Alles, was Sie wissen müssen
Rückblick auf den Sonntag: Es ging weiter mit den Klimamärschen rund um die Welt, unter anderem in London, Madrid, Kiew, Barcelona, Kapstadt, Amsterdam, Durban, Athen und Berlin (Bilder gibt es hier). Weltweit sollen, nach Angaben der Veranstalter, 570000 Leute teilgenommen haben. In Paris und Brüssel, wo Kundgebungen nach den Pariser Terrorattacken verboten worden waren, bildeten Tausende AktivistInnen trotz Verbot Menschenketten (Bilder dazu hier); auf der Pariser Place de la République ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstrierenden vor (hier ein Bericht über das Protestieren in den Zeiten des Notstands von taz-Kollege Martin Kaul). Für den 12. Dezember war in Paris ebenfalls eine Grossdemonstration geplant, die nun verboten wurde. Vorbereitungen für eine Kundgebung in einer heute noch nicht öffentlich bekannten Form finden statt.
Am Montag beginnt nun die Klimakonferenz mit dem Treffen der Staats- und Regierungschefs. Verhandlungsgrundlage ist ein 54-seitiger Vertragsentwurf mit Hunderten eckiger Klammern mit verschiedenen, oft gegensätzlichen Formulierungen. Selbst zentrale Punkte (etwa, welchen rechtlichen Charakter der Vertrag haben soll) sind noch strittig.
Was macht die Sache eigentlich so schwierig – dass die Lösung des Klimaproblems so komplex ist? Eher im Gegenteil: Weil sie so entwaffnend einfach ist und die Entscheidungsträger alles tun, um die einfachen Wahrheiten nicht sehen zu müssen.
Zur Klärung: Alles, was Sie vor dem Pariser Klimagipfel wissen müssen, in acht Antworten.*
1. Wie löst man das Klimaproblem?
Indem man mindestens vier Fünftel der bekannten Erdöl-, Kohle- und Gasvorräte dort lässt, wo sie sind, statt sie zu verbrennen und als CO2 in die Atmosphäre zu pusten. Zwar müssen darüber hinaus auch die Wälder vor Abholzung geschützt werden, die Landwirtschaft muss weniger Stickstoff einsetzen und so weiter. Aber ohne dass die fossilen Energieträger unter dem Boden bleiben, gibt es keinen erfolgreichen Klimaschutz. So einfach ist das.
2. Ist der tiefe Erdölpreis gut oder schlecht für das Klima?
Weder noch. Ein tiefer Ölpreis reduziert die Anreize, zu sparen; das ist schlecht fürs Klima. Ein hoher Ölpreis verstärkt die Anreize, mehr zu produzieren; das ist schlecht fürs Klima. Preise müssten gleichzeitig fallen und steigen: fallen für die ProduzentInnen, steigen für die KonsumentInnen. Die Differenz zwischen den beiden Preisen müsste abgeschöpft werden – als CO2-Steuer oder «Preis» der CO2-Emissionen.
3. Kann ein CO2-Preis das Problem lösen?
Er müsste sehr hoch sein. Auf dem europäischen Markt kostet ein Zertifikat für eine Tonne CO2 gegenwärtig acht Euro. Die Schweizer CO2-Abgabe auf Brennstoffe beträgt ab 2016 84 Franken pro Tonne, das CO2-Gesetz erlaubt maximal 120 Franken. Aber wie viel wäre wirksam? Man hat die Reaktion der Märkte auf unterschiedliche CO2-Preise mit ungeheuer komplexen Modellrechnungen simuliert. Aber überzeugender ist eine einfache Überlegung am Beispiel Erdöl: ProduzentInnen dürfen für ihr Öl nur noch so viel bekommen, dass sich die Ausbeutung nicht mehr lohnt; KonsumentInnen müssen dafür so viel bezahlen, dass sie es nicht mehr wollen. Der Ölpreis lag 2008 bei 150 Dollar pro Fass – und das Zeug wurde nach wie vor gekauft. Die Produktion dagegen kostet in Saudi-Arabien nach wie vor weniger als zehn Dollar pro Fass. Damit sie sich nicht mehr lohnt, müsste der Preis tiefer liegen. Der CO2-Preis müsste somit mindestens die Differenz zwischen 10 und 150 Dollar abschöpfen. Das entspricht über 300 Franken pro Tonne CO2.
4. Tut das weh?
Einerseits: ja. Die Weltwirtschaft ist derart von billiger Energie abhängig, dass ein Ausweg nicht ohne grosse Verwerfungen gelingen wird. Andererseits töten die fossilen Energien, vom Grubenunfall über den Strassenverkehr bis zur Luftverschmutzung, mehr Menschen als alle Kriege und Epidemien der Welt. Ein Ausstieg wäre eine grosse Befreiung. Zieht man die langfristigen Klimaschäden in Betracht, ist die Bilanz sowieso positiv.
5. Lösen erneuerbare Energien das Problem?
Die Entwicklung der erneuerbaren Energietechnik war in den letzten Jahren imposant, und in Regionen ohne Zugang zu den herkömmlichen Energienetzwerken haben erneuerbare Energien längst die Nase vorn. Aber um die fossilen Energieträger vollständig aus dem Markt zu drängen, müsste erneuerbare Energie so wenig kosten wie die Produktion der billigsten fossilen – oder noch weniger, weil die herkömmlichen Energieträger den Vorteil haben, dass die bestehenden Infrastrukturen auf sie abgestimmt sind. Würden Erneuerbare derart billig, steigerte das die Energienachfrage gewaltig, und es wäre sehr fraglich, ob sich diese Nachfrage decken liesse. Ohne politische Massnahmen gegen die fossilen Energieträger genügt der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht.
6. Hilft Erdgas?
Die Erdgasindustrie behauptet es. Tatsächlich setzt Erdgas pro Energieeinheit weniger CO2 frei als Erdöl und vor allem als Kohle, und so vermag ein Umstieg die Emissionen zu senken. Aber jeder zusätzlich geförderte Kubikmeter Gas ist zusätzlicher Kohlenstoff, der im Boden bleiben müsste. Erdgas hilft, länger auf dem falschen (fossilen) Weg zu bleiben.
7. Gibt es Alternativen?
Ja. In der Klimapolitik geht es vor allem darum, die Last der Klimapolitik halbwegs gerecht auf die Staaten zu verteilen. Was die Folgen des Klimawandels angeht, ist das zweifellos wichtig. Was die Lösungen angeht, ist es fatal, diese bloss als Bürde zu sehen. Würde eine Wende (nicht nur) im Energiebereich als Chance gesehen, eine menschenfreundlichere Welt zu schaffen, könnte Klimaschutz plötzlich attraktiv werden.
8. Ist das realistisch?
Nein. Denn das Gute setzt sich in der Welt ja nicht einfach durch, weil es gut ist. Der Ausstieg wird den Mächtigen weh tun, und sie werden sich wehren. Aber man ist auch nicht realistisch, indem man den eigenen Untergang kampflos hinnimmt.
* Dieser Text ist ursprünglich in ähnlicher Form in der «Aargauer Zeitung» erschienen.