Leser:innenbriefe

Nr. 48 –

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Inspirierende Person

«wobei Nr. 5», beigelegt WOZ Nr. 39/25

Ich habe heute erst das «wobei» über Ruth Dreifuss gelesen. In einem «Schnurz», so interessant war es! Noch nie hat mir ein «wobei» so gut gefallen wie dieses, noch nie habe ich es derart aufgesogen. Frau Dreifuss ist eine wirklich inspirierende Person. So viel Gutes hat sie für unser Land und die Menschheit getan, und trotzdem bleibt sie nach wie vor auf dem Boden. Ich würde mich freuen, gäbe es mehr solcher Persönlichkeiten in unserer Politik. Vielen Dank für dieses interessante Magazin und auch sonst für alles, was ihr recherchiert. Ich bin froh, gibt es noch solchen Journalismus; weiter so!

Jens Friedrich, Oberwil

Indirekte WOZ

Diverse Texte in WOZ Nrn. 44/25 und 45/25

Der Journalismus berichtete früher über die Welt, heute beschreibt er nur noch, wie er seine Quellen befragt. Die WOZ hat sich in eine grosse indirekte Rede verwandelt. Ist das Subjekt ein Plural, lässt sich rein grammatisch nicht mehr erkennen, ob die beschriebenen Ereignisse real sind oder nicht. «Rund 250 000 Zivilist:innen hätten sich in der Stadt befunden»: virtuelle Einwohner:innen? «Gesetzesverstösse würden geahndet»: unter welcher Bedingung? «Sie hätten den Uno-Sicherheitsrat gewarnt»: warum haben sie nicht? «Dort hätten Produzenten gezweifelt»: hätte, hätte, Fahrradkette?

Die Distanzierung von den realen Geschehnissen erschwert die Lektüre erheblich. Die Lösung wäre ganz einfach: die Wiedereinsetzung des Konjunktivs I auch im Plural. Der Duden hat keine Polizei, er kann die WOZ nicht verhaften. Eine progressive Zeitung sollte (wie früher mit dem Binnen-I und später dem Doppelpunkt) den Duden vor sich hertreiben und ihm nicht folgsam hinterhertrotten.

Urs Egli, Zürich

Zwischen Protest ­­ und Verantwortung

«Polizeigewalt in Bern: ‹Noch nie so viel Blut gesehen›», WOZ Nr. 46/25

Der Bericht über die Polizeigewalt in Bern hat mich nachdenklich gemacht. Nicht, weil Kritik an der Polizei unzulässig wäre: In einem Rechtsstaat müssen staatliche Eingriffe stets überprüfbar bleiben. Aber die Darstellung scheint mir zu einseitig. Erstens ist bekannt, dass bei Demonstrationen mit Beteiligung des sogenannten Schwarzen Blocks Gewalt, Sachbeschädigungen und Eskalation häufig auftreten – auch ohne Polizeipräsenz. Beispiele aus früheren 1.-Mai-Demonstrationen zeigen das deutlich. Zweitens: Das Gewaltmonopol liegt beim Staat, aber es ist kein Freibrief. Der Staat muss sich an Recht und Verhältnismässigkeit halten. Gleichzeitig haben auch Polizist:innen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit. Gewalt gegen sie darf nicht verharmlost oder verschwiegen werden. Drittens ist das Resultat dieses Tages ernüchternd: verletzte Demonstrierende, verletzte Polizist:innen, hohe Sachschäden und eine enorme Menge Energie, die nun in juristische Aufarbeitung fliesst. Energie, die zwei Tage nach dem Friedensabkommen in Gaza sinnvoller in friedliche Konfliktlösung investiert gewesen wäre.

Ich wünsche mir eine Berichterstattung und eine politische Kultur, die weder indifferent gegen die Polizei noch indifferent gegen Demonstrierende Partei ergreift – sondern Verantwortung, Gewaltfreiheit und Demokratie ins Zentrum stellt.

Urs Zeder, Basel

Stimmen zum Réduit

«Im Réduit-Staat (Teil 1): Gegen die Zivilbevölkerung», WOZ Nr. 47/25

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie die Vergangenheit heute interpretiert wird. Meine Mutter, Jahrgang 1926, hat mit mir offen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs gesprochen. Das mit dem Réduit war ihr bekannt. Es war eine Zeit, in der der Einzelne für das grosse Ganze zurücktrat. Die Rucksäcke standen gepackt in einer Ecke in der Küche. Es war aber auch klar, dass man wenig bis keine Hilfe bekommen würde. Das Réduit war nicht für die Bevölkerung gedacht. Meine Mutter hat mir das so mitgeteilt, es ging um die Schweiz und nicht um das einzelne Individuum. Zudem ist es unstatthaft, mit den Informationen von heute eine vergangene Situation zu beurteilen. Die Entscheidungen wurden aufgrund der damaligen Lage getroffen, niemand wusste, wie lange es dauern würde. Es waren schwere Entscheidungen, und heute darüber zu urteilen, bedarf einer genauen Differenzierung.

Christina Spälti, per E-Mail

Als ich Kind war, wurde in meiner Familie oft vom Krieg gesprochen: Meine Mutter erlebte die Bombardierung des Viadukts im Industriequartier Zürich, mein Vater war junger Funkerrekrut, ein Grossvater tat Dienst auf einem Gipfel im Gebirge, der andere als Veteran des Ersten Weltkriegs in der Ortswehr.

Der Artikel gibt mir nun Fakten zu meinen Erinnerungen an Mutmassungen und Ängste: Beispielsweise als Mutter mit zwei kleinen Kindern dem Krieg ausgeliefert zu sein, allein, weil der Ehemann Dienst fürs Vaterland tat. Und ich frage mich, ob sich damals, einmal mehr, eine Klassenfrage auftat: Die, die ahnten, dass sie schutzlos preisgegeben würden, die Frauen, die Alten, die Gebrechlichen, und auf der anderen Seite die, die meinten, dank ihrer gesellschaftlichen Stellung Zugang zu einem Platz im Réduit zu haben.

Dass «das Volk» in den Überlegungen keinen Wert hatte, wird im Artikel deutlich. Verteidigt werden sollte «unsere Unabhängigkeit, das höchste Schweizer Gut». Eine Idee, keine Menschen. Wie fürchterlich! Was für ein entsetzliches Gegenbild zur damaligen Landischweiz. Wusste das Volk, was da entschieden wurde? Dass Menschen von den eigenen Soldaten an der Flucht vor dem Krieg gehindert werden sollten? Die öffentlichen Anweisungen waren klar und deutlich.

Heute denke ich, kaum jemand von den gewöhnlichen Leuten konnte die Konsequenzen verstehen. Und was hätte es genützt? Wer aufbegehrte, stellte sich gegen die Landesverteidigung! Jetzt bin ich sicher, das hat Spuren hinterlassen in der Bevölkerung. Ein Misstrauen, das bewirtschaftet werden kann. Von den Eliten, die das Volk und seine tief sitzenden Erfahrungen und Ängste für eigene Zwecke missbrauchen.

Christina Dolderer, per E-Mail