsraten zwischenzeitlich wieder zurückgegangen. Doch das Thema ist nicht vom Tisch. Im Gegenteil: Der Rhythmus, in dem es zu Knappheiten kommt, wird mit der Klimaerhitzung und der Destabilisierung der Weltordnung steigen. Dies treibt die Jagd nach Sonderprofiten und damit die Inflation immer wieder von neuem an.
Gleichzeitig wird immer offensichtlicher: Die neoliberale Mainstream-Klimapolitik hat versagt. Die Erhitzung unseres Planeten kann nur mit globaler Kooperation wirksam eingedämmt werden. Es muss dann allerdings in nützlicher Frist gelingen, relevante Erfolge vorzuweisen, sonst erlahmen die Bemühungen. Ausreichende Erfolge aber sind unmöglich, solange man sich der Logik der Standortkonkurrenz unterwirft. Genau dies wird an den Weltklimakonferenzen nun aber seit zwanzig Jahren gemacht. So lange schon wird an einem globalen Emissionshandelssystem herumlaboriert.
Doch warum sollen die einzelnen Länder Emissionsabgaben einführen, wenn sie damit Nachteile im Standortwettbewerb in Kauf nehmen müssen? Schon eine kleine Delle in der Wirtschaftskonjunktur reicht dann aus, um die Bemühungen für eine «marktkonforme Klimapolitik» zu zerreiben. Und auch ein rein technologischer Ansatz, beispielsweise der Ersatz von fossil betriebenen durch Elektroautos oder die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage), hilft nicht wirklich weiter, das ist mittlerweile auch klar.
Grosse Blasen, bedrohliche Abstürze
Wir sind am Punkt angelangt, dass die Pariser Klimaziele Makulatur geworden sind. Das bestmögliche neue Ziel lautet, die Klimaerhitzung auf deutlich unter drei Grad zu begrenzen. Und auch das ist eine Herausforderung, die im Rahmen des Kapitalismus kaum zu schaffen sein wird.
Mit dem Heisszeitkapitalismus geht einher, dass die Staaten wieder stark in die Wirtschaft eingreifen, weil die Märkte es nicht mehr richten. Oder wie das im neoliberalen Jargon heisst: Die wirtschaftspolitischen Giftschränke werden geöffnet. Preisregulierungen, Verstaatlichungen, Rettungsaktionen wie zuletzt bei der Credit Suisse, Planungsverfahren und so weiter kommen aufs Tapet. Würde man weitere Bausteine aus dem Giftschrank dazunehmen wie etwa eine konsequente Regulierung des Rohstoffhandels oder eine Stärkung und Ausweitung der regionalen und weltweiten öffentlichen Dienste, dann würde sich dies wie ein Masterplan für einen wirksamen ökosozialen Umbau der Gesellschaften lesen lassen.
Genau dies könnte der Kern einer neuen, auf Kooperation und Solidarität statt auf Imperialismus beruhenden Weltwirtschaftsordnung werden. Es ist kein Zufall, dass die New International Economic Order (NIEO) über Nacht wieder zum Thema geworden ist. Die NIEO war von der Uno-Generalversammlung 1974 fast einstimmig beschlossen worden (einzig die USA hatten sich der Stimme enthalten). Sie wollte den Ländern des Globalen Südens gerechtere Anteile am Weltwirtschaftskuchen zukommen lassen und ihre industrielle Entwicklung fördern. Die Umsetzung des Vorhabens wurde dann aber von den USA und den westeuropäischen Ländern systematisch hintertrieben – leider mit Erfolg.
Die Jahrzehnte des neoliberalen Freihandels unter US-amerikanischer Hegemonie, während derer der Globale Norden seine Interessen in der Regel mit den Mitteln ökonomischer Erpressung durchsetzen konnte, sind aber ohnehin vorbei. Es waren Jahrzehnte mit hohen Profitraten der globalen Konzerne. Löhne und staatliche Steuereinnahmen hingegen hinkten diesen Profiten erheblich hinterher und damit auch die Nachfrage nach den produzierten Waren und Dienstleistungen. Die Folge: Es häuften sich enorme Mengen an Profiten an, die keinen Weg in die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen mehr fanden, also nicht mehr in die sogenannte Realwirtschaft investiert wurden.
Eine Zeit lang liess sich dies durch die Expansion der Finanzmärkte auffangen. Überbewertete Aktienkurse, immer neue Finanzprodukte und steigende Immobilienpreise absorbierten die überschüssigen Profite. Doch je grösser diese Blasen wurden, desto bedrohlicher wurde auch der Absturz, wie sich in der Finanzkrise 2007/08 zeigte. Die Weltwirtschaft wäre damals kollabiert, hätten die Staaten und die Zentralbanken nicht in grossem Ausmass interveniert.
Eine anrollende Konterrevolution
Die Staatsinterventionen haben die Krise allerdings nur hinausgezögert, aber nicht ihre Ursachen beseitigt. Und nun kommen auch noch die ökonomischen Folgen der Klimaerhitzung ins Spiel. Diese setzen dem Expansionsdrang des Kapitals weitere Grenzen. Im Ergebnis verschärft sich die Konkurrenz zwischen den Machtblöcken und ihren Konzernen gerade erheblich. Aus dem verdeckten Imperialismus wird deshalb wieder ein offener. Wladimir Putin praktiziert dies gegenüber der Ukraine, Benjamin Netanjahu – gestützt von der US-Regierung unter Donald Trump – in Gaza. Trump formuliert zudem imperiale Ambitionen gegenüber Grönland, Kanada und Panama. Und bei seinem Zollkrieg geht es nicht zuletzt um die Reindustrialisierung der USA und um die Stärkung einer möglichst autarken Rüstungsindustrie. In den Worten Trumps: «If you don’t have steel, you don’t have a country.»
In der Ukraine, die nur 0,4 Prozent der Erdoberfläche ausmacht, befinden sich 5 Prozent aller globalen Rohstoffvorkommen, die zudem gut erschliessbar sind. Dazu kommt die ukrainische Landwirtschaft, die dank der fruchtbaren Schwarzerde besonders ertragreich ist. Vor dem Krieg erzeugte das Land einen Anteil von fünfzig Prozent an der globalen Produktion von Sonnenblumen, fünfzehn Prozent beim Mais und zehn Prozent beim Weizen. Das Land ist also eine höchst attraktive Beute für imperiale Ambitionen.
Diese Entwicklungen führen dazu, dass sich Widersprüche und Gefahrenlagen zuspitzen. Der Preis fürs klimapolitische Nichtstun, für die Vernachlässigung öffentlicher Dienste und Infrastrukturen, für die zunehmende soziale Ungerechtigkeit steigt von Jahr zu Jahr. Zumal die politischen und wirtschaftlichen Eliten des Neoliberalismus keine Zukunftserzählung mehr bieten. Das führt zu immer neuen Bruchlinien und zu neuem sozialem und politischem Widerstand. Das ist der Kontext, in dem sich antidemokratische, autoritäre bis diktatorische Bestrebungen unter der Führung der USA gerade zu einer globalen konterrevolutionären Wende verdichten. Das Ziel: Widerstandsbewegungen künftig im Keim ersticken zu können.
Das alles fordert Linke und Grüne existenziell heraus. Wer nun aber auf Bündnisse mit der verbleibenden «bürgerlichen Mitte» setzt, läuft Gefahr, in den Sog von nationalistischen und militaristischen Projekten zu geraten. Das aber wäre fatal. Umso zentraler ist die Treue zum sozialen, demokratischen, ökologischen, antiimperialen Widerstand. Und die Notwendigkeit, für eine neue globale Weltwirtschaftsordnung einzutreten, mit der die kapitalistische Standortkonkurrenz überwunden werden kann. Das ist zurzeit zweifellos ein ambitioniertes Ziel. Es gibt aber keinen zukunftsfähigen Weg, der daran vorbeiführt.
Beat Ringger (70) war während seiner Erwerbstätigkeit unter anderem Informatiker, VPOD-Zentralsekretär und geschäftsführender Sekretär der sozialkritischen Denkfabrik Denknetz. Dieser Artikel basiert unter anderem auf Arbeiten der Denknetz-Fachgruppen «Politische Ökonomie» und «Sozialpolitik, Arbeit und Care».