Singlebörse für Rechtsextreme: Wenn nur die reine Liebe zählt

Nr. 41 –

Ein Datingportal für weisse Rechte verbindet völkische Ideologie und antisemitische Verschwörungsmythen mit der Suche nach der perfekten Beziehung.

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Karte der Schweiz mit Kommentaren der Nutzer:innen von «White Date»
Sechs in Basel: Insgesamt 39 Schweizer Profile finden sich auf «White Date». Quelle: https://okstupid.lol, Stand am 7. Oktober

Andreas (26) aus Winterthur sucht «eine Schweizer Frau, am besten mit eher blonden Haaren und blauen Augen, damit die nordischen Gene nicht verloren gehen». Mike (62) aus Basel gibt an, sich für Chemtrails, Ufos und den «Genozid an den Weissen» zu interessieren. Ein User namens «Bergsee» (24) aus Interlaken schreibt über sich selbst: «Ich bin Nationalsozialist, der sich nach dem Ende dieser Weimarer Republik 2.0 sehnt.»

Die Zitate stammen aus Profilseiten von Schweizer Mitgliedern der Partnerbörse whitedate.net, eines Portals exklusiv für Weisse. Zugang dazu haben eigentlich nur verifizierte Mitglieder, doch ein Datenleak, das die WOZ und die deutsche Wochenpublikation «Die Zeit» einsehen konnten, legt viele sensible Daten des Netzwerks offen. Fast 8000 Menschen auf der ganzen Welt suchen auf diesem «Parship für Rechtsextreme» nach der Liebe. 39 davon geben an, in der Schweiz zu leben, 684 in Deutschland. Dort beschrieb der Verfassungsschutz bereits 2019 – zwei Jahre nach der Gründung der Site – das Portal als «Extremismus im digitalen Raum».

Das Prinzip: Weisse sollen andere Weisse kennenlernen, um im besten Fall weisse Kinder zu zeugen. Oder in den Worten von Plattformbetreiberin Christiane H.: Ziel sei es, «die exklusiv weisse Gemeinschaft wieder aufleben zu lassen», um den «weissen Völkermord» zu verhindern.

Eine «braune Internationale»

Christiane H., die in der Nähe von Kiel lebt, tritt unter dem Pseudonym «Liv Heide» in rechtsextremen Szenemedien auf. Die 57-Jährige wähnt sich im «Rassenkrieg» und unterhält Kontakte in die Holocaustleugner:innen- und Neonaziszene. Auf Anfrage wollte sich H. nicht äussern.

Der Datingaspekt sei nur ein Feature auf der Website, sagt sie in einem Youtube-Interview. Der eigentliche Kern des Portals sei die Gruppenfunktion. Darüber vernetzen sich die Mitglieder miteinander, diskutieren über Kirche, Permakultur oder die besten Grossstädte für Konservative, aber auch über den Aufbau «weisser Gemeinschaften» zur Vorbereitung auf einen kommenden «Rassenkrieg». 2019 sagte Christiane H. in einem rechtsextremen Podcast zum Ziel der Vernetzung: «Wir müssen uns organisieren im privaten Bereich», «weltweit kleine Zellen aufbauen». Diese Zellen müsse man dann auch verteidigen.

Für Rechtsextreme stand lange der Kampf für die eigene Nation im Mittelpunkt. Aber seit einigen Jahren ist eine Veränderung zu beobachten: Länderübergreifend vereinigen sie sich zu einer «braunen Internationale». Der Verschwörungsglaube, gemeinsam die «weisse Rasse» zu verteidigen, auch über Nationalstaatsgrenzen hinweg, schweisst sie zusammen. Feminismus, Judentum, Homosexualität, Linke oder George Soros seien demnach schuld am Verschwinden der Weissen. Diese Feinde seien global, darum müsse man sie auch global bekämpfen. Eine Wahnidee, mit der Neonazis überall etwas anfangen können. Über die Hälfte aller angemeldeten Profile auf «White Date» geben an, US-Amerikaner:innen zu sein. Danach folgen Deutschland, Grossbritannien und Kanada. Glaubt man den Angaben der Mitglieder, sind die Nutzer:innen durchschnittlich 37 Jahre alt. Nur zwölf Prozent sind Frauen.

Christiane H. selbst ist als «Nordfrau» auf ihrem Datingportal registriert. Weisse Bluse, Perlenohrringe, freundliches Lächeln. Hobbys: Feng-Shui, Brunchen und Naturgeister. Über ihr «Aufwachen», die Initialzündung ihrer Radikalisierung, erzählt H. in einem Interview: «Als ich noch verheiratet war, war ich alles andere als aufgewacht. Ich dachte, Juden seien Europäer.» Dann sei sie auf entsprechende Videos gestossen, und ihr sei klar geworden: «Wir Weisse sind ja schon fast weg vom Fenster.» Je mehr Videos H. konsumiert habe, desto überzeugter sei sie von antisemitischen Verschwörungsmythen gewesen, zum Beispiel jenem, dass der israelische Geheimdienst Mossad hinter den islamistischen Anschlägen im Pariser Bataclan von 2015 stecke, heisst es in ihrem ehemaligen Umfeld.

H. lebte damals in Paris und war mit einem Franzosen verheiratet, dessen jüdischer Vater die Shoah überlebte. Ihr Exmann hat sie als konservative Partnerin in Erinnerung, als Bismarck-Fan mit traditionellen Rollenvorstellungen von Mann und Frau. Seine jüdische Familiengeschichte, sagt er, habe zwischen den beiden keine Rolle gespielt. Das Paar lernte sich 2011 kennen, pflegte einen internationalen Freund:innenkreis und verkehrte auf musikalischen Soirées des israelischen Dirigenten Eliahu Inbal. 2015 habe H. dem Exmann das erste Mal einen Link weitergeleitet, in dem von einem «grossen Austausch» fantasiert worden sei. Er habe sie gebeten, ihm keine weiteren Videos dieser Art zu schicken.

Bei einem Abendessen mit Freund:innen im Dezember 2017 sei all das, was Christiane H. seit dessen Bitte nicht mehr an ihren Exmann weitergeleitet hat, aus ihr herausgebrochen «wie ein Tsunami». Er habe sich darauf «aus politischen Gründen» getrennt, sagt er. Anschliessend baut H. «White Date» auf.

Unterstützung von Neonazis

Nach fast zwei Jahrzehnten in Frankreich zieht H. zurück nach Deutschland und beginnt, «White Date» strategisch in rechtsextremen Kreisen zu bewerben – ein Netzwerk für «Europide», wie es auf der Seite heisst: ein veralteter Begriff, der von NS-Rassentheoretikern erfunden wurde. H. zählt sich nun ganz offen zur «Pro-Weisse-Bewegung, die aufgeklärte Weisse vereint, die sich ihrer Rasse bewusst sind und sich gegenseitig im Kampf gegen das Aussterben unseres Volkes unterstützen».

Auch offline sucht Christiane H. den Kontakt zur extremen Rechten. Nach Informationen von «Zeit» und WOZ besuchte sie Veranstaltungen des Bunds für Deutsche Gotterkenntnis Ludendorff. Die völkische Gruppierung wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Benannt nach Erich Ludendorff, massgeblich Beteiligter am Hitler-Putsch von 1923, stützt sich die Gruppe auf dessen völkische Ideologie und Esoterik.

Unterstützt wird H. auch von bekannten Neonazis wie dem Musiker Frank Kraemer, der 2016 mit seiner Rechtsrockband Stahlgewitter vor 5000 Rechtsextremen im sankt-gallischen Unterwasser auftrat und seinen Youtube-Kanal zum Bewerben von «White Date» nutzt. Oder dem einschlägig bekannten Schweizer Holocaustleugner und Gründer der rechtsextremen Europäischen Aktion, Bernhard Schaub. Auf ihrer Website verlinkt H. zum Versandhandel Der Schelm, der nationalsozialistische und antisemitische Literatur vertreibt.

Christiane H. betreibt neben «White Date» auch zwei weitere Seiten: die Adoptionsplattform «White Child» für weisse Kinder und Samenspender und «White Deal», eine Plattform, die Firmen weisse Mitarbeiter:innen vermitteln soll. Sie selbst scheint es mit diesem Credo jedoch nicht so genau zu nehmen: Programmiert werden all ihre Websites nach Informationen von WOZ und «Zeit» von einem indischen IT-Fachmann, die Buchhaltung führt ein Mitarbeiter in Madagaskar.

2019 verkündete H. auf ihrer Website: «Ich bin überglücklich, die Geburt unseres ersten White-Date-Babys bekannt zu geben! Hoffentlich werden noch viele weitere folgen.»