Auf allen Kanälen: Bitte wegräumen
Die Berichterstattung zur Palästinademo in Bern lässt autoritären Fantasien freien Lauf.

Schwarz gekleidet in Vollmontur sind sie am 11. Oktober aus der ganzen Schweiz und Liechtenstein angereist, um mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Reizgas die Ordnung in der Berner Innenstadt zu verteidigen. Doch die Scheiben der UBS-Filialen zerbarsten trotzdem, an den Wänden prangten Tags und Farbe. Und nicht nur das: Seitdem die Farbbeutel platzten und die Scherben klirrten, befindet sich auch die Schweizer Medienlandschaft in Aufruhr.
Noch zehn Tage nach der unbewilligten Palästinademonstration mit (laut «Republik»-Drohnenanalyse) zwischen 7000 und 8000 Teilnehmenden erscheinen täglich neue Artikel. Eine Suchanfrage in der Schweizer Mediendatenbank listet bereits Hunderte Beiträge. Zahlreiche Medien stilisieren dabei die Demonstration zur «Schande von Bern», man fordert etwa ein Vorgehen «mit aller Härte» gegen die «Krawallbrüder» (CH-Media-Titel). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Anliegen des Protestzugs ist in der Berichterstattung kaum zu finden, dafür aber kreative Bezeichnungen für diejenigen, die für die Eskalation verantwortlich sein sollen: Einmal sind es die «Krawallanten» oder «Gewaltextremisten», dann wieder die «Chaoten» oder «Demo-Deppen».
Tausende demonstrierten friedlich
In vielen Medien wird der nicht nur völlig realitätsferne, sondern auch grundrechtsfeindliche Wunsch laut, die Demo hätte «im Keim erstickt» werden müssen. So zitiert der «Blick» FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen: «Man hätte sie von Anfang an wegräumen sollen.» Dass zugleich Tausende an diesem Tag friedlich protestierten, blendet die Berichterstattung nicht nur an dieser Stelle weitestgehend aus. Im Fokus bürgerlicher Medien steht stattdessen die «Gewaltorgie des schwarzen Blocks», damit einher geht die Legitimierung ausufernder polizeilicher Repression.
536 Personen hat die Polizei eingekesselt und vorübergehend festgenommen. Dem «Bieler Tagblatt» fällt dazu der Titel «Ist der Polizei ein Coup gelungen?» ein, zudem spekuliert die Zeitung, wer sich wohl unter den Sturmhauben verbergen könnte. Gleichzeitig verlangt SVP-Präsident Marcel Dettling im «Blick», alle Namen der Eingekesselten zu veröffentlichen und sie an den Pranger zu stellen – ein Vorgehen, das unter dem Begriff «Doxing» bekannt ist und strafrechtlich verfolgt werden kann.
Platzwunden und Traumata
Die letzten festgenommenen Personen blieben bis in die Nacht eingekesselt und wurden erst frühmorgens freigelassen. Das geht dem Verband Schweizerischer Polizei-Beamter nicht weit genug, er fordert ebenfalls im «Blick» härtere Strafen für gewaltbereite Demonstrierende, während sich in der NZZ Mitte-Nationalrat Reto Nause unter der Schlagzeile «Die Politik will Krawallanten härter anpacken» eine permanente Überwachung der linken Szene wünscht.
In der «Berner Zeitung» glaubt derweil ein «Extremismusexperte» zu wissen, dass es einigen Demonstrierenden nur um den «Spass an der Action» gegangen sei. Dabei dürften die mindestens 326 Personen, die laut teilnehmenden Organisationen während der Demo Verletzungen erlitten, eher wenig Spass am konfrontativen Vorgehen der Polizei gehabt haben. Doch in den meisten Medien geht es nicht um die hohe Zahl von Kopfplatzwunden oder Traumata durch Gummigeschosse, die Augenreizungen durch Reizgas und die Unterkühlungen durch stundenlange Einkesselung. Viel wichtiger scheinen die Sachschäden, die sich laut polizeilicher Medienmitteilung zu einem Betrag in Millionenhöhe addiert haben sollen.
Auf die Spitze treibt es der Berner FDP-Regierungsrat Philippe Müller, der Kleinkinder und Babys an der Demo beobachtet hat und daher eine Gefährdungsmeldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) fordert. Zudem will der Freisinnige als Reaktion auf die Berner Demo in trumpistischer Manier «die» Antifa verbieten. Das mag eine illusorische Forderung sein, die aber gravierende Konsequenzen für Leute haben könnte, die sich politisch engagieren.
Ängstlich fragt auch der «Bote der Urschweiz»: «Was steckt hinter der Antifa?» Antworten darauf lassen sich womöglich am 15. November finden. Dann nämlich soll in Zürich unter dem Slogan «Antifa überall!» gegen die zunehmende Kriminalisierung des Antifaschismus demonstriert werden.