Repression am 1. Mai: Polizeiliche Absurditäten
Eine enthemmte Polizei stürmt in Basel die 1.-Mai-Kundgebung, deckt Arbeiter:innen und Familien mit Reizgas ein. Und in Zürich wird ein junger Mann schwer am Auge verletzt.

Ist das der eine polizeiliche Übergriff zu viel – oder passiert wieder nichts? Das ist die Frage, die sich in Basel nach dem 1. Mai stellt.
Zunächst verläuft die angemeldete und bewilligte Demo völlig ruhig. Doch es dauert nicht lange, bis Polizist:innen mitten in die Menge stürmen. Sie trennen einen Teil des Zuges vom Rest ab und kesseln die Personen während ganzer sieben Stunden ein. Dabei setzen die Beamt:innen aus kürzester Entfernung Reizstoff und Gummischrot gegen die Menschen ein. Der Tag der Arbeit – von der Polizei zerschlagen. Das bedeutet selbst in Basel eine neue Qualität an Repression gegen Linke und Minderheiten. Dabei wurden in dieser Hinsicht zuletzt kontinuierlich neue Massstäbe gesetzt.
«An Absurdität nicht zu überbieten» sei der Polizeieinsatz gewesen, sagt Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan. Auch Unia-Chefin Vania Alleva ist schockiert: «So etwas habe ich an einem 1. Mai noch nie erlebt, da waren Familien mit Kindern und gewöhnliche Arbeiter:innen mittendrin, als die Polizei völlig unprovoziert Pfefferspray einsetzte. Das war absolut unverhältnismässig.» Wie Dutzende andere bekam auch Alleva Reizgas in die Augen gesprüht. Mindestens drei Demoteilnehmer:innen mussten ins Spital, mehr als 300 Personen mussten Kontrollen über sich ergehen lassen.
Traurige Rolle der SP
Als Begründung für den Einsatz führt die Polizei die Vermummung einiger Demonstrant:innen an. Diese seien zudem mit Schutzausrüstung und Pyrotechnik ausgerüstet gewesen. Die Verantwortlichen selbst – Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) und Polizeikommandant Martin Roth – zeigen bislang keine Einsicht. Dabei stellen sich gerade an Eymann als Regierungsrätin gewichtige politische und rechtliche Fragen. Zuvorderst diese: Reicht eine blosse Vermummung, um das Demonstrationsrecht gewaltsam ausser Kraft zu setzen?
Ob es zu einer echten Aufarbeitung kommt, ist offen. Das hängt auch von der SP ab, der stärksten Partei des Kantons, die bislang eine traurige Rolle spielt. Sie hatte im Vorfeld den Ausschluss des autonomen Blocks von der Demo verlangt, rückte aber später davon ab. Am 1. Mai verweigern die SP-Regierungsrät:innen zudem den Eingekesselten die Solidarität: Selbst als sie von Parteikollegen und Wählerinnen dazu aufgefordert werden, die mit geschwollenen Gesichtern und geröteten Augen neben dem Kessel ausharren, bleiben sie der Demo fern.
Auch andernorts geht es nach dem 1. Mai um die Verhältnismässigkeit. Als in Basel noch immer polizeilich verfügter Stillstand herrscht, befindet sich in Zürich eine kleine Gruppe auf dem Nachhauseweg von der offiziellen Demo. Plötzlich umstellt die Polizei die etwa sieben Personen samt ihren selbst gebastelten fahrenden Häusern, mit denen sie auf die Wohnungsnot hinweisen wollten. «Einen so absurden Einsatz habe ich noch nicht erlebt», erzählt Ronny Hauser später, der eigentlich anders heisst. Es sei völlig klar gewesen, «dass wir in keiner Weise eine Bedrohung darstellten». Ohne einen Grund zu nennen, habe die Polizei sie fast zwei Stunden festgehalten und im Anschluss weggewiesen.
Als sich Passant:innen mit den Eingekesselten solidarisiert hätten, seien sie mit Tränengas zurückgedrängt worden, berichtet Hauser. «Ich habe das willkürliche Auftreten der Polizei als reine Machtdemonstration empfunden, als Versuch, die Häuserbewegung zu kriminalisieren.» Auf Anfrage teilt die Stadtpolizei mit, sie habe die Häuser «im Sinne der Gefahrenabwehr» sichergestellt. Die Gefahr? Polizist:innen seien während der Demonstration «wiederholt aus diesen mobilen Fahrnisbauten mit Wasserballonen beworfen» worden.
In der Falle
Die Zürcher Polizei will an diesem Tag jeden militanten Protest im Keim ersticken. Das zeigt sich am Nachmittag, als sich auf dem Kanzleiareal ein Zug aus rund hundert schwarz gekleideten Personen formiert. Nach nur wenigen Metern stürmen aus allen Richtungen Einheiten in schwarzer Kampfmontur auf die Protestierenden los, sodass diesen nichts anderes übrig bleibt, als sich auf den Platz zu flüchten, auf dem zu dieser Zeit gerade ein Fest stattfindet.
Die Polizei umstellt das Gelände, bringt Wasserwerfer und Gitterfahrzeuge in Stellung: Die Demonstrant:innen sitzen in der Falle – zusammen mit Dutzenden Unbeteiligten. Auch hier solidarisieren sich Hunderte Passant:innen mit den Eingekesselten, bis sie von Wasserwerfern und Reizgas vertrieben werden. Ein Mann, der den Polizeieinsatz lautstark kritisiert, wird von einer Truppe schwarz gekleideter Zivilbeamter zu Boden gerissen und abgeführt.
Als die Polizei nach eigenen Angaben «mit Wurfgegenständen» angegriffen wird, schiesst sie Gummischrot auf die eingeschlossene Menschenmenge. Ein junger Mann, der sich auf dem Areal befand, habe durch eines der Geschosse schwere Verletzungen am Auge erlitten und notfallmässig operiert werden müssen, berichten Eingekesselte am nächsten Tag.
In einer Mitteilung schreibt die Stadtpolizei, die Umstände würden von der Kantonspolizei untersucht, die ebenfalls am Einsatz beteiligt gewesen sei. 19 Demonstrant:innen seien festgenommen, über 400 Personen weggewiesen worden. Auf Nachfrage präzisiert die Behörde, die Einkesselung sei «gemäss Polizeigesetz» erfolgt.