Deutschland will dabei sein: Eine historische Stunde für die Geschichtsbücher
Der deutsche FDP-Chef Guido Westerwelle fand die passenden Worte: «Was im Kanzleramt besprochen wurde, wird vermutlich als historische Stunde in die Geschichtsbücher eingehen.» Er durfte dabei sein, als Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verlangte, vom Parlament für die Dauer von zwölf Monaten «ermächtigt» zu werden, 3900 Soldaten in den Krieg zu schicken. Seit Wochen schon bietet Schröder deutsche Truppen wie saures Bier an, ohne positive Resonanz der USA. Fast eine Demütigung, da britische, kanadische, australische, französische, türkische und tschechische Soldaten mitmachen sollen. Auch diesmal sagte US-Kriegsminister Donald Rumsfeld in einer ersten Stellungnahme, er habe keine deutschen Truppen angefordert.
Schon die ersten triefenden Solidaritätsbekundungen nach dem 11. September im Bundestag waren gespickt von der Furcht, dass «die Dinge ohne uns geregelt» werden könnten. Ein Ablasshandel, «Scheckbuch statt Soldaten», komme nicht in Frage. Schröder geht es «nicht nur um Bündnissolidarität», sondern um das «existenzielle nationale» Interesse. Die Welt wird in Protektorate und befreundete Regimes verwandelt, und wer nicht dabei ist, der verliert. Einige Grüne aus der Regierungskoalition begreifen erst jetzt, dass die fünf Flugzeugträger nicht Usama Bin Laden verhaften sollen, sondern mit der Rückkehr zur Kanonenboot-Politik des 19. Jahrhunderts zu tun haben. Ihre innere Zerrissenheit, mit der sie den Krieg gegen Jugoslawien noch in einen Menschheitssegen ummünzten, stört in der Kriegsepoche gegen alle, «die nicht für uns sind».
Im Gegensatz zu den US-AmerikanerInnen, klagte die konservative «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ), denke die deutsche «Freizeitgesellschaft, wenn sie Öl höre, an die Kilometerpauschale» statt an Krieg und raube so der Nation ihre Wehrhaftigkeit. Die Kriegspropaganda emanzipiert sich wieder vom Menschenrecht. Kriegsminister Rudolf Scharping (SPD) sagt recht offen: «In der Region, von der wir im Zusammenhang mit dem Terror reden, ... befinden sich 70 Prozent der Erdöl- und 40 Prozent der Erdgasvorkommen der Erde. Weltweite Stabilität hat auch mit Weltwirtschaft zu tun.» Und die sozialdemokratisch orientierte «Frankfurter Rundschau» sekundiert: «Der Moment geopolitischer Dynamik ist eine grossartige Chance – sie zu gestalten sollte nicht allein den USA überlassen bleiben.»
Das Massaker vom 11. September haben die USA weder verschuldet noch verdient. Sie verwandelten es aber in eine Gelegenheit, das zu tun, was schon geplant war. Es geht um den Zugang zu auswärtigen Märkten, Ressourcen, Transitwegen, die «Beseitigung von Renegaten-Regimes» und Terror, der alle meint, «die nicht für uns sind». Nach der Panama-Invasion flogen Bomben auf «Schurkenstaaten», und im Kosovo-Krieg wurde ein unbotmässiges Regime gestutzt. Jugoslawien sei «kein Einzelfall», hatte der damalige US-Präsident Bill Clinton angekündigt, «ein Grossteil der früheren Sowjetunion steht vor ähnlichen Herausforderungen, darunter Südrussland, die Kaukasusnationen sowie die neuen Nationen Zentralasiens». Das war ernst gemeint! Die Kohl-Regierung meldete damals das «vitale Interesse Deutschlands» an, da deutsche Konzerne dort in «Bergbau, Energie, Telekommunikation, Luftverkehr, Landtechnik, Textilindustrie und Infrastruktur-Entwicklung» engagiert seien.
Zentralasien ist reich an Bodenschätzen und bildet wie schon zu Zeiten der Seidenstrasse die Achse zwischen Europa und Asien. Die Taliban, einst auserwählte Kontrolleure für eine Pipeline durch Afghanistan und Pakistan, destabilisierten den Raum, beeinträchtigten «die Sicherheit der Golfregion», schrieb der US-Geostratege Zbigniew Brzezinski 1999, und bedrohten so «Amerikas Status als Weltmacht». Wegen Russlands Schwäche hätten die USA «eine kurze historische Chance, den Raum zu ordnen». Seit Mai will auch das deutsche Aussenamt die Taliban beseitigen, weil die Gotteskrieger «uns» den Weg zum kaspischen Raum und nach Asien abschneiden würden. Für das Engagement sollten «vor allem Russland, China und die Vereinigten Staaten» gewonnen werden. Nun ist die Allianz da, aber die USA entscheiden ziemlich allein. Ein Debakel, erläutern «Experten» wie Professor Wilhelm Hankel: «Am Ende wird das Zerstörte aufgebaut, Aufträge werden erteilt, Einkommen geschaffen, und es stellt sich ein je nach der Dimension der Katastrophe grösseres oder kleineres Wirtschaftswunder ein.» Wer in welchem Umfang davon profitieren wird, hängt wie nach dem Golfkrieg wesentlich von der militärischen Beteiligung ab.
Die Interessen der USA sind klar formuliert: Iran isolieren, Russland hinauswerfen, chinesischen Einfluss eindämmen, Europa behindern. Deutschland dringt, Aversionen gegen die USA nutzend, geschäftlich in China vor, bastelt an der Allianz mit Russland und ist bemüht, im arabischen Raum Fuss zu fassen. Dabei komme gelegen, so die FAZ, dass Washington als «Macht hinter Israel» gelte, während Berlin «die Sympathie vieler Araber» geniesse.
Deutschland fehlt jedoch die militärische Fähigkeit, Investitionen zu schützen (allein im Iran tummeln sich über 400 deutsche Unternehmen), Staaten in Schutzhaft zu nehmen und Stellvertreterkriege zu führen. Die USA hatten mit den afghanischen Mudschaheddin die Sowjetunion geschwächt und melden jetzt «die Verstärkung von Bodentruppen in allen Ländern Zentralasiens». Sie werden sich, sagt ihr Exbotschafter in China, «auf unterschiedlichen Seiten in langwierigen Guerillakriegen» mit China «wiederfinden». Alle kapitalistischen Staaten haben das Interesse, die Welt zu präparieren, um ihre wirtschaftliche Expansion zu befriedigen. Wer wie viel Profit aus der Welt zieht, wird über die Konkurrenz ermittelt – die der Konzerne und der an ihrer Seite stehenden Nationalstaaten. Ohne deren Diplomatie, Administration und Militär ist nichts zu holen. Profitabel sind Regionen, wenn sie auch sicher sind. Deshalb wird die Welt militärisch geordnet, und Deutschland muss dabei sein.
Rainer Trampert
Der Autor war von 1982 bis 1987 Vorstandssprecher der Bundespartei Die Grünen.