Israel/Palästina: Idealer Humus für Hamas

Die Zustimmung von US-Präsident George Bush zu den Plänen des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon für einen «einseitigen Rückzug» kommt einer amerikanischen Beerdigung des seit dem Jahr 2000 gestorbenen Friedensprozesses von Oslo gleich. Dies ist ein einschneidender Schritt, waren die Vereinigten Staaten bisher doch die wichtigsten Mitträger aller Friedensprozesse gewesen – und dies auf israelischen Wunsch hin. Die Israeli wollten nie andere Vermittler neben den USA zulassen. Sie wussten warum: Die USA waren von allen denkbaren Vermittlern die ihnen am meisten geneigten. Doch nun verlässt Bush jegliche Vermittlerrolle und nimmt die einer reinen Hilfskraft an israelischer Seite ein.

Scharon hat einen strategischen Plan, den er früher die «langfristige provisorische Lösung» zu nennen pflegte. Heute spricht er nicht mehr davon, sondern verwirklicht seine Pläne Schritt für Schritt, und da ist es für ihn nicht zweckmässig, das ganze Ausmass seiner Vorhaben schon jetzt allzu deutlich zu machen. Doch vor Jahren, kurz bevor er Ministerpräsident wurde, hat er sein Konzept enthüllt: Seine «langfristige provisorische Lösung» besteht aus der Konzentration und Einsperrung der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten in mehrere enge Enklaven – drei oder vier auf der Westbank plus eine in Gasa. Die PalästinenserInnen nennen diese Enklaven in Anlehnung an die Reservate der südafrikanischen Apartheidpolitik «Bantustans».

Dieser Plan trägt der Tatsache Rechnung, dass es zwischen dem Jordan-Fluss und dem Mittelmeer beinahe so viele PalästinenserInnen gibt wie Israeli und dass ihre Zahl schneller wächst. Ein Staat der Juden in «Grossisrael» ist daher nur denkbar, wenn es gelingt, die PalästinenserInnen – die diesen Staat weder freiwillig noch gezwungenermassen räumen – in möglichst arme, möglichst land- und machtlose, von Israel lenk- und kontrollierbare Bantustans einzuschliessen, ja einzumauern. Dadurch entsteht gleichzeitig die Möglichkeit, die verbleibenden rund sechzig Prozent der Westjordangebiete, frei von PalästinenserInnen, an Israel anzuschliessen. Scharon hat dies die «vorläufige langfristige Lösung» genannt, weil ihm darüber hinaus, auf lange Sicht, eine endgültige Lösung vorschwebt: ein Grossisrael, irgendwie, ganz ohne PalästinenserInnen.

Die Isolierung und Entmachtung von Jassir Arafat – unter dem Propagandavorwand, er allein sei schuld an der zweiten Intifada – gehört zum Gesamtplan von Scharon: Denn die Bantustans sollen keine gemeinsame «nationale» Regierung erhalten, sondern lieber Einzelführungen, die Israel manipulieren und gegeneinander ausspielen kann. In dieses Bild passen die gezielten Tötungen von Scheich Jassin und von dessen Nachfolger Abdel Asis Rantisi, die die Führung der Widerstandsbewegung Hamas lähmen sollen. Die gewaltsame Entmachtung Arafats dient zugleich der Ausschaltung des palästinensischen Verhandlungspartners der Israeli, was den Weg für ein einseitiges Vorgehen öffnet.

Die Räumung von Gasa ist Teil des Gesamtplans. Dieser setzt auch die Räumung jener israelischen Siedlungen im Westjordanland voraus, die in den als Bantustans vorgemerkten Gebieten liegen. Die Unterstützung Bushs für die Pläne zum Anschluss «gewisser» Siedlungen an Israel, gegen alles Völkerrecht, gleich noch verbunden mit der Rückendeckung für eine endgültige Streichung des Rückkehrrechtes der Palästinaflüchtlinge, entgegen allen Uno-Beschlüssen, gibt den Startschuss für die Verwirklichung der Scharon-Lösung. Sie soll ohne Eile im Jahr 2005 mit dem Rückzug aus Gasa ihren Anfang nehmen.

Der Schritt Bushs passt zu seinem gesamten Verhalten gegenüber dem Völkerrecht: Er kümmert sich nicht, führt er doch die einzige Supermacht der Welt an. Bisher hat er nicht einmal aus dem Debakel im Irak gelernt, dass es unter Umständen zweckmässig wäre, die internationale Gemeinschaft nicht ganz zu missachten. Man sollte sich daran erinnern, dass Hitler und Mussolini sich zu Beginn ihrer Karrieren sehr ähnlich verhielten, als sie im Jahr 1933 zusammen mit Japan den Völkerbund zerstörten.

Die nun geschaffene neue «realpolitische» Lage in Palästina wirft natürlich die Frage auf: Wird sie eine «Lösung» bringen, wenngleich sie nur eine «langfristig provisorische» sein mag? Die PLO gelobt «weiterzukämpfen» – Israel wird dafür sorgen, dass sie möglichst wenig Mittel erhält, dies wirksam zu tun. Hamas hat unter diesen Umständen die besten Chancen, der PLO den Rang abzulaufen. Scharon glaubt, er könne Hamas brechen. Doch mit den Bantustans schafft er jene Art Humus, in der Hamas gedeiht. Die Bantustans werden ringsum eingemauert werden, und Scharon wird dies, wenn er bis dahin weiter regiert, mit Sicherheitsgründen rechtfertigen. Bush, wenn er bis dahin Präsident bleibt, dürfte ihm zustimmen. Ob und wann dann die Endlösung eintritt, die Scharon langfristig vorschwebt, wird davon abhängen, ob es doch noch eine internationale Gemeinschaft geben wird, die sich zu Wort meldet und mit gebührender Energie die Einhaltung des Völkerrechtes einfordert