Humor in Syrien: Punchlines für ein traumatisiertes Land
Die Grenzen des Sagbaren werden täglich neu ausgelotet: Zu Besuch bei «Styria», dem ersten Stand-up-Comedy-Club Syriens.
Hätte Sharief al-Homsi seinen bislang derbsten Witz noch vor elf Monaten öffentlich erzählt, wäre er mit Sicherheit im Gefängnis gelandet. Vielleicht hätte er ihn sogar das Leben gekostet: Der 33-Jährige zieht ein kleines, rotes Stück Stoff aus den Tiefen seines Kleiderschranks und grinst. Ein Büstenhalter. Diesen habe er kurzerhand mitgehen lassen, am 8. Dezember 2024, als das Assad-Regime in Syrien nach mehr als einem halben Jahrhundert fiel. Homsi war auf den Strassen von Damaskus, als Tausende die Regierungsgebäude und die Häuser des geflüchteten Machthabers Baschar al-Assad stürmten, auf der Jagd nach Souvenirs aus dem Herzen der eben gestürzten Diktatur.
In der Residenz der Assads in Malki, einem wohlhabenden Viertel der Hauptstadt, fiel Homsi dabei im Chaos der rote BH in die Hände. Vermutlich zurückgelassen von Diktatorengattin Asma al-Assad, glaubt er. Vor einigen Jahren hatte sie ihre Brustkrebs- und später eine Leukämieerkrankung öffentlich gemacht. Da sei ihm die Inspiration für den makaberen Witz gekommen, sagt Sharief al-Homsi. «Bevor Asma al-Assad vom Krebs getötet wird, tötet sie den Krebs», sagt der Comedian und grinst noch breiter. «Ich weiss, der ist böse. Aber angesichts der Brutalität des Regimes hat sie es verdient.»
Humor, erst recht schwarzer, war den Syrer:innen in den vergangenen Jahren trotz aller Gewalt und Zerstörung nie ganz abhandengekommen. Witze über die Mächtigen im Land erzählte man aber besser nur im Flüsterton oder anonym im Internet. «Da wir in diesem System gross geworden sind, kannten wir die roten Linien sehr genau», sagt Homsi. Trotzdem hat er sie mehr als einmal knapp gestreift – mit seiner Crew von «Styria», dem ersten Stand-up-Comedy-Club Syriens.
Heilendes Gelächter
Seit drei Jahren treten die jungen Komiker:innen auf den Bühnen eines zerrissenen und traumatisierten Landes auf: erst unter dem Assad-Regime; und jetzt in einer Zeit, in der die Grenzen des Sagbaren unter der islamistischen Übergangsregierung von Ahmed al-Scharaa täglich neu ausgelotet werden müssen.
«Comedy ist für uns ein Weg der Heilung – für uns selbst und für unser Publikum», sagt Homsi. Wie gross das Bedürfnis danach ist, zeigen die Zahlen: Heute kommen zu den «Styria»-Shows bis zu 400 Zuschauer:innen. Über 100 000 Menschen folgen dem Instagram-Account der rund ein Dutzend Mitglieder zählenden Crew mittlerweile. Einzelne Comedians wie Malke Mardinali haben sogar noch grössere Reichweiten.
Mardinali war 2022 einer der Ersten, die sich bei Homsi meldeten, nachdem dieser im Internet Mitstreiter:innen gesucht hatte, um gemeinsam Witze zu schreiben. «Zu Beginn wusste ich nicht einmal, was eine Punchline ist», sagt der Dreissigjährige.
Inspiration fand die Crew auf Youtube, bei Videos internationaler Comedians wie dem Kanadier Russell Peters. Unterstützung erhielten sie zudem aus dem Exil: Ammar Daba, der bereits kurz nach der Jahrtausendwende versucht hatte, sich als Komiker in Syrien zu etablieren, dann aber vor dem Assad-Regime ins Ausland floh, bot ihnen einen Onlineworkshop an. Im Haus von Homsis Familie in Damaskus entstanden so die ersten Witze von «Styria» – zunächst noch ohne Zensurschere im Kopf. «Zumindest in diesem kleinen Rahmen wollten wir einen Safe Space für unsere Ideen schaffen», sagt Homsi. «Vieles davon hat diese Wände dann aber nicht verlassen.»
Statt über Politik witzelte die Crew bei ihren ersten öffentlichen Auftritten in Bars und Cafés in Damaskus lieber über Alltägliches. Homsi erzählte von seinem Vater, einem Hundetrainer, der ihm – wie er sagt – «Steilvorlagen» für Gags lieferte. Mardinali nahm das Aufwachsen in seiner christlichen Familie aufs Korn. Weil Technik wie Beleuchtung oder Mikrofone im damals noch unter internationalen Sanktionen stehenden Syrien kaum erhältlich war, baute die Crew vieles kurzerhand selbst – sogar eine mobile Bühne aus Holz, die sie zu ihren Auftritten mitbrachten.
Schon bald, erinnern sich Homsi und Mardinali, sassen im Publikum nicht mehr nur Freund:innen und Bekannte. Sondern auch Assad-Spitzel und Geschäftsleute aus dem engeren Umfeld des Regimes, die selbst zum Lachen vorbeigekommen waren. «Davon erfuhren wir meist erst im Nachhinein», sagt Homsi. Zu ernsthaften Problemen kam es nie – dank der vorsorglichen Selbstzensur. Doch manchmal reichte selbst ein subtiler Witz, um eine Rüge zu kassieren: Als sich etwa einmal ein Crewmitglied auf der Bühne darüber lustig machte, wie prunkvoll die Namen syrischer Privatschulen im Vergleich zu den schwermütigen Bezeichnungen öffentlicher Schulen klingen würden, musste die Gruppe eine Strafe zahlen.
«Als dann das Regime fiel, war das wie ein Befreiungsschlag», sagt Homsi. Fast über Nacht tauchten auf dem grossen Basar von Damaskus Socken mit verzerrten Fratzen von Hafis al-Assad und seinem Sohn Baschar auf, die sich noch immer grosser Nachfrage erfreuen. Ähnlich lief es auch für «Styria»: Immer mehr Leute kamen in den ersten Monaten nach dem Sturz des Regimes in ihre Shows. «Sie bettelten uns förmlich nach Witzen an», sagt Mardinali. «So schnell konnte ich sie gar nicht schreiben.»
Neben ihren Open-Mic-Abenden freitags in Damaskus ist die Crew seither durch nahezu alle grossen Städte des Landes getourt. Selbst mit Ammar Daba, ihrem früheren Mentor, haben sie auf dessen erster Syrienreise nach dem Regimesturz auf einer Bühne gestanden. «Wenn wir zusammen lachen können, dann können wir auch zusammenleben», sagt Homsi. Ein Satz, der zum Leitspruch der multikonfessionellen «Styria»-Truppe geworden ist.
Doch das Zusammenleben im Land wurde in den vergangenen Monaten zunehmend zur Zerreissprobe: Massaker an Alawit:innen an der Westküste im März, der Terroranschlag auf eine Kirche in Damaskus im Juni, Blutvergiessen in der südlichen, von vielen Drus:innen bewohnten Provinz Suweida im Sommer, dazu die Verhandlungen zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Selbstverwaltung im Nordosten – die Liste der Eskalationen und Konflikte ist lang. Wenn man Homsi und Mardinali darauf anspricht, hören sie auf, wie kleine Jungs herumzualbern, die sich ständig gegenseitig übertrumpfen wollen. «Früher haben wir uns vor dem Regime gefürchtet, heute fürchten wir uns vor uns selbst», sagt Homsi nachdenklich.
Zum Jubiläum auf Tour
Die neue Führung hat bisher wenig zur Versöhnung beigetragen – im Gegenteil: Immer wieder tauchen Berichte auf, dass Sicherheitskräfte an den Hassverbrechen der vergangenen Monate beteiligt waren. Bislang sei der Kontakt zu Scharaas Behörden freundlich gewesen, sagen Homsi und Mardinali. «Sie haben das Gespräch mit uns gesucht und baten uns nur, nicht zu viel über Sex und Drogen zu witzeln – und vor allem nicht über Religion», sagt Homsi. Doch Zweifel bleiben.
Seine Angst vor der Wiederkehr autoritärer Verhältnisse hat der Comedian in einem seiner Witze verarbeitet. In den sozialen Netzwerken findet sich ein Video von einem Auftritt im benachbarten Libanon. «Die Leute fragen mich, wie die Lage in Syrien ist, ob es einen Wandel gibt», sagt Homsi darin. «Wie soll ich dir den Wandel in Syrien beschreiben, mein Freund? Kennst du den Unterschied zwischen Petersilie und Koriander? Ich auch nicht.» Noch können er und die Zuschauer darüber lachen.
Zum dreijährigen Bestehen hat «Styria» landesweit zu einem Comedyfestival eingeladen. Den ganzen Oktober über tourte die Gruppe durch Syrien: Damaskus, Tartus, Aleppo, Hama, al-Hasaka, Kamischli. In all diesen Städten kam es seit dem Sturz des Assad-Regimes zu Gewalt. Und doch haben Homsi und Mardinali ihren Glauben noch nicht ganz verloren, dass Humor das geschundene Syrien vereinen kann. Quer über die Konfessionen, Fronten und Verletzungen hinweg. «Ich hoffe, wir können uns bald privilegierteren Themen widmen», sagt Mardinali. «Dem Schutz der Eisbären zum Beispiel.» Dann grinst er – und für einen Moment scheint es, als wäre diese Zukunft gar nicht so fern.