Durch den Monat mit Imam Mahmud Ghazala (Teil 1): Mohammed machte Witze?
Herr Ghazala, Sie sind bester Laune. Ist das die Wirkung des soeben beendeten Abendgebetes?
Ich bin sehr selten traurig, sogar in der oft bewölkten Schweiz.
Mögen die Leute einen heiteren Imam?
Oh ja. Nur einige wenige wollen immer bitterernst sein.
Was sagen Sie denen?
Dass das nicht unserer Religion entspricht. Der Prophet Mohammed lächelte immer, sogar in schweren Krisen. Und er hat gern Witze erzählt.
Mohammed war ein Witzbold?
Er hatte Humor. Zum Beispiel beim Dattelessen mit seinem Cousin Ali Ebn Abi Talib. Ali legte seine Dattelsteine vor den Propheten und sagte am Schluss: «Oh Prophet, hast du all diese Datteln gegessen?» Da entgegnete der Prophet: «Meinst du vielleicht, ich hätte besser auch die Steine essen sollen?» Oder dieser Witz: Der Prophet sah jemanden, der mit einem entzündeten Auge Datteln ass. Er sagte zu ihm: «Du isst Datteln, obwohl dein Auge entzündet ist?» «Ja Prophet, ich esse die Datteln mit meinem gesunden Auge.»
Ich bin nicht sicher, ob ich den Witz verstehe.
Nicht? Für uns ist er ganz klar: Man isst doch nicht mit den Augen.
Gibt es Imam-Witze?
Wahrscheinlich schon. Aber mir erzählt man sie leider nicht!
Wie wurden Sie Imam?
In Ägypten gibt es eine berühmte Universität. Die Al-Azhar-Universität in Kairo, die grösste und älteste Universität der arabischen Welt. Dort habe ich Islamwissenschaften und Deutsch studiert. Sie ist wirklich sehr berühmt. Viele Touristen – ist Touristen das richtige Wort?
Ja.
Gut – ich verwechsle die ganze Zeit Touristen und Terroristen, sogar letzten Freitag in der Predigt zu den Anschlägen in Madrid. Die deutsche Sprache ist manchmal interessant. Aber lassen wir das. Also, viele Touristen besuchen die Al-Azhar-Universität. Al-Azhar hat auch eine Schule. Ich bin azharitisch bis auf die Knochen, habe schon als Kind den Koran dort auswendig gelernt. Es gibt Sechsjährige, die den ganzen Koran, 600 Seiten in schwieriger Hochsprache, auswendig können.
Wie alt waren Sie, als Sie so weit waren?
Den ganzen habe ich erst im Studium gelernt.
Gibt es Kapitel, die Sie weniger mögen als andere?
Nein. Es ist alles gut. Sehr schön. Sehr, sehr schön. Haben Sie einmal erlebt, wie die Anmutung der Natur, ein Fluss, das Meer, ein Grün das Herz bewegt?
Jetzt im Frühling oft.
Genau! Wenn ich den Koran in tiefer Konzentration lese, dann gehe ich wie durch einen Garten voller Blumen und singender Vögel.
Können auch andere Bücher dieses Gefühl auslösen?
Sehr wenige. Manchmal Lyrik, die ich sehr mag, manchmal auch spannende Geschichten. Aber beim Koran weint man oft nur schon, weil die Sprache sehr, sehr schön ist.
Das kann ich mir nur schwer vorstellen.
Es gibt Gefühle, die man nicht erklären kann.
Gefühle löste auch das Attentat von Madrid aus. Wie haben Sie letzten Freitag gepredigt?
Das kann ich Ihnen nicht erzählen.
Wieso nicht?
Weil es zu viel ist. Aber ich kann Ihnen eine Fotokopie der Predigt geben.
Aber was war die Botschaft der Predigt?
Ich muss vorausschicken, dass nicht alles, was die Medien den Muslimen zuschreiben, mit Muslimen zu tun hat. Wenn hinter den Anschlägen von Madrid Muslime standen, sagte ich, dann haben sie den Islam nicht begriffen.
Hören die Leute das gern?
Ja. Warum nicht?
In manchen Moscheen wird anderes gepredigt.
Ich weiss nicht. Ich habe das klar gesagt. Aber Sie müssen wissen, dass es auch wehtut, wenn ich so predige: Wenn nämlich unschuldige Leute in unseren Ländern getötet werden, in Palästina, im Irak oder anderswo, dann hört und sieht die Welt das kaum. Im umgekehrten Fall hört und sieht sie sehr viel. Trotzdem predige ich so. Gandhi hat gesagt: Geh nicht auf dem falschen Weg zum richtigen Ziel. Schillers Räuber Karl stiehlt von den Reichen und gibt den Armen. Das ist falsch: Er hat gute Absichten, aber er hat falsch praktiziert.
Glauben Sie, dass die Attentäter von Madrid gute Absichten hatten?
Schon möglich. Aber wenn es Muslime waren, dann haben Sie der Religion geschadet.
Glauben Sie, dass Osama Bin Laden gute Absichten hat?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nicht, ob er eine wahre Persönlichkeit ist oder nicht. Aber auf dem falschen Weg ist er auf jeden Fall.
Scheich Mahmud Ghazala ist 28 Jahre alt und verheiratet. Seit Mai 2003 arbeitet der Ägypter als Imam der grössten Moschee von Bern. * Seine Predigt von letzter Woche ist auf www.woz.ch zu finden.