Klimablog

Neoliberales Klimaregime

Sonntag war Ruhetag, zumindest offiziell; heute Montag geht es weiter. Ich will an dieser Stelle zu den Verhandlungen nur auf zwei interessante Beiträge der KollegInnen vom «Klimaretter» verweisen, die in Paris gute Arbeit machen:

  • Reimund Schwarze, (nicht neoklassischer) Klimaforscher und Umweltökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), gibt zum Textentwurf, wie er seit Samstag vorliegt, eine Übersicht und (optimistische) Analyse;
  • «Klimaretter»-Journalist Christian Mihatsch zeigt auf, welches die wichtigen Player in den Verhandlungen sind und welche Positionen sie vertreten.

Selber bin ich unplanmässig leider noch immer in Zürich, wo ein blödes Virus mich festhält; Gelegenheit, Bücher zu lesen. Nun habe ich soeben ein Buch zu Ende gelesen, das einen kurzen, aber interessanten Seitenblick auf die Klimapolitik wirft: «Untote leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist» vom US-amerikanischen Ökonomen, Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftsphilosophen Philip Mirowski, einem der streitbarsten und spannendsten Theoretiker der Wirtschaftswissenschaften. Mirowski ist nicht einfach zu lesen (und zu verstehen), und für meinen Geschmack eine Spur polemischer, als es seiner Glaubwürdigkeit gut tut – was nichts daran ändert, dass er einer der interessantesten AutorInnen der Gegenwart ist.

Direkt mit den Pariser Verhandlungen hat Mirowskis Analyse nichts zu tun: Er untersucht, was er die neoliberale Strategie zum Klimawandel nennt, die aus drei Teilstrategien besteht. Keine dieser drei Teilstrategien spielt in Paris eine offizielle Rolle; eine – der Emissionshandel – war aber immerhin im Kioto-Protokoll von 1997 ein zentrales Element.

In Mirowskis Buch geht es um den Neoliberalismus an sich, worunter Mirowski weniger ein geschlossenes Denkgebäude als vielmehr ein mehrschichtiges «Denkkollektiv» versteht, dessen Kern die eher verschwiegene Mont-Pèlerin-Society bildet und dessen Botschaften zahlreiche neoliberale Think-Tanks in die Öffentlichkeit tragen und in unser alltägliches Denken und Handeln einsickern lassen.

Im Umgang mit dem Klimawandel erkennt Mirowski ein typisches Muster für die neoliberalen Bestrebungen, im öffentlichen Diskurs die Hegemonie zu gewinnen. Dieses Muster umfasst drei Teilstrategien, eine kurz-, eine mittel- und eine langfristige. Die kurzfristige ist das Leugnen des Klimawandels, ein Fall von «Agnotologie», das heisst gezielter Produktion von Unwissen, wie es am besten im Buch «The Merchants of Doubt» von Naomi Oreskes und Eric M. Conway beschrieben wurde. Die mittelfristige ist der Emissionshandel, der sich in der EU etwa im EU-ETS materialisiert hat; der langfristige ist Geo-Engineering, also das Bestreben, mittels grosstechnischer Eingriffe in die Atmosphäre den Klimawandel rückgängig zu machen oder zu stoppen. (Analog habe die neoliberale Reaktion auf die Finanzkrise von 2008ff ausgesehen: kurzfristiges Leugnen, dass die Krise irgend einen Erklärungsbedarf seitens der Wirtschaftswissenschaften ausgelöst habe; mittelfristiges Kreieren neuer Märkte, in diesem Falle mit «Bad Banks» und Ähnlichem; langfristig das In-Aussicht-Stellen neuer Finanztechniken, die Lösungen für alle Probleme bieten.)

Die drei Teilstrategien werden alle von Mitgliedern des «neoliberalen Denkkollektivs», wie Mirowski es nennt, propagiert. So war etwa der Vater der Idee des Emissionshandels, Ronald Coase, Mont-Pèlerin-Mitglied. Zwar widersprechen sich die Teilstrategien durchaus, und die AnhängerInnen des Emissionshandels liefern sich politische Schlachten mit denen, die den Klimawandel leugnen und gar nichts tun wollen, doch das gehöre zum Plan, sagt Mirowski: Es gehe immer darum, Eingriffe in den Markt zu verhindern und dabei, wenn möglich, gleich noch die Macht des Marktes auszudehnen. Wenn sich nun Handlungswillige mit LeugnerInnen um die Einführung eines Emissionshandelssystems stritten, so seien sie davon abgelenkt, etwas zu tun, was das Problem wirklich anpacken würde. Siegten sie, so gebe es ein neues Spielfeld für die neoliberalen MarktfetischistInnen – und tatsächlich hat der EU-ETS ja dazu geführt, dass die Marktteilnehmer (beispielsweise Energiekonzerne) nicht UmwelttechnikerInnen einstellten, sondern HändlerInnen, um aus dem Handel mit Emissionsrechten den grösstmöglichen Profit zu schlagen. BeobachterInnen erhalten den Eindruck, der Emissionshandel sei alternativlos oder doch zumindest die Massnahme erster Wahl der Klimabesorgten; weiter reichende Massnahmen geraten aus dem Fokus. Und mit der (bis heute hypothetischen) Option des Geo-Engineering propagiert man für die Zukunft eine technische (und natürlich auf privatwirtschaftlicher Initiative beruhende) Lösung für alles, was den Kampf gegen die Ursachen sowieso hinfällig macht.

Dabei geht es durchaus nicht nur (wenn auch in erster Linie) um Profitinteressen: Die Strategie berührt einen quasi-religiösen Glaubenssatz des Neoliberalismus im Kern. Für Mont-Pèlerin-Übervater Friedrich August von Hayek stand das Nichtwissen im Kern seines Denkens: Das Wissen der Menschen über die Zukunft der Gesellschaft ist grundsätzlich prekär; Hayek sprach von der «Anmassung des Wissens». Das hat ja nun tatsächlich einiges für sich. Hayek trieb den Gedanken aber so weit, dass er jegliches politische Gestalten gesellschaftlicher Verhältnisse ablehnte – bis auf eines: die Stärkung des Markts (und zwecks der Unterwerfung der Menschen unter den Markt, notfalls mit Gewalt, sind die Neoliberalen – anders, als oft wahrgenommen – durchaus an einem starken Staat interessiert). Denn während Menschen unwissend sind, ist der Markt für Hayek eine Informationsverarbeitungsmaschine, die allein die Zukunft vorherzuwissen und das Handeln in die richtige Richtung zu lenken vermag. Es stehen sich im neoliberalen Weltbild also eine chaotische, nicht vorher-wissbare Natur und eine ebensolche Gesellschaft auf der einen Seite und ein gottgleich allwissender, absoluter Markt gegenüber. Die Vorstellung, es könnte irgend eine Instanz geben, die einen Wandel dieser chaotischen Natur – eben den Klimawandel – bewertet und verfügt, dass dieser zu stoppen sei, ist solchem Denken ein Gräuel – es sei denn, es handle sich bei dieser Instanz um den Markt selbst (da unterscheiden sich die Neoliberalen klar von den neoklassischen UmweltökonomInnen, die einen geradezu grotesken Glauben an die Modellierbarkeit des Klimawandels und der Gesellschaft vertreten). Agnotologie ist da die Strategie der Wahl.