Boden und Klima: Die Erde soll niemals nackt sein

Nr. 20 –

Kohlenstoff zirkuliert dauernd zwischen Atmosphäre, Boden und Lebewesen. Wenn der Boden an Kohlenstoff zulegt, nimmt das CO2 in der Luft ab. Liegt der Schlüssel für die Rettung des Klimas im Boden?

  • Je krümeliger, desto besser: Ganzjährige, dichte Bestände verschiedener Pflanzen können den Kohlenstoffgehalt des Bodens steigern.
  • Klaus Zaugg leitet den Gemüsebau auf dem Biohof Zaugg.
  • Der Inkarnatklee wird als Untersaat gesät. Er kann Stickstoff aus der Luft fixieren und hilft so, den Boden zu düngen.
  • Salatfeld auf dem Biohof Zaugg: Bald werden hier Pflanzen gesät, die auch die Abstände zwischen den Reihen zudecken.
  • Die Gurken im Gewächshaus mulcht Zaugg mit Grünschnitt von den Feldern. So seien die Gurken gesünder, sagt er.

Zwei Tage vor dem 1. Mai ist das Aprilwetter endlich da. Der Wind treibt Wolken über das weite Land nördlich von Bern, grell scheint die Sonne auf blühenden Raps, dahinter ist der Himmel schwarz. Ein heftiger Regenguss überrascht Gemüsebauer Klaus Zaugg auf seinem Rundgang über die Felder. Er lässt sich davon nicht beeindrucken, sticht trotzdem mit dem Spaten in die Erde und zieht an den Roggenhalmen. Ein Stück hellbrauner Boden löst sich.

Hier draussen am Rand des kleinen Dorfes Iffwil, wo der Blick von den Alpen bis zum Jura reicht, scheint Corona weit weg. Und der Biohof Zaugg hat Glück: Er vermarktet zwar einen grossen Teil seiner Produkte auf dem «Märit», aber mit einem einzelnen Marktstand, der an fünf Tagen der Woche in verschiedenen Berner Quartieren und Agglomerationsgemeinden steht. Der Umsatz des Standes sei seit dem Lockdown um rund vierzig Prozent gestiegen, sagt Klaus Zaugg, der den Gemüseanbau leitet. «Im Breitenrain warteten die Leute teils eineinhalb Stunden, die Schlange wurde hundert Meter lang.»

Der Biohof Zaugg wirtschaftet nach dem biologisch-dynamischen Demeter-Label – und hat schweizweit vermutlich einen Rekord aufgestellt, was Arbeitsplätze angeht: Obwohl er nur gut acht Hektaren eigenes und viereinhalb Hektaren Pachtland hat, arbeiten hier rund dreissig Menschen, die sich siebzehn Vollzeitstellen teilen. Der Betrieb baut Getreide, Kartoffeln und über hundert Gemüsesorten an – darunter auch den aufwendigen Chicorée –, hält Mastrinder und Schweine, verarbeitet Milch, Fleisch, Obst und Beeren. Neben dem Direktverkauf liefert er an die Handelsfirma Bio Partner und beteiligt sich am Gemüseabo des Berner Vereins Soliterre.

Marktplatz für Mikroben

Was den Boden fruchtbar macht, ist der Humus – die organische Bodensubstanz, wie es WissenschaftlerInnen lieber nennen. An seiner Entstehung sind in einer einzigen Handvoll Erde Millionen von Lebewesen beteiligt: Schnecken, Asseln, Tausendfüssler, Regenwürmer und Insekten zerkleinern Pflanzenreste, danach kommen Winzlinge wie Milben und Springschwänze dran, bevor Bakterien und Pilze die Pflanzenreste weiter umbauen. Am besten geht das, wenn der Boden nicht gepflügt und auch sonst möglichst wenig gestört wird. Humusreicher Boden speichert Feuchtigkeit und Nährstoffe besser, er filtert Wasser und kann sogar gewisse Giftstoffe neutralisieren.

Klaus Zaugg und sein Bruder und Mitbewirtschafter Philipp gehören zu einem immer grösseren Kreis von BäuerInnen, die sich intensiv mit dem Boden beschäftigen – mit dem Ziel, ihn humusreicher zu machen. Das hellbraune Bodenstück, das Klaus Zaugg ausgestochen hat, ist in den obersten zehn Zentimetern fein krümelig, durchzogen von Pflanzenwurzeln, weiter unten kompakter. Man sieht die Löcher, die Regenwürmer vertikal in die Erdschicht gegraben haben – die Würmer selbst allerdings nicht. Sie haben sich wegen der Trockenheit in die Tiefe verzogen. Der 31-Jährige ist noch nicht ganz zufrieden: «Das Ziel wäre, dass der Boden bis in zwanzig Zentimeter Tiefe krümelig ist und die Erde noch besser an den Wurzeln haftet. Denn die Millimeter rund um die Wurzeln sind der beste Marktplatz für die Mikroben, die die Bodenfruchtbarkeit fördern.»

«Regenerative Landwirtschaft» nennt sich die Bewegung. Sie propagiert einen Landbau, der ähnlich wie natürliche Ökosysteme funktioniert: Der Boden ist das ganze Jahr von Pflanzen bewachsen und wird möglichst wenig bearbeitet, die Vielfalt der angebauten Pflanzen ist gross, und Weidetiere spielen oft eine wichtige Rolle. Klaus Zaugg ist überzeugt von der regenerativen Landwirtschaft, gerade in Hinblick auf das wärmere Klima: «Wir alle müssen mit mehr Umweltstress leben, auch der Boden. Er muss in kürzester Zeit viel Wasser schlucken können, dann wieder Trockenheit überbrücken. Das schafft er nur, wenn er topfit ist.»

Man spürt den Stolz, wenn Klaus Zaugg sagt: «Seit dem letzten Jahr arbeiten wir pfluglos.» Das wichtigste Gerät, um den Boden auf die Saat vorzubereiten, ist nun der sogenannte Geohobel: Er schält nur die oberste Schicht des Bodens ab, statt ihn tief zu wenden. Doch so ist es viel schwieriger, ein sauberes Feld für die Neuansaat zu bekommen – besonders wenn davor Gras und Klee auf dem Feld wuchsen. Und mit Unkrautvernichtungsmitteln nachhelfen können BiobäuerInnen nicht. «Seither müssen wir mehr jäten», räumt Zaugg denn auch ein. Aber er lerne ständig dazu – und sein Bruder, der neben dem Abschluss als Landwirt auch Landmaschinenmechaniker gelernt hat, optimiert die Geräte.

Auch die schonende Bodenbearbeitung ist eine Vorbereitung auf ein heisseres Klima: «Wir haben im Hitzesommer 2018 einen Vergleichsversuch gemacht, und es zeigte sich, dass mit dem Geohobel bearbeitete Felder deutlich weniger austrocknen als gepflügte.» Untersaaten hätten den gleichen Vorteil: Das sind Pflanzen wie Gräser und Kleearten, die zwischen die Reihen gesät werden, wenn das Gemüse schon einen Vorsprung hat. Auf einem Feld mit Zuckermais etwa hat Zaugg letztes Jahr Inkarnatklee eingesät, der nach der Maisernte stehen blieb und jetzt leuchtend purpurrot blüht. «Man könnte meinen, die Untersaaten seien eine Konkurrenz ums Wasser. Aber dank ihnen bildet sich viel mehr Tau, der gleichzeitig auch noch kühlt.» Die regenerative Landwirtschaft setzt auf möglichst vielfältige Untersaatmischungen aus verschiedenen Pflanzenarten und -sorten: «Diversität bei den Pflanzen fördert Diversität im Boden.»

Grosse Hoffnungen

Der Boden spielt eine entscheidende Rolle für das Klima. Die Böden der Welt speichern mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und alle Pflanzen zusammen (vgl. «Mit C einmal rundherum» im Anschluss an diesen Text). Das weckt Hoffnungen: «Der Stopp der Klimakrise und die Regeneration der planetarischen Ökosysteme binnen weniger Jahrzehnte ist möglich – einfacher und schneller, als die meisten annehmen.» So steht es in der Werbung zum Buch «Die Humusrevolution» von Ute Scheub und Stefan Schwarzer, das vor drei Jahren erschienen ist. Ähnlich enthusiastisch kam die «Vier-Promille-Initiative» daher, die 2015 an der Pariser Klimakonferenz als freiwillige Vereinbarung von 39 Ländern und diversen NGOs unterschrieben wurde. Sie versprach Grosses: Könnte man den Kohlenstoffgehalt der Böden global um nur 0,4 Prozent pro Jahr steigern, würde das einen grossen Teil des menschengemachten CO2-Ausstosses kompensieren, der in die Atmosphäre geht. Liegt der Schlüssel für die Rettung des Klimas im Boden?

Andreas Chervet ist Bodenspezialist beim Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern. Auf Böden und Klima angesprochen, holt er weit aus: «Kohlenstoff ist nicht nur im Boden, sondern auch in der Luft, in den Pflanzen, im Wasser, im Gestein. Er zirkuliert. Der Kohlenstoff, den ich im Körper eingebaut habe, war vielleicht vor fünf Jahren in einem Rüebli, vor sechs Jahren in der Luft, vor fünfzig Jahren im Körper meiner Grossmutter und noch früher in einem Kalkstein. Das ist wichtig, um den Kohlenstoff im Boden zu begreifen.»

Ein durchschnittlicher Ackerboden enthält nur etwa 2,5 bis 4 Prozent Humus. Dieser besteht knapp zur Hälfte aus Kohlenstoff. «Sobald man den Boden mit Maschinen bearbeitet, baut sich der Kohlenstoff ab», sagt Chervet. Seit die Menschen vor etwa 10 000 Jahren begannen, die Erde aufzureissen und Nutzpflanzen zu säen, verliert der Boden also Kohlenstoff und setzt CO2 frei – dieser Prozess hat sich beschleunigt, seit weltweit immer mehr ehemalige Wälder und Steppen unter den Pflug kommen.

Begrenzt und unsicher

Um das Potenzial der Böden für den Klimaschutz abzuschätzen, ist es wichtig, die Grössenordnungen zu kennen: Wie viel vom CO2, das heute in der Atmosphäre das Klima anheizt, stammt aus dem verlorenen Humus? Nachfrage bei Fortunat Joos, Professor für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern. Seit der Industrialisierung habe der Bodenkohlenstoff etwa sechs bis acht Prozent zu den gesamten CO2-Emissionen beigetragen, sagt er. «Heute stammen noch etwa drei bis vier Prozent der jährlichen CO2-Emissionen aus dem Abbau von Bodenkohlenstoff, Moorböden eingerechnet.» Lässt sich dieser Kohlenstoff mit der richtigen Landbewirtschaftung zurück in den Boden bringen?

Das sei kaum möglich, sagt Bodenspezialist Jens Leifeld von den staatlichen Forschungsanstalten Agroscope: «In der Landwirtschaft wird ein wesentlicher Teil der Pflanzenmasse weggeführt – wir wollen ja Lebensmittel und Tierfutter. Der Kohlenstoff aus diesen fehlenden Pflanzen kommt nicht mehr in den Boden.» Er zitiert eine europäische Studie: Im Ackerland werden im Mittel etwa fünfzig Prozent, im Grünland zwanzig bis dreissig Prozent, in einem bewirtschafteten Wald zehn Prozent der Pflanzenmasse weggeführt. «Das fehlt für den Aufbau organischer Bodensubstanz. Darum nimmt der Kohlenstoff ab, nicht nur wegen der Bodenbearbeitung.» Das wärmere Klima beschleunige den Humusabbau noch. Mist, Gülle oder Kompost reichten nicht, um diesen Verlust zu kompensieren: «10 Tonnen Gras enthalten etwa 5 Tonnen Kohlenstoff. Eine Kuh lässt davon aber nur etwa 1,5 Tonnen zurück. Ein System mit Tieren ist besser als eins ohne, trotzdem bedeutet es netto noch Kohlenstoffentzug.»

Auf verarmten Ackerböden sei es durchaus möglich, organische Bodensubstanz aufzubauen, sagt Leifeld. Mit ganzjähriger Begrünung, Ernteresten auf dem Feld, reduzierter Bodenbearbeitung – Methoden, die auch der Biohof Zaugg anwendet. Doch die Vier-Promille-Initiative übersehe etwas Wichtiges: «Viele Böden haben null Potenzial für den Humusaufbau: die naturnahen Ökosysteme. Sie sind schon im Optimum, man kann nicht noch mehr Kohlenstoff hineinbringen. Global ist das etwa die Hälfte der Landfläche.»

Auch Andreas Chervet dämpft die Erwartungen an den Boden als Klimaretter. «Ich betreue seit 26 Jahren eine Versuchsparzelle, die wir sehr intensiv auf Humus beproben. Unter besten Voraussetzungen für den Humusaufbau; ohne Bodenbearbeitung. Und ich sehe, wie schwierig es ist.» Ackeroberböden enthielten heute im Schnitt ein bis eineinhalb Prozent weniger Humus als Wiesen. «Dieses eine Prozent, dreissig Tonnen Humus pro Hektare, das ist das Maximum, das man aufbauen kann. Und es dauert lange: Eine Zunahme von 250 Kilo Humus pro Hektare und Jahr ist realistisch. Ich habe in meinem Versuch gelernt, wie schwierig es ist, 250 Kilo Zunahme nachzuweisen.» Eine einzige Bodenbearbeitung mit dem Pflug mache einen jahrelangen Humusaufbau wieder zunichte. «Zudem sind Hochrechnungen ganz schwierig. Und das ist ein Riesenproblem.» Die Gefahr sei gross, dass der Humusaufbau überschätzt werde.

Wer wirklich mit Böden etwas fürs Klima tun wolle, sollte Moore renaturieren, sagt Chervet. Sie enthalten viel mehr Kohlenstoff als alle anderen Böden – weil sich im wassergesättigten Boden die Pflanzenreste nur langsam zersetzen und zu Torf werden. Trockengelegte Moorböden lassen das Gemüse wachsen, weil sie so humusreich sind, aber der Torf mineralisiert sich und setzt dabei permanent CO2 frei (siehe WOZ Nr. 38/18 ). In wieder vernässten Mooren bildet sich hingegen erneut Torf, der Kohlenstoff aus der Luft bindet. Doch vor allem in den Tropen geht die Moorzerstörung im grossen Stil weiter, etwa für Ölpalmenplantagen: «Was in Südostasien gerade passiert, macht mehr aus im Negativen, als wir hier im Positiven erreichen können», gibt Chervet zu bedenken.

Kohle kann viel

Wer Humus als Lösung für alle Klimaprobleme propagiert, macht einen Denkfehler: Der CO2-Anteil in der Atmosphäre wächst nicht in erster Linie wegen Kohlenstoff aus dem Erdboden, sondern weil so viel Kohle, Öl und Erdgas verbrannt werden. Dieser Kohlenstoff kann nicht «zurück» in den Erdboden, weil er nie dort war, sondern von weiter unten stammt, aus der Erdkruste.

Dazu kommt, was Leifeld bereits erwähnt hat: Der Boden kann nicht unbegrenzte Mengen Kohlenstoff aufnehmen. Je nach Nutzung und Standort stellt sich das Gleichgewicht bei einem höheren oder tieferen Kohlenstoffgehalt ein. Dann bindet ein Boden kein weiteres CO2 mehr. Und der Boden ist nicht nur eine endliche, sondern auch eine unsichere Senke: Eine Landwirtin kann dreissig Jahre lang alles tun, um Humus aufzubauen – wenn ihr Nachfolger das Gegenteil macht, etwa auf organische Dünger verzichtet und den Boden über den Winter nackt lässt, geht der gespeicherte Kohlenstoff in kurzer Zeit wieder als CO2 in die Luft.

Jens Leifeld von Agroscope sieht trotz seiner Skepsis mindestens zwei vielversprechende Möglichkeiten für Schweizer LandwirtInnen. Die eine ist der Agroforst: Man setzt Bäume in den Acker, am besten in Reihen, die genau auf die Bearbeitungs- und Erntemaschinen abgestimmt sind. «Es ist interessant, Bäume im System zu haben, sie generieren viel Biomasse über Laub und Wurzeln – binden also Kohlenstoff.» Allerdings müsse bei einer Systembewertung die potenzielle Flächenkonkurrenz der Bäume zu den angebauten Nahrungspflanzen berücksichtigt werden: «Wo ein Baum steht, kann nicht auch noch Weizen wachsen.»

Mindestens so spannend ist die zweite Möglichkeit: Pflanzenkohle. Holz und andere Pflanzenteile werden dafür bei Temperaturen um 600 Grad unter Luftabschluss verkohlt – nicht in einem rauchenden Kohlemeiler, sondern in einer Hightechanlage, die auch die Abwärme nutzt. «Pflanzenkohle ist interessant, weil sie viel abbauresistenter ist als der Kohlenstoff in der organischen Bodensubstanz», erklärt Leifeld. «Die Verweildauer im Boden ist zehn- bis hundertmal länger. Mit Pflanzenkohle kann man die Kohlenstoffgehalte wirklich erhöhen.»

Entscheidend ist aber, woher die verkohlte Biomasse kommt. Natürlich ist es nicht sinnvoll, Wälder zu roden, um sie als Kohle in den Boden zu bringen. Doch diesbezüglich stimme ihn die Forschung optimistisch, sagt Leifeld: «Es gibt seriöse Schätzungen dazu, dass wir global relevante Mengen in den Boden bringen können, ohne mit der Nahrungsmittelproduktion zu konkurrieren oder Primärwälder zu gefährden.» Eben weil sie abbauresistent ist, ersetzt Pflanzenkohle Humus nicht: «Sie speichert zwar Wasser, aber unterstützt die biologische Funktion weniger als sonstige organische Substanz», betont Leifeld. «Für das Bodenleben ist es wichtig, dass die Organismen frisches organisches Material verwerten können. Darum ist es sinnvoll, Ernterückstände auf dem Feld zu lassen und nicht alles zu Kohle zu machen.»

Eine Kombination aus Humusaufbau und Pflanzenkohle: Das tönt vielversprechend. Wäre es damit vielleicht doch möglich, den Kohlenstoff aus dem verlorenen Humus und zusätzlich noch einen Teil der Emissionen aus den fossilen Brennstoffen in den Boden zu bringen – weil die Kohle so stabil ist? Leifeld relativiert: «Mit Pflanzenkohle liesse sich im besten Fall eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff pro Jahr in den Boden bringen. Das ist etwa dreimal so viel wie die Emissionen des Luftverkehrs vor Corona – also nicht wenig. Total haben wir aber Emissionen von zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff oder umgerechnet fast vierzig Milliarden Tonnen CO2

Das Fazit ist nicht so paradox, wie es scheint: Es ist sehr erfreulich, dass sich immer mehr LandwirtInnen für den Humusaufbau engagieren und Pflanzenkohle einsetzen – neben vielen anderen positiven Effekten trägt das auch zum Klimaschutz bei. Doch wer behauptet, Humusaufbau allein könne das Klima retten, handelt klimapolitisch fahrlässig. Denn das lenkt vom wichtigsten Klimaproblem ab: den fossilen Brennstoffen. Auch Jens Leifeld betont: Im Kontext der Landwirtschaft sei Pflanzenkohle ein relevanter Beitrag zum Klimaschutz. «Aber es gibt keine Methode, die die fossilen Emissionen kompensieren kann. Wir müssen sie reduzieren. Das bleibt die wichtigste Stellschraube.»

Bio und konventionell

Andreas Chervet hat sich sein ganzes Berufsleben mit Böden beschäftigt. Aufgewachsen auf einem Pachtbetrieb im Bernbiet, lernte er Landwirt, doch bevor er den Hof übernehmen konnte, wurde das Land überbaut. «Das hat mich nachhaltig geprägt», sagt er. «Mit dem Verlust bekam ich einen anderen Bezug zum Kulturgut Boden.»

Das Wichtigste, sagt er, sei eigentlich simpel: «Wir brauchen das ganze Jahr lebende Pflanzen auf dem Feld.» Er erzählt vom Glomalin, einer Substanz, die von den Wurzelspitzen abgesondert wird und das Bodenleben ernährt. «Ohne lebende Pflanzen kein Glomalin und damit kein Humusaufbau.» Und hier sollte die Agrarpolitik ansetzen, sagt Chervet: Es brauche eine Regelung, damit der Boden möglichst selten – und schon gar nicht den ganzen Winter – unbedeckt sei. Eine Regelung als Teil des ökologischen Leistungsnachweises, jener Liste der Grundvoraussetzungen, die LandwirtInnen erfüllen müssen, um Direktzahlungen zu erhalten. «Das würde mehr bringen als aufwendige Humusmessungen.»

Für Gemüsebauer Klaus Zaugg ist noch etwas anderes wichtig: «Die regenerative Landwirtschaft schafft eine Verbindung unter den Bauern, die es vorher nicht gab.» Sonst stünden sich Bio- und konventionelle Landwirtschaft oft frontal gegenüber – «und beide Seiten glauben, sie hätten recht. Jetzt sind wir gemeinsam auf dem Weg.» Die regenerative Landwirtschaft teilt viele Prinzipien mit Bio, aber sie arbeitet nicht mit Verboten. Das sei ganz entscheidend für ihren Erfolg, sagt Zaugg: «Im Kurs, den ich gerade besuche, sagen sie: ‹Wenn ihr nicht auf synthetische Spritzmittel als Notnagel verzichten wollt, ist das okay. Aber jedes eingesparte Kilo ist gut.›» Das nehme vielen konventionellen Bauern die Angst, in Richtung Pestizidverzicht zu arbeiten. «Wenn sie dann lernen, wie wichtig Bodenpilze sind, fangen sie von selber an, Fungizide infrage zu stellen.»

Kohlenstoff-Kreisläufe : Mit C einmal rundherum

Ohne Kohlenstoff gäbe es uns nicht: Das Element C ist einer der wichtigsten chemischen Bestandteile von Lebewesen. Mit der Fotosynthese nehmen Pflanzen Kohlenstoff aus dem Kohlendioxid (CO2) in der Luft auf, Tiere und Menschen bekommen ihn beim Essen von den Pflanzen, bauen einen Teil in ihren Organismus ein und stossen den Rest beim Atmen wieder als CO2 aus. Absterbende Pflanzen geben ihren Kohlenstoff an den Boden ab. Bei günstigen Bedingungen kann ein Teil davon dort jahrzehntelang als Humus stabil bleiben, oft geht jedoch viel Kohlenstoff wieder als CO2 in die Luft, etwa beim Pflügen. So zirkuliert er dauernd zwischen Boden, Lebewesen und Atmosphäre. Auch die Ozeane schlucken grosse Mengen CO2 – nun stossen sie langsam an Grenzen und drohen zu übersauern.

Weltweit verlieren heute die meisten Ackerböden Kohlenstoff, sie sind also eine Treibhausgasquelle und heizen das Klima an. Stoppen lässt sich der Kohlenstoffverlust, wenn Böden möglichst wenig bearbeitet werden, das ganze Jahr von Pflanzen bewachsen sind, organisch mit Mist oder Kompost gedüngt werden und Ernterückstände auf dem Feld bleiben (vgl. Haupttext oben).

Stark zugenommen hat der CO2-Anteil der Luft aber nicht in erster Linie wegen verlorenen Bodenkohlenstoffs, sondern wegen der Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle: Diese entstanden über Jahrmillionen aus Überresten von Pflanzen, Tieren und Bakterien. In ihnen steckt ein Teil des Kohlenstoffs, den diese Lebewesen in riesigen Zeiträumen aufnahmen – jetzt geht er in wenigen Jahren in die Luft.

Neben dem Kohlenstoffkreislauf über Böden, Luft, Meere und Lebewesen gibt es noch einen viel langsameren Kreislauf: Gesteine enthalten grosse Mengen Kohlenstoff. Einiges davon wird etwa bei Vulkanausbrüchen frei, umgekehrt reagiert CO2 bei der Verwitterung mit Gestein und wird so gebunden. Der langsame Kohlenstoffkreislauf wirkt langfristig stabilisierend auf den CO2-Gehalt der Luft – allerdings dauert das Zehntausende von Jahren.

Bettina Dyttrich

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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