Rechtsextremismus: Die Schwiegersohn-Neonazis
Die Junge Tat versucht ihre Themen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Woher die Gruppe kommt, wie sie sich verorten lässt, wer die Köpfe dahinter sind.
Hagenbuch, in den Hügeln zwischen Winterthur und Frauenfeld. Direkt an der Hauptstrasse steht ein Bauernhof. Nichts Aufregendes, ein kleines graues Wohnhaus, eine grosse Scheune aus dunklem Holz und dahinter ein Garten. Die schrankgrossen Löcher in der Scheunenwand sind mit hellen Holzplatten verdeckt. Gut vor neugierigen Blicken geschützt, traf sich hier bis vor ein paar Wochen regelmässig eine Gruppe von etwa fünfzehn bis zwanzig jungen Männern.
Das Bauernhaus ist so etwas wie die Zentrale der Jungen Tat (JT) – jener rechtsextremen Gruppierung, die gerade in die Öffentlichkeit drängt.
Wir klopfen an die Tür des Wohnhauses. Manuel Corchia (21), olivgrünes T-Shirt und grüne Augen, öffnet. «Aha», sagt er und lächelt. «Ich habe Sie schon erwartet.»
Seine Stimme kommt uns bekannt vor. Sie klingt wie jene eines Mannes, der Anfang 2020 in einem Telegram-Kanal Tipps aus einem Buch von James Mason vorlas. Mason, alternder Neonazi aus den USA und Vordenker der rechtsterroristischen «Atomwaffen Division», will die Gesellschaft ins Chaos stürzen, um einen apokalyptischen «Rassenkrieg» zu beginnen, damit danach eine weisse Elite herrschen kann. «Die Juden, die Schwarzen und die Bürokratie […] würden sehr schnell den Tod finden», sprach der Vorleser. Und dann: «Wir werden gewinnen. Wir werden wie unsere alten Götter des Donners und Blitzes.»
Die Geschichte der Jungen Tat ist auch die eines Rebrandings.
Einige Monate später, zum Geburtstag von Adolf Hitler, loggte sich Corchia gemeinsam mit fünf Kollegen bei mehreren Onlinevorlesungen der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ein (Username: «Alles Gute A.H. 88»). Jemand schrie: «Heil Hitler!»
Vor dem Bauernhaus in Hagenbuch lächelt Corchia zufrieden. Er hat ein paar erfolgreiche Wochen hinter sich.
Mitte Oktober bauten sich rund zehn vermummte Männer der JT vor dem Kulturzentrum Tanzhaus mitten in Zürich auf. Draussen zündeten sie Rauchpetarden und riefen Sprüche, drinnen versuchten sie, ein queerfeindliches Transparent («Familie statt Gender-Ideologie») zu entrollen, woran sie allerdings gehindert wurden. Im Tanzhaus fand gerade eine Vorlesestunde für Kinder statt, organisiert von Dragqueens. Die Medien berichteten ausführlich über den Angriff.
Ein paar Tage später luden Corchia und ein weiteres JT-Mitglied ein Video auf ihren Telegram-Kanal, in dem sie ihre Attacke auf die Vorlesestunde erklären wollten. Die zwei jungen Männer mit strengem Seitenscheitel traten auf, als hätten sie nichts zu befürchten. Als sei nichts daran ungewöhnlich, dass sich zwei Rechtsextreme mit Namen und Gesicht öffentlich zu Wort melden. (Die Staatsanwaltschaft sah das anders und leitete ein Verfahren ein.)
Die Sache nahm Fahrt auf. Samuel Balsiger, Fraktionschef der SVP im Zürcher Stadtparlament, forderte in einem Vorstoss die Absetzung der Drag-Vorlesestunde. «Aktivismus wirkt!», schrieb ein Mitglied der JT anschliessend auf Twitter. Wenig später veröffentlichte die SVP Schweiz auf Twitter ein Foto mit der Unterschrift: «Genug vom Gender-Terror? Jetzt SVP-Mitglied werden.» Die wähler:innenstärkste Partei des Landes knüpfte damit nicht nur an die Kampagne der Rechtsextremisten an, sie wählte auch eine noch radikalere Begrifflichkeit.
Vom offenen Propagieren des Nationalsozialismus zur Störaktion: Die Geschichte der Jungen Tat ist auch die eines Rebrandings, das rechtsextreme Kontinuitäten verschleiern soll. Wen genau schleudert es hier eigentlich gerade in den politischen Orbit?
Die Donnergötter aus Winterthur
Vieles von dem, was sich später entfaltete – ideologisch und strategisch –, begann vor drei Jahren in Winterthur, in einem Wohnblock am Rand eines kleinen Parks. Dort lebte Manuel Corchia bei seinen Eltern. Dort gründete er die neonazistische Gruppe Eisenjugend, auf deren Telegram-Kanal jemand stundenlang nationalsozialistische Propaganda vorlas. Dort bewahrte er seine Waffen auf. Laut einem Jugendfreund besass Corchia eine Kalaschnikow, zwei Karabiner, zwei Pistolen und Munition.
Corchia studierte damals Scientific Visualization an der ZHdK. Er schien besessen vom Verschwörungsmythos des «Grossen Austauschs», wonach die westliche Gesellschaft vor dem Untergang stehe, weil Muslim:innen und Nichtweisse, angetrieben von – vorzugsweise jüdischen – Eliten, langsam die Weissen verdrängen würden. «Schweizer zu sein, heisst, weiss zu sein», stand im Blog der Eisenjugend. Man wolle «gegen den schleichenden Genozid unseres Volkes einstehen». Auch in seiner letzten Seminararbeit an der Kunsthochschule – Thema «Volksgeschichtliche Identifikation» – knüpfte Corchia an diese Weltverschwörung an.
Im September besuchten JT-Anhänger den Buurezmorge der Stadtberner SVP-Sektion.
Im Telegram-Kanal der Eisenjugend wurde, quasi als konkrete Handlungsmöglichkeit, auch das Manifest des Rechtsterroristen von Christchurch geteilt – er hatte es verfasst, bevor er 51 Muslim:innen erschoss. «Es behandelt hochaktuelle Themen», hiess es dazu.
Um Corchia fanden eine Handvoll junger Männer in der Eisenjugend zusammen. Und sie stiessen auf Gleichgesinnte. Ungefähr zeitgleich entstand die Nationalistische Jugend Schweiz (NJS), eine Ansammlung von Männern, Teenagern meist, die wie Skinheads aus den Neunzigern auftraten, einfach ohne Glatze und mit Turnschuhen. Insgesamt trafen sich so ein gutes Dutzend Leute im Raum Winterthur.
Im August 2020 erhielt Corchia erstmals Besuch von der Polizei. Bei einer Razzia wurden seine Waffen beschlagnahmt. Später wurde er von der Kunsthochschule ausgeschlossen. Und die Staatsanwaltschaft war auf die Attacke auf die Onlinevorlesung der ZHdK aufmerksam geworden. Im Januar 2021 nahm die Polizei gleichzeitig mehrere Hausdurchsuchungen vor. Bei einem weiteren Eisenjugend-Mitglied wurde ebenfalls ein ganzes Waffenarsenal eingezogen: eine halb automatische Pistole des Typs Glock 19, eine Kalaschnikow, ein Schrotgewehr der Marke Ruger und haufenweise Munition.
Sechs junge Männer, darunter Corchia, wurden später wegen Rassendiskriminierung zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Mit den Äusserungen in der Onlinevorlesung, schrieb der Staatsanwalt im Strafbefehl, «verbreiteten die Beschuldigten die Ideologie des Nationalsozialismus und diskriminierten die Gruppen der Juden und diejenige dunkelhäutiger Menschen, indem sie diese in ihrer Menschenwürde krass herabsetzten und Hass gegen sie schürten». Corchia wurde zusätzlich verurteilt, weil er eine AK-47 besass, ohne dafür eine Bewilligung zu haben.
Einige der Männer bekamen es mit der Angst zu tun und stiegen aus. Eisenjugend und NJS lösten sich auf. Für einen kurzen Moment schien es, als sei selbst Corchia verunsichert. Aber er war nicht allein.
Unter brauner Flagge
Ungefähr zur gleichen Zeit wie Corchia erschien Tobias Lingg auf der Bildfläche. Lingg, heute zwanzig Jahre alt, stammt aus dem Kanton Luzern. Bis im August 2021 arbeitete er als Logistiker bei einer grossen Transportfirma. Was er seither beruflich macht, ist unklar. Auch Lingg war bei der Attacke auf die Onlinevorlesung beteiligt – Username «Geburtstagsgast A.H.». Auch er wurde wegen Rassendiskriminierung verurteilt.
Im Moment der Verunsicherung im Sommer 2020 stiessen sie auf altgediente Neonazis. Die Nationale Aktionsfront (NAF), nach eigenen Angaben eine «Sammelbewegung völkisch-nationaler Gruppierungen», nahm die Jungen um Corchia und Lingg auf. Es war, wie wenn man eine Zugbrücke herunterlässt. Die JT wurde gegründet, quasi als Jugendorganisation der NAF. Auf den Sturmmasken, die die Mitglieder in einigen Videos tragen, prangte die Tyr-Rune: ein Zeichen, das auch die Abgänger einer Reichsführerschule der NSDAP trugen und das in Deutschland verboten ist.
Schon bald knüpfte die JT neue Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen. Da war der Dortmunder Alexander Deptolla, Typ Stiernacken, der regelmässig Kampfsportevents für Neonazis veranstaltet. Da war ein Mitglied der italienischen Neonazizelle Avanguardia Rivoluzionaria, das die JT in Bern besuchte. Kurz danach wurden vier aus der Gruppe verhaftet, weil sie Anschläge geplant hatten. Und vor allem war da das internationale Netzwerk Blood and Honour (B & H), das in Deutschland seit langem verboten ist. Dessen bewaffneter Arm heisst Combat 18, was so viel wie «Kampftruppe Adolf Hitler» bedeutet. Mehrere Anhänger der NAF befanden sich im langwierigen Aufnahmeprozess für B & H oder waren bereits vollwertige Mitglieder.
Die NAF führte bloss ein Schattendasein. Sie hatte nur wenige Mitglieder und grosse Nachwuchsprobleme, und in den Medien war sie praktisch nie Thema. Knapp 500 Personen abonnierten ihren Telegram-Kanal. Mit Corchia, Lingg und ihrem Umfeld begann sich das zu ändern. Im November 2020 veröffentlichte die JT ihr erstes Propagandavideo. Zwar war darin nicht viel anderes zu sehen als das, was die Älteren schon getan hatten – boxen, wandern und manchmal Bücher lesen. Aber das Video wirkte professionell gemacht, und die gefilmten jungen Männer sahen, sofern sie keine Masken oder Shirts bekannter rechtsextremer Labels trugen, recht unauffällig aus in ihren North-Face-Jacken und Turnschuhen. Bis heute wurde dieses Video fast 39 000-mal angesehen.
Dann geschahen zwei bemerkenswerte Dinge. Im Juli 2021 tauchten bis zu neunzig Neonazis bei einer Gedenkfeier für die Schlacht von Sempach auf. Praktisch alle, die in der Szene Rang und Namen haben, marschierten zum Winkelrieddenkmal; Mitglieder von Combat 18, B & H, Hammerskins. Und Lingg und Corchia. Dort angekommen, durfte Corchia, der zwanzigjährige Neuling, die Hauptrede halten. «Es ist die Pflicht eines jeden, tatkräftig für Volk, Freiheit und Vaterland zu handeln», sagte er (wir wissen das, weil der «Tages-Anzeiger» dort ein Mikrofon versteckt hatte). «Ich rede nicht vom eigentlichen Schlachtfeld. Noch nicht. Aber jeder von uns kann im Geist von Arnold Winkelried kämpfen. Ja, ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen. Jeder von uns muss kämpfen.»
Ende Januar 2022 kam es zum bisher grössten Auftritt der JT. An diesem Tag fand in Bern eine Demonstration gegen die Coronamassnahmen statt. Rechtsextreme hatten solche Demos schon lange als Möglichkeit ausgemacht, neue Anhänger:innen anzuwerben. Sie verteilten Flugblätter mit der Aufschrift «Jugend gegen Impfzwang». Nicht selten war die Stimmung dabei aggressiv: In Luzern schlug Lingg auf einen am Boden liegenden Gegendemonstranten ein, wie ein Video zeigt.
In Bern setzten sich die JT-Anhänger an die Spitze des Umzugs, zusammen mit weiteren Neonazis, dreissig bis vierzig an der Zahl. Lingg und ein Kollege gingen mit einem Megafon in der Hand voran und gaben Kommandos. An der Demo mitmarschiert ist auch der Neonazi Manuel B. Tags zuvor hatte er noch die Beerdigung eines der bekanntesten Rechtsextremen Deutschlands in Dortmund besucht und einen Trauerkranz aufs Grab gelegt, auf dessen Schleife ein Symbol von B & H Schweiz zu lesen war.
An diesem Tag Ende Januar wurden die älteren Neonazis der NAF zum letzten Mal zusammen mit der JT gesehen. Die Gruppierungen trennten sich. Offenbar war es zu einem Streit um die Führung gekommen.
Und dann, Anfang November, veröffentlichte die JT das Video, das Lingg und Corchia zeigt, wie sie nebeneinandersitzen und so tun, als wäre nichts dabei, ein bisschen Rassenkrieg gespielt zu haben. Und wie sie alles dafür tun, sich ein neues Gesicht zu geben. Lingg sprach von «jugendlichem Leichtsinn». Corchia sagte: «Die Eisenjugend war ein falscher Start, ein Fehlschuss.» Ihre Aktionen bewegten sich «klar in demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmen». Lingg: Sie seien «keine Rechtsextremisten», agierten «konsequent gewaltfrei». Wieder Corchia: «Wir kritisieren den Bevölkerungsaustausch, der auch bei uns in der Schweiz voranschreitet.»
Inhalte wie Rassenkrieg, weisse Vorherrschaft, Symbolik wie die Tyr-Rune, Verbindungen zu neonazistischen Netzwerken, Waffen bis zum Abwinken – das alles soll sich wie von Zauberhand in Luft aufgelöst haben?
«Remigration» statt «Rassenkrieg»
Montag, Anfang Dezember. Der Himmel über Graubünden ist grau. Hinter Landquart, als die Strasse langsam zu steigen anfängt, folgt die Ausfahrt nach Grüsch. In einem Mehrfamilienhaus, das aussieht, als habe man sich beim Bau nicht zwischen Holzchalet und Wohnblock entscheiden können, wohnt Moritz Frey bei seinen Eltern. Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags, Schneeregen fällt vom Himmel.
Frey, neunzehn, ist neben Corchia und Lingg der dritte Mann, der mit Namen und Gesicht für die JT auftritt. Er stiess zur Gruppe, nachdem er ihr erstes Video gesehen hatte, und stieg bald auf. Dafür gab er diesen Sommer seine Lehre als Multimediaelektroniker auf, kurz bevor er ins letzte Lehrjahr gekommen wäre. Sein ehemaliger Chef sagt: Frey sei nie mit politischen Äusserungen aufgefallen, aber dann sei er auf dessen Engagement aufmerksam geworden. Er habe Frey vor die Wahl gestellt: Entweder sage er sich von allem los, «solches Gedankengut ist nicht zu tolerieren», oder er verliere die Lehrstelle. Frey aber habe nicht aufhören, sondern ihm zeigen wollen, was die JT so mache, worauf er sich nicht eingelassen habe. Innert Monatsfrist erfolgte die Kündigung.
Frey rattert das Treppenhaus hinunter. Ein grosser blonder Junge mit nettem Gesicht. Er war gerade beim Mittagessen. Sein dunkelblaues Polohemd hat er sich in die Hose gesteckt, es wirkt etwas ausgewaschen, auf der Brust prangt ein dreieckiges Symbol, das die Buchstaben S und V zeigt.
«Haben Sie das von Ihren belgischen Freunden von Schild & Vrienden erhalten?»
Frey freut sich. «Das erkennen Sie?», sagt er stolz.
Schild & Vrienden, eine rechtsextreme Jugendgruppe aus Flandern, hatte Frey zusammen mit Corchia und Lingg vor einem Jahr besucht. Gemeinsam hissten sie, eine Sturmmaske übers Gesicht gezogen, ein Banner mit dem Slogan «Heimatschutz statt Mundschutz». Die belgische Gruppe ist eine von vielen, mit denen die JT in Kontakt steht.
Zeichnet man all die Verbindungen auf Papier nach, entsteht eine Art Wanderkarte mit vielen offenen oder verschlungenen Pfaden, die durch die Schweiz, durch Italien, Belgien, Österreich und Deutschland führen. Welchen Pfad man auch nimmt, irgendwann landet man in einem kleinen Ort in Sachsen: Schnellroda. Auf einem alten Gutshof betreibt der neurechte Verleger Götz Kubitschek das Institut für Staatspolitik (IFS), eine Art Denkfabrik, die seinen Thesen einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen soll. Für den Landesverfassungsschutz Sachsen-Anhalt gilt das Institut als rechtsextrem.
Frey trug das dunkelblaue Polohemd auch vor ein paar Wochen, als er und Lingg nach Schnellroda fuhren, um dort die «Sommerakademie» des IFS zu besuchen. Auch der Wiener Martin Sellner war anwesend. Früher brachte er Hakenkreuzaufkleber (mit dem Zusatz «Legalisiert es») an eine Synagoge an, hat aber bereits eine zumindest vordergründige Transformation hinter sich. Heute ist er Aushängeschild der Identitären Bewegung. Frey, Lingg und Corchia scheinen sämtliche Thesen aufzusaugen, die von Schnellroda aus in die Echokammern rechtsradikaler Verteiler gesendet werden.
Fasst man diese Thesen zusammen, kommt man auf etwas, das gleichzeitig Ideologie und Handlungsanweisung ist: die «Konservative Revolution», eine Sammelbewegung aus der Zeit der Weimarer Republik. In der Geschichtswissenschaft wird sie als Wegbereiterin des Nationalsozialismus eingestuft. Etliche Vertreter der Neuen Rechten beziehen sich auf die Theoretiker der Strömung, auch die JT preist in ihren neusten Videos deren Bücher an.
All das ist wohl Ergebnis einer nüchternen Berechnung: Wie weit muss man sich vom dumpfen Springerstiefelnazi entfernen, um in der Mitte der Gesellschaft anzukommen? Man redet nicht mehr vom «Rassenkrieg», sondern von «Remigration» und vom «Grossen Austausch», was letztlich das Gleiche ist.
Frey steht vor dem Hauseingang des Chaletblocks und zittert vor Kälte. «Warum haben Sie sich der Jungen Tat angeschlossen?» Er lächelt und sagt, wir hätten doch nicht extra hierherfahren müssen, man könne sich ja mal in Zürich treffen, und er werde jetzt keine Fragen beantworten. Man solle ihm die Fragen per Instagram schicken.
«Und Sie haben überhaupt kein Problem damit, mit zwei Männern zusammenzuarbeiten, die wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurden?»
«Ich distanziere mich von jeglichem Extremismus und auch vom Nationalsozialismus», antwortet Frey. Der Satz klingt wie auswendig gelernt.
«Die Leute gehen in Seminare oder Schulungen, wo sie ideologisch und sprachlich geschult werden: Was muss man sagen, damit man nicht in die nationalsozialistische Ecke gerät?» Das sagt Damir Skenderovic, Geschichtsprofessor an der Universität in Fribourg. Seit bald dreissig Jahren forscht er zu Rechtsextremismus in der Schweiz, das Auftreten der JT verfolgt er genau.
Einerseits habe sich die Gruppe mithilfe medialer Mittel und einer spezifischen Ästhetik ein modernes Image zugelegt, mit dem sie sich ikonografisch von älteren Rechtsextremen unterscheide. Andererseits gleiche die JT in ihrer Ideologie, etwa der Vorstellung von einer rassistischen, biologistischen Ordnung in der Gesellschaft, den identitären Gruppen in anderen europäischen Ländern.
Dass diese Gruppen miteinander vernetzt sind, spiegelt sich auch in der Ästhetik. Das Banner der JT an der Coronademo in Bern etwa glich einem Transparent, das vermummte Neonazis kurz zuvor durch Wien getragen hatten. Skenderovic spricht von einer «Globalisierung des Rechtsextremismus», die mit den sozialen Medien eine neue Ebene erreicht habe. Die Gruppen kopierten, was sie anderswo gesehen hätten, und beeinflussten sich so gegenseitig. Mit ihren inszenierten Wanderausflügen in den Alpen hingegen propagierten sie das Helvetische, schliesslich sei Wandern ein nationaler Volkssport. Laut Skenderovic hat das im Schweizer Rechtsextremismus eine lange Tradition. Dabei gehe es auch um eine «Männlichkeitsinszenierung».
Zur Sonne, zur SVP
Wir lassen die Bündner Berge hinter uns. Der Weg führt durchs St. Galler Rheintal, vorbei am Städtchen Buchs. Dort lebt Joel K., 26 Jahre alt. Bei der Coronademo in Bern lief er in der ersten Reihe, um das Transparent der JT zu tragen. Von 2018 bis 2019 war er Präsident der örtlichen SVP-Sektion, zuvor Vizepräsident der Jungen SVP des Kantons St. Gallen. Laut dem heutigen Präsidenten ist K. seit zwei Jahren nicht mehr Mitglied.
Die JT suchte gerade in den letzten Monaten vermehrt den Kontakt zur SVP. Im September besuchten einige Anhänger den Buurezmorge der Stadtberner Sektion in Bümpliz. Das zeigt ein Foto, das Corchia später auf Instagram hochlud. Kurz darauf tauchten Corchia und Frey bei einem Vortrag von SVP-Nationalrat Roger Köppel in Uster auf. Der «Weltwoche»-Verleger postete freudig ein Selfie, im Publikum hinter ihm sind die beiden zu sehen. Ende November dann hissten mehrere Männer auf dem Dach des Basler Bahnhofs ein Transparent mit der Aufschrift «Kriminelle abschieben». Daneben das von den SVP-Plakaten zur «Masseneinwanderungsinitiative» bestens bekannte weisse Schaf, das ein schwarzes Schaf tritt. Diverse Medien verbreiteten Bilder der Aktion, und auf Social Media wurde diskutiert, ob die Anliegen der Rechtsextremen nicht doch berechtigt seien.
«Personell hat es in der Schweiz immer wieder Verbindungen zwischen der extremen Rechten und den rechtspopulistischen Parteien gegeben», sagt Historiker Skenderovic. Dann kommt er auf das Transparent in Basel zu sprechen. Mit der Verwendung der SVP-Ikonografie habe sich die JT «quasi selbst legitimiert», schliesslich habe sie sich damit ja bloss bei einer Bundesratspartei bedient.
«Gegen aussen ist die JT sozusagen das Gesicht der extremen Rechten», sagt Skenderovic weiter. «Mit ihrer geschickten Art der Kommunikation, der Nutzung von Social Media, bewegen sie sich aber kommunikativ im Mainstream und sind so für viele Menschen attraktiv – auch vor dem Hintergrund von Studien zu Rechtsextremismus bei Jugendlichen: 2006 hatten zehn Prozent der Jugendlichen zwischen sechzehn und zwanzig – das war eine repräsentative Umfrage – entsprechende Sympathien.»
Damir Skenderovic vermutet, dass die JT mit ihrem Auftreten und ihren Forderungen durchaus anschlussfähig ist. «Sie nehmen Themen aus den breiten öffentlichen Debatten auf: Gender, Asyl, Migration, EU, Identität. Aber anschlussfähig sind sie auch, was die Inszenierungen, die Ästhetik, die Art und Weise der Aktionen angeht: Testosteron für Männer, die das Gefühl haben, das entspreche ihrer Vorstellung von Action. Man ist nicht abgeschreckt, weder von der Ästhetik noch vom äusseren Erscheinungsbild, die sehen ja alle ganz unauffällig aus. Das gibt eine grössere Anschlussfähigkeit als bei martialischen, tätowierten Skinheads.»
Im Ernstkampf
Am späten Nachmittag in Hagenbuch, wo Manuel Corchia uns schon erwartet hat. Auf dem Bauernhof, der einem Verwandten gehört, wohnt er mit seiner Freundin, die an der Zürcher Fachhochschule ZHAW studiert. Wie sich die Junge Tat finanziert, ist unklar. Bei der Raiffeisenbank besitzt sie unter dem Decknamen «Kulturverein 1476» ein Konto. Corchia führt eine im Handelsregister eingetragene Einzelfirma für Visualisierungen, ab und zu arbeitet er als Hilfsmaurer.
Zum Geld sagt er nichts, wie er überhaupt nichts sagt, ausser dass wir ihm unsere Fragen schriftlich stellen sollen. Dann verschwindet er im Haus. Aus dem Innern ist ein dumpfes Hämmern zu hören. Zwei, drei Minuten später taucht Corchia mit einer Kamera in der Hand auf und sagt: «Ich glaube, Sie müssen jetzt gehen.»
Die Antwort auf einen ausführlichen Fragenkatalog an Corchia und Frey fällt bescheiden aus: «Die meisten Fragen sind lächerlich und diffamierend. Schauen Sie unsere Videos.»
Einen Tag nach der Begegnung in Hagenbuch veröffentlicht die Junge Tat das Video eines Boxtrainings, an dem knapp zwanzig junge Männer teilnahmen. Man sieht, wie sie, in zwei Gruppen aufgeteilt, aufeinander losgehen. Als probten sie den Ernstkampf.