Naomi Oreskes: «Ich hoffe, die Wahl Trumps war ein Weckruf»
Die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes hat die Netzwerke der KlimawandelleugnerInnen aufgedeckt. Dass diese jetzt im neuen US-Kabinett sitzen, bedeutet für sie vor allem eines: WissenschaftlerInnen müssen sich endlich öffentlich engagieren.
WOZ: Naomi Oreskes, Sie sind auf dem Weg ans World Economic Forum in Davos. Was tun Sie da?
Naomi Oreskes: Ich spreche natürlich über den Klimawandel! Der private Sektor allein kann das Problem des Klimawandels nicht lösen, aber er kann und muss Verantwortung übernehmen. Gerade in der Ära Trump ist die Rolle der Wirtschaft besonders wichtig.
Interessieren sich die Wef-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen für den Klimawandel?
Nicht alle – aber ich bin optimistisch, dass ich viele Leute aus der Geschäftswelt erreichen kann. Letztes Jahr sprach der CEO von Unilever darüber, wie sein Unternehmen die Lieferkette umweltfreundlich gestalte – und trotzdem noch Profit mache. Das hat die Leute interessiert. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen die Zukunft ihres Planeten ja nicht zerstören. Es gibt da eine interessante Geschichte: Das Montreal-Protokoll von 1987 verbot die sogenannten FCKW, die die Ozonschicht zerstören. Aber schon vorher boykottierten ausreichend Leute Sprays mit Treibmitteln aus FCKW, um die Industrie zu einem Umdenken zu bewegen. Ein Haarspray ist es nicht wert, die Umwelt zu zerstören!
Als Sie begannen, die Verschwörung gegen die Klimawissenschaften zu erforschen – das ist doch eine Verschwörung, nicht wahr?
Ich spreche lieber von «Netzwerken». Unter Verschwörern stellt man sich Männer in dunklen Hinterzimmern vor, die dicke Zigarren rauchen … Aber ja, sowohl die Leugnung des Klimawandels wie die Leugnung der Schädlichkeit des Passivrauchens durch die Tabakindustrie haben verschwörerische Aspekte. Aber nicht alles, was die Tabakindustrie in diesem Zusammenhang tat, war verschwörerisch. Es gab auch seitens der Konsumenten einen Wunsch, genau das zu hören: Passivrauchen schadet nicht. Da befriedigte die Industrie eine Nachfrage.
Also: Als Sie begannen, die antiwissenschaftlichen Netzwerke der Klimawandelleugner zu erforschen: Konnten Sie sich vorstellen, dass die USA eines Tages einen Präsidenten hätten, der den Klimawandel als «chinesisches Märchen» bezeichnet hat?
Nein. In unserem Buch «Vom Ende der Welt» von 2014 sah nicht einmal das Worst-Case-Szenario einen solchen Präsidenten voraus …
Und schlimmer als Donald Trump ist seine Mannschaft …
Absolut. Ich glaube, Trump ist der Klimawandel ziemlich egal. Aber er füllt sein Kabinett mit Leuten, die die treibenden Kräfte hinter der Leugnungsmaschinerie waren. Es sind genau die Leute, über die wir unser Buch geschrieben haben.
Was erwarten Sie klimapolitisch für die nächsten vier Jahre?
Das zentrale Element ist die Nomination Rex Tillersons, des CEO von Exxon-Mobil, zum Aussenminister. Er wird versuchen, die Sanktionen gegen Russland zurückzunehmen und so den Weg frei zu machen für Ölbohrungen in der Arktis. Das ist eine Katastrophe. Denn die arktischen Ölreserven sind vermutlich die grössten noch nicht geförderten Ölreserven. Wird dieses Öl gefördert, gibt es definitiv keine Hoffnung mehr, die Erderwärmung auf zwei Grad beschränken zu können. Und die Nomination des Klimawandelleugners Scott Pruitt als Chef der Umweltbehörde EPA zeugt vom Willen, die Umweltpolitik zu demontieren.
Wird das gelingen?
Es gibt in den USA grosse gerichtliche Auseinandersetzungen um die Klimapolitik. Massachusetts und vierzehn andere Staaten haben gerichtlich erreicht, dass das Bundesgesetz zum Schutz der Luft, der Clean Air Act, auch für das Klima gilt und die Bundesregierung mithin verpflichtet ist, Kohlendioxidemissionen zu regulieren.
Doch dagegen haben wieder andere Staaten unter der Führung von Oklahoma geklagt. Was nun geschehen wird: Trump wird Obamas Clean Power Plan zur Förderung erneuerbarer Energie zurückziehen, und das wird viele Klagen zur Folge haben. Also wird Trump Richter ernennen, die auf seiner Seite stehen.
Aber unterdessen fällt der Preis der erneuerbaren Energie immer mehr. Elektrizität wird nicht in Washington erzeugt, und wenn die Konsumenten und Konsumentinnen die Wahl haben, wählen sie nicht die Energieform, die ihre Lebensgrundlage zerstört. Wenn Kalifornien die Führung übernimmt, wird die Richtung stimmen. Die Umweltaktivistinnen und -aktivisten werden sich mit langweiligem, technischem Zeug wie Netzintegration auseinandersetzen müssen. Ich hoffe, die Wahl Trumps war ein Weckruf. Ich muss optimistisch sein, denn sonst wüsste ich nicht, woran ich noch glauben sollte …
Umfragen zufolge hält eine klare Mehrheit der Bevölkerung in den USA den Klimawandel für ein Problem, und trotzdem wurde Trump gewählt. Was lief falsch?
Die Amerikanerinnen und Amerikaner sind besser, als man meinen könnte, wenn man sieht, wen sie wählen! Aber der Klimawandel, auch wenn die Leute ihn ernst nehmen, hat für die meisten keine hohe Priorität, da sie meinen, er betreffe sie nicht direkt – im Gegensatz etwa zur ökonomischen Situation. Deshalb wäre es so wichtig gewesen, diese beiden Themen zu verbinden und zu sagen: Erneuerbare Energieanlagen und die Cleantechindustrie schaffen Jobs, und zwar bessere als die Erdölwirtschaft. Das hat auch Hillary Clinton viel zu wenig getan. Wir – Wissenschaftler und Forscherinnen und alle, die das Problem ernst nehmen – müssen viel mehr darüber sprechen, was der Klimawandel für das Leben aller bedeutet.
Es war ja auch schon anders. Im Präsidentschaftswahlkampf von 1988 beispielsweise war der Klimawandel ein Topthema, sowohl für den demokratischen Kandidaten Michael Dukakis wie für den Republikaner George Bush. Was ist seither anders geworden?
Die Netzwerke des Leugnens haben ganze Arbeit geleistet! Eine Politikerin oder ein Politiker hat stets zu wenig Zeit, und wenn er oder sie lange spricht, schneidet die TV-Station nur ein paar Sekunden aus der Rede heraus. Da ist es schwieriger – nicht unmöglich! –, den Klimawandel als ernstes Problem darzustellen, als ihn lächerlich zu machen.
Ihr Koautor Erik Conway hat nachgezeichnet, wie die moderne Umweltbewegung um 1970 recht überraschend entstand. Bald darauf begannen sich die Antiumweltschützer zu formieren. Ronald Reagan war ihr erster Präsident, und in den neunziger Jahren demontierte die republikanische Kongressmehrheit unter Newt Gingrich wissenschaftliche Institutionen. Ist Trump ein Erbe dieser Entwicklung?
Auf jeden Fall. Vor Reagan waren die Republikaner weder besonders umwelt- noch wissenschaftsfeindlich. Wenn ich in den Archiven aus der Zeit Richard Nixons lese, bin ich manchmal etwas schockiert, wie sehr ich mit Nixon einverstanden bin (lacht).
Aber mit Ronald Reagan änderte das, und in der Debatte um den sauren Regen kamen all die Argumente auf, die sich keinen Deut um die Fakten scheren. George Bush senior war dann nochmals ein konservativer Republikaner der alten Sorte, aber seither ist das vorbei. Heute nimmt ja nicht nur Trump den Klimawandel nicht ernst. Alle Kandidaten der Republikanischen Partei schienen davon auszugehen, dass man die Vorwahlen nicht gewinnen kann, wenn man den Klimawandel ernst nimmt. Und hätte beispielsweise Ted Cruz gewonnen, wäre sein Kabinett in dieser Hinsicht auch nicht besser gewesen als Trumps.
Für den Wissenschaftshistoriker Philip Mirowski ist die Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse logische Folge neoliberalen Denkens: Neoliberale akzeptieren keine Instanz, die über Richtig und Falsch entscheidet – ausser den Markt.
Mirowski ist eine sehr wichtige Stimme. Aber als wir an unserem Buch über die Netzwerke der Leugner zu arbeiten begannen, entschieden wir uns, das Wort «Neoliberalismus» nicht zu verwenden, der Begriff war uns zu schwammig. Doch wir sagen auch, dass das Leugnen des Klimawandels nichts mit Fakten zu tun hat, sondern mit Ideologie. Gut Ausgebildete leugnen den Klimawandel ebenso oft wie schlecht Ausgebildete. Wir nennen die Ideologie aber «free market fundamentalism». Für die Fundamentalisten des freien Markts führen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Folgerungen, die nicht in ihr Weltbild passen und die sie deshalb ablehnen. Aber auch Marktradikale erkennen grundsätzlich an, dass es Fälle von sogenanntem Marktversagen gibt, die mit Eingriffen korrigiert werden müssen. Neoliberale lehnen das Konzept des Marktversagens ganz ab.
Die USA sind in der Klimaforschung führend, aber ein Grossteil ihrer Politiker will nicht an den Klimawandel glauben. Ist das das Problem der ignoranten Politiker oder der Wissenschaftlerinnen, denen es nicht gelingt, ihre Botschaft verständlich zu machen?
Als Historikerin weiss ich, dass oft Hand in Hand geht, was sich widerspricht. Für die Regierungen, die den Klimawandel ernst nahmen, lautete die wichtigste Antwort darauf: mehr Forschung. Und das war ja auch gut, wir brauchen die Forschung, und kein Forscher und keine Forscherin wehrt sich dagegen, mehr Geld zu bekommen. Aber das war eben auch eine Besänftigungsstrategie: Man forschte – und tat sonst nicht viel. Die Wissenschaftler taten, was man von ihnen erwartete, und hofften, die Welt würde entsprechend ihren Erkenntnissen handeln. Das war naiv. Klar kann es nie schaden, noch mehr zu wissen. Aber wir wissen längst genug, um zu handeln. Naturwissenschaftler müssen mehr mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern zusammenarbeiten, müssen sich mehr in die Öffentlichkeit wagen, brauchen Medientrainings.
Mir scheint manchmal, schlimmer als das Leugnen des Klimawandels sei das Verharmlosen, von verschiedener Seite. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nicht als alarmistisch gelten. Das Silicon Valley verspricht für alles eine technische Lösung. Die Autoindustrie hat den Umweltschutz als Marketinginstrument entdeckt …
«Verharmlosung» ist ein gutes Wort. Aber es gibt keine scharfe Grenze. Der neue Aussenminister Rex Tillerson ist im strengen Sinn kein Leugner, er akzeptiert, dass es einen menschlich verursachten Klimawandel gibt – sagt aber, das sei nicht so schlimm. Ich habe zu Beginn die Rede des CEO von Unilever erwähnt. Man kann das als Greenwashing kritisieren und verlangen, ganz auf Kosmetikprodukte zu verzichten. Und wenn Sie die Autoindustrie ansprechen: Natürlich hiesse die richtige Antwort auf die Frage, welches Auto man aus Umweltsicht kaufen sollte: gar keins. Aber in den USA mit ihrem schlechten öffentlichen Verkehr und dem hohen Stellenwert der individuellen Autonomie ist das keine Option – wenn Sie nicht gerade in New York City leben. Da sind Elektroautos, glaube ich, doch eine ganz gute Lösung.
Naomi Oreskes
Die Geologin Naomi Oreskes (58) ist Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University. Das Buch «Merchants of Doubt» (deutsche Ausgabe: «Die Machiavellis der Wissenschaft»), das sie 2010 mit Erik Conway publizierte und das verfilmt wurde, gilt als Standardwerk über die Netzwerke des industriefinanzierten Leugnens wissenschaftlicher Evidenz, um etwa die Schädlichkeit des Passivrauchens oder den Klimawandel zu bestreiten.
Ebenfalls mit Conway publizierte Oreskes 2014 «Vom Ende der Welt. Chronik eines angekündigten Untergangs». Die engagierte Wissenschaftlerin schrieb zudem das Vorwort zur englischen Ausgabe der Enzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus.
Ein Chinese blickt zurück
2093 kommt der «grosse Kollaps»: Das Meer ist um acht Meter gestiegen, die Wüste breitet sich aus, die Pest ist zurück. Viele glauben, das Ende der Menschheit sei nahe. Die unkontrollierte Erwärmung kann zwar gestoppt werden – dank einer Gentechflechte, die viel CO2 absorbiert. Doch die Katastrophe ist da.
300 Jahre später untersucht ein chinesischer Historiker, wie es so weit kam: Warum konnten die Menschen den Klimawandel nicht stoppen, obwohl sie wussten, was geschah? Er findet Gründe: den Glauben, «der Markt» werde es richten. Und den reduktionistischen Wissenschaftsbetrieb mit seinen «rigiden Massstäben für Theorien», der zu einer Selbstverleugnung wie in einem religiösen Orden geführt habe.
Der Zusammenbruch hatte auch politische Folgen: Der Schreibende lebt nicht in einer Demokratie.
Auch wenn die Vergleiche mit den Dystopie-Schriftstellern Aldous Huxley und George Orwell, mit denen das Büchlein angepriesen wird, schwer übertrieben sind: «Vom Ende der Welt» gibt zu denken.
Bettina Dyttrich
Naomi Oreskes, Erik M. Conway: «Vom Ende der Welt. Chronik eines angekündigten Untergangs». Aus dem Amerikanischen von Gabriele Gockel. Oekom Verlag. München 2015. 122 Seiten. 16 Franken.
Klima und Kollaps : Die Verantwortung der Wissenschaft
Sollen sich KlimawissenschaftlerInnen aktiv dafür einsetzen, dass politisch etwas geschieht, um den Klimawandel einzudämmen? Über diese in der ForscherInnengemeinde oft diskutierte Frage sprach die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes vergangenen Freitag an der ETH Zürich. Die Haltungen der WissenschaftlerInnen bewegten sich zwischen zwei Polen: dem Ideal der «reinen» und dem der «engagierten Wissenschaft». «Engagierte» WissenschaftlerInnen fühlten sich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Erkenntnisse zu politischem Handeln führen. Die VertreterInnen der «reinen Wissenschaft» dagegen fürchteten, ein gesellschaftspolitisches Engagement könne ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit gefährden, und plädierten für eine klare Aufgabenteilung zwischen Wissenschaft und Politik.
Aufgrund historischer Beispiele zeigte Naomi Oreskes, dass die Angst um die eigene Glaubwürdigkeit «nichts anderes ist als genau das: Angst. Und WissenschaftlerInnen sollten ihre Entscheide nicht auf Angst basieren.» Die Evidenz spreche gegen diese Angst: Die Glaubwürdigkeit von Physikern wie Niels Bohr, Hans Bethe oder Albert Einstein, die sich gegen die Atombewaffnung engagierten, habe unter diesem Engagement nicht gelitten. Und Sherwood Rowland, der sich für den Schutz der Ozonschicht einsetzte, bekam 1995 trotz seines Engagements – oder gerade auch deswegen – den Physiknobelpreis.
Koreferent Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich, widersprach: Das Beste, was er als Wissenschaftler tun könne, sei seine Forschung; die überzeugendsten Argumente seien robuste Befunde und Datenreihen. Das schliesse nicht aus, dass er sich darum bemühe, seine Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln. Handelten alle KlimaforscherInnen so wie der Nasa-Forscher James Hansen, der für seine Proteste auch schon verhaftet wurde, wäre das kontraproduktiv, sagte Gruber. Oreskes konterte wiederum: Hansens wissenschaftliche Glaubwürdigkeit sei intakt, er sei wohl der einzige Klimaforscher, der einer breiteren Öffentlichkeit namentlich bekannt sei – und man könne nicht glaubwürdiger sein, als wenn man für seine Überzeugung sogar eine Verhaftung riskiere.
Christoph Küffer, Professor für Urbanökologie an der Hochschule Rapperswil und Kopräsident von Environmental Humanities Switzerland, verteidigte die Position des engagierten Wissenschaftlers. Seit Jahrzehnten mache die Wissenschaft genau das, was Gruber fordere: gute Forschung – und es genüge doch nicht. KlimawissenschaftlerInnen forderten, die Welt müsse sich ändern, aber die Wissenschaft selber ändere sich nicht. Für ihn gehe es in seiner wissenschaftlichen Arbeit genauso sehr darum, Vertrauen zu schaffen, wie darum, Forschungsresultate zu produzieren.
Marcel Hänggi