Israels Parlamentswahlen als Kultur- und Klassenkampf: Der Vormarsch der frommen Freaks
Einmal mehr versucht die herrschende Elite, bei den Wahlen am 17. Mai [1999] die lange diskriminierten orientalischen Juden an der Peripherie zu belassen.
Der Oslo-Prozess, der 1993 nach einer palästinensisch-israelischen Prinzipienerklärung in Gang kam, ist der politische Ausdruck für die Globalisierung in Nahost. Als solcher vertritt er, ganz allgemein gesehen, die Interessen der herrschenden Klassen, der israelischen wie der arabischen. Doch wie es unlängst treffend der französische Journalist Alain Gresh formulierte: «Das Versagen von Oslo ist das Resultat der Globalisierungskrise in dieser Region, wie sie an so vielen Orten der Welt stattfindet.» Der kürzliche Tumult in der israelischen Politik, als Ende Jahr das Parlament Premierminister Netanjahu – der es sich mittlerweile mit allen, auch seinen Koalitionspartnern, verscherzt hatte – das Vertrauen entzog und beinahe seine Regierung zu Fall gebracht hätte (Netanjahu musste vorgezogenen Wahlen am 17. Mai zustimmen), darf nicht isoliert von diesem Allgemeinzustand gesehen werden, auch wenn es sich, von aussen betrachtet, um einen grotesken Streit zwischen kleinlichen Politikern und vulgären Mafiosi handeln mag.
Vereint gegen Netanjahu
Benjamin Netanjahu wurde im Mai 1996 gegen den Willen der israelischen herrschenden Klasse gewählt, die mehrheitlich an einem Gelingen des Osloer Friedensprozesses interessiert war. Doch die vom damaligen Premier Shimon Peres in Aussicht gestellten Milliardensummen, die dank seiner pragmatischen «neuen Nahost-Politik» zu allgemeinem Wohlstand führen sollten, vermochten die israelischen StimmbürgerInnen nicht zu überzeugen. Deren grosse Mehrheit zog es vor, für denjenigen Kandidaten zu stimmen, der ihrer Meinung nach für Würde, Kultur und die Ablehnung des so verhassten westlichen Modells eintrat, von dem sie sich nicht nur in ihrer Identität, sondern auch in ihrer sozialen Sicherheit bedroht fühlte.
Während der 1996er Wahlen formierte sich um Netanjahu ein neuer gesellschaftspolitischer Block, der sich einerseits aus von kolonialistischen Motiven beseelten Rechtsaussen- und andererseits aus all den übrigen sozialen Gruppen zusammensetzte, welche in den vergangenen fünfzig Jahren von der Arbeitspartei an den Rand gedrängt worden waren, da ihre Sitten und Gebräuche nicht in deren westliches und säkulares Modell der «neuen Israeli» passten. Die alten westlich-säkularen, modernistisch eingestellten Eliten gruppierten sich hinter Peres, mit starker Unterstützung auch der palästinensischen (in Israel lebenden und daher stimmberechtigten) WählerInnen. Die Arbeitspartei war – und ist es noch – die Partei von Oslo, die Partei der Globalisierung und Marktwirtschaft, der Privatisierung sowie des amerikanisierten Lebensstils.
Umgeben von einem seiner Politik wie seiner Person feindselig gegenüberstehenden Politestablishment, war Netanjahu zunehmend auf die Unterstützung einer breiten Volksschicht ebenso wie auf die der SiedlerInnen und der Rechtsextremen angewiesen, um regieren zu können. Populistische Demagogie, grobe, skrupellose Aufhetzung gegen «die Linke», chauvinistische Rhetorik, der politische Rückhalt der SiedlerInnen als auch die finanzielle Unterstützung religiöser Institutionen waren während der vergangenen zweieinhalb Jahre Netanjahus politische Instrumente. Flankiert von einer Bande lokaler und ausländischer Abenteurer entwickelte der Premier eine konfliktgeladene Beziehung zur gesamten politischen Elite, inklusive des Likud, seiner eigenen Partei.
Der Hauptgrund, weshalb die herrschende Elite Israels Netanjahu und seine Bande so dringend loswerden will, ist die destabilisierende Wirkung, welche diese auf die Daseinsberechtigung der Institutionen des zionistischen Staats ausüben. Ein weiterer Grund, der nicht auf die gesamte Elite, aber auf deren grosse Mehrheit zutrifft, ist Netanjahus Aushöhlung des Friedensprozesses, der in den Augen fast der gesamten zionistischen Führung ja die beste Option für die Zukunft des jüdischen Staats darstellt.
Die Krise der politischen Strukturen
Der schwelende Konflikt zwischen der herrschenden Klasse und Netanjahu ist freilich nur ein Aspekt der gegenwärtigen politischen Krise in Israel. Darüber hinaus handelt es sich auch um eine Krise der traditionellen politischen Strukturen, genauer: die Krise der Arbeitspartei und des Likud, der beiden führenden Parteien des Landes. Die letzten Lokalwahlen im vergangenen November ebenso wie die letzten Wahlen in die Knesset im Frühjahr 1996 führten zu einem beträchtlichen Stimmenverlust beider Parteien zugunsten individueller Kandidaten (Lokalwahlen) oder neuer, an Personen und Ethni- en gebundener Parteien. Diese Entwicklung, die in der Gründung einer «Zentrumspartei» kulminierte, hat eine zweifache Ursache. (Am 10. März dieses Jahres wurde in Tel Aviv diese neue Zentrumspartei gegründet und der gemässigte Likud-Vertreter Yitzhak Mordechai, zu ihrem ersten Vorsitzenden gewählt. Die Red.)
Ausschlaggebend für die Neuorientierung der WählerInnen ist einmal die Krise der traditionellen ideologischen Fundamente der beiden Parteien, welche sich schon längst nicht mehr an die realen Bedürfnisse der Nation richten. Im Zeitalter der Globalisierung und des Friedensprozesses hat die ultranationalistische säkulare Rhetorik des Likud keine Bedeutung mehr. Und im Zeitalter der Privatisierung und der freien Marktwirtschaft wirkt auch der Sozialjargon der Arbeitspartei hoffnungslos veraltet. Das 21. Jahrhundert erfordert neue politische Programme und Denkweisen, und die traditionellen Parteien zeigen sich dieser Anforderung schlicht nicht mehr gewachsen.
Die Bildung einer Zentrumspartei spiegelt dieses Phänomen wider. Dabei versuchen die Labor- wie die Likud-Führung neue politische Programme zu formulieren, die wiederum Ausdruck eines neuen, umfassenden sozialen und politischen Entwurfs für den Zionismus sein sollten. Dies jedoch ist ein unmögliches Unterfangen: Ein israelischer Staat, der sich in den arabischen Osten zu integrieren beabsichtigt, muss eine radikale Kehrtwende von seiner kolonialistischen Politik hin zu einer Politik der Kompromisse, von einem jüdischen Staat hin zu einem demokratischen modernen Nationalstaat, von einer westlichen hin zu einer nahöstlichen Orientierung vollziehen. Anders ausgedrückt: Israel muss sich normalisieren und seinen zionistischen Kurs ändern. Freilich sind auch die Protagonisten der Zentrumspartei nicht zu einer solchen radikalen Umkehr bereit.
Wahrscheinlicher ist, dass sich die Gründer der Zentrumspartei, Exstabschef Amnon Shahak sowie die Ex-Likud-Minister Dan Meridor und Roni Milo, denen sich noch diverse PolitikerInnen – aus dem rechten Spektrum, aus der Arbeitspartei und aus vielen der kleinen Parteien - anzuschliessen gedenken, zwischen Labor und Likud zu positionieren versuchen und zuletzt dabei scheitern werden. Denn es dauert wohl noch mindestens zehn Jahre, bis die alte zionistische Führung von der politischen Landkarte verschwindet und eine neue, klassisch-bürgerliche Führung sich herausbilden wird, welche die entsprechenden bürgerlichen Optionen darbieten wird. Eine solche neue Führung wird unweigerlich mit einer neuen israelischen, faschistischen Rechten zusammenprallen, welche sich ihrerseits durch religiösen Fundamentalismus und eine antidemokratische Ideologie auszeichnen wird.
Krise des zionistischen Projekts
Der zweite Grund für den Zusammenbruch der traditionellen Parteien liegt im strukturellen Scheitern des Zionismus. Die zionistische Bewegung hatte einst zwei Ziele: die Errichtung eines jüdischen Staats in Palästina und die Schaffung einer jüdisch-israelischen Nation. Obgleich sie sich als eine Fortsetzung der jüdischen Geschichte in der Diaspora verstand, plante die zionistische Bewegung gleichzeitig, sich selber von der Diaspora und den Diaspora-Juden und -Jüdinnen abzusetzen. Der «neue Jude» würde der Moderne aufgeschlossen, verwestlicht, säkular und produktiv sein. Die Ideologie des «Schmelztiegels» zielte darauf, die aus dem nichtwestlichen, nichtsäkularen, nichtmodernistischen Umfeld stammenden Juden in «wahrhafte Israeli» umzuwandeln. Die grosse Masse von Juden und Jüdinnen, die als Flüchtlinge nach der Nazi-Zeit aus Europa kamen (und die man paradoxerweise auch «Ostjuden» oder «Ghetto-Juden» nannte) oder die in organisierten Operationen der Jewish Agency, der offiziellen israelischen Einwanderungsbehörde, aus verschiedenen arabischen Ländern (Irak, Yemen und später auch Marokko und Ägypten) ins Land gebracht wurden, wurden von den «Pionieren» als Brüder, wenngleich minderwertige Brüder aufgenommen, die es umzuerziehen und zu reformieren galt, bevor sie als richtige Partner ins jüdische Kollektiv aufgenommen werden konnten. Für die Mizrahim, die Einwanderer aus dem arabischen Raum, bedeutete dies: Sämtliche Bande zur angestammten Kultur und Identität sollten durch das Erziehungssystem, das Militär sowie die vorherrschende Kultur und Ideologie ausgemerzt werden.
Das vergangene Jahrzehnt hat unzweifelhaft das Misslingen dieses wichtigen Aspekts des zionistischen Projekts aufgezeigt. Statt Integration in die Gesellschaft sehen wir deren Auseinanderfallen, statt der Formung einer einzigen Nation sehen wir ein Aufbrechen in verschiedene Gruppierungen und Gemeinschaften. Und statt des Verschwindens der Religion und der «nahöstlichen» Kultur erleben wir deren Aufblühen.
Die Existenzkrise der alten zionistischen Parteien ist demnach auch Ausdruck dieses umfassenderen soziokulturellen Phänomens, werden diese doch heute durch ethnisch-zentrierte Parteien (Shas als die Partei der Mizrahim, die russischen Parteien) und durch die immer mehr Zulauf erhaltenden religiösen Parteien ersetzt. Wenngleich die Mizrahim die Mehrheit der Bevölkerung darstellen, wurden sie als «peripher», als «Rand- erscheinung» gegenüber der Gesellschaft und der staatlichen Einrichtungen behandelt.
Diese Situation beginnt sich nun radikal zu ändern, und die betroffenen Gemeinschaften fordern nun den ihnen zustehenden Platz an den politischen, ökonomischen und kulturellen Schaltstellen der Macht. Obgleich viele ihrer Protagonisten sich in Führungspositionen emporgearbeitet haben und in die staatlichen Institutionen aufgenommen wurden, fühlt sich das «zweite Israel» noch immer von den herrschenden Eliten ausgeschlossen. Die staatliche Verwaltung, das Big Business, der Kulturbetrieb und die Medien befinden sich noch immer in den Händen der alten westlich-säkularen Eliten, die ihrerseits versuchen, zur Wahrung ihrer Klassenprivilegien den Widerstand gegen die «populistische Bedrohung» zu organisieren.
Der neue Block
Zweifelsohne werden wir in den kommenden Wahlen erneut den sozialen Block erleben, der sich in den letzten Wahlen hinter Netanjahu versammelt hatte und ihm damals zum Sieg verhalf. Ein Block, der sich aus zwei unterschiedlichen Komponenten zusammensetzt, die sich zwar ideell gewaltig unterscheiden, sich jedoch im Kampf gegen die Labor-orientierte Elite gegenseitig brauchen: Es sind dies die «alte Peripherie», die erwähnten eingewanderten «Randständigen» und die extreme Rechte.
Aus verschiedenen Gründen betrachten beide Lager das System der Arbeitspartei – welches noch immer funktioniert, wenngleich der Likud in den vergangenen zwei Jahrzehnten die meiste Zeit die Regierung stellte – als ihren Hauptfeind: die extreme Rechte aus politischen und die arabischen Juden und Jüdinnen sowie die orthodox-religiösen Gemeinschaften aus kultur- und sozialpolitischen Gründen. Netanyahu gelang es 1996, diese beiden Lager in einen einzigen Block gegen «die Linke» zusammenzuschweissen, eine Linke, welche nicht nur als «näher den Arabern denn der jüdischen Unterschicht», sondern auch als näher der westlichen Kultur und Gesellschaft denn der jüdischen Tradition, Identität und Kultur empfunden wurde.
Während die ultrarechten Aktivisten (insbesondere die Siedler, die nationalreligiösen Parteien sowie ein Teil des Likud) befürchten, im Zug der Oslo-Vereinbarung weiteres Land sowie Siedlungen aufgeben zu müssen, hat der restliche Teil dieses Blocks Angst vor einem westlich-säkularen freien Marktsystem und dem entsprechenden sozio-kulturellen Modell, das von der Arbeitspartei und noch stärker von der zionistischen Linken, der Meretz-Partei, portiert wird. Diese Ängste und Befürchtungen sind der Kitt dieses Blocks, und Netanjahu wird alles unternehmen, um ihn zusammenzuhalten. Gelingt ihm dies, wird er – gegen sämtliche Eliten von der Rechten bis zur so genannten zionistischen Linken – erneut die Wahl gewinnen.
Der Märtyrer und der Held, zwei Karrieren
Israel hat seinen Märtyrer – und natürlich ist es ein Sepharde, ein Mizrahim, das heisst ein orientalischer Jude, ein Vertreter jener Bevölkerungsgruppe, die seit Mitte der sechziger Jahre die «schweigende Mehrheit» darstellt und nach fast einem halben Jahrhundert der Diskriminierung nun endlich als «Opfer» zionistischen Eifers legitimiert und rehabilitiert worden ist. Es ist der in Marokko geborene, vierzigjährige Arieh Deri, der in einer kometenhaften Karriere mit 29 Jahren Innenminister wurde und seine 1984 gegründete, religiöse Shas-Partei zur drittstärksten Kraft des Landes promovierte, die mit zehn Sitzen (von insgesamt 120) in der Knesset Regierungen stürzen kann. Der Königsmacher Deri galt im Frühjahr 1997 als «Opfer» der Bar-On-Affäre, als nämlich Premierminister Benjamin Netanjahu den unterqualifizierten Parteigenossen Roni Bar-On zum Generalstaatsanwalt ernannte, der nach heftigen Protesten sein Amt gar nicht erst antrat. Daraufhin enthüllte das staatliche Fernsehen, dass es sich hier um einen miesen Deal gehandelt hatte, habe doch Koalitionspartner Arieh Deri Netanjahu die lebenswichtige parlamentarische Unterstützung des Hebron-Truppenrückzugs (im Januar 1997) nur unter der Bedingung zugesagt, dass er Bar-On ernenne, von dem sich der Parteichef Milde bei seinem laufenden Verfahren wegen Betrugs, Korruption usw. erhoffte.
Shas hatte in den 15 Jahren ihrer Existenz ein ganzes soziales Netzwerk für die Mizrahim, die nach ihrem Massentransfer aus Nordafrika in öden «Entwicklungsstädten» fern der Metropolen angesiedelt, in Sonderschulen geschickt und allgemein pauperisiert wurden, aufgebaut. Arieh Deri, der als Vorsteher des Innenministeriums und später als Minister in seinem mächtigen Posten Shas und anderen religiösen und lokalen Institutionen riesige Geldsummen zugeschanzt und Bestechungsgelder angenommen hatte, wurde letzte Woche nach neunjährigem Verfahren – dem längsten in der israelischen Justizgeschichte – von einem Dreier-Richtergremium verurteilt. Das Strafmass steht noch aus, sollte er Gefängnis erhalten, wäre es für lange Zeit mit einer Politkarriere vorbei. Die tausenden von Deri-AnhängerInnen waren bei ihren Protestdemonstrationen vor zwei Jahren schon deutlich gewesen: «Schluss mit der Hexenjagd», «Sepharden-Hasser», «Deri – Dreyfus» stand auf den Plakaten, und auch letzte Woche beteten, sangen und klagten sie in riesigen Mengen, des Urteils harrend. Für die Shas-AnhängerInnen und die meisten Mizrahim ist Deri unschuldig, hat er doch das Geld einer guten Sache – Affirmative Action für die Unterprivilegierten – zugeführt. Und natürlich hassen ihn dafür die ashkenasischen Oberschichts-Schnösel, die ihn für einen simplen Gauner und Mafioso halten.
Der andere sephardische Held ist Yitzhak Mordechai, der erste Mizrahim (im Irak geboren), der als von Netanjahu kürzlich geschasster Verteidigungsminister und Mitbegründer der Zentrumspartei für das höchste Amt kandidiert. Auch Mordechai, der als umgänglich und volksverbunden gilt und sehr «unsephardisch» im Militär Karriere machte, wurde ebenfalls ziemlich deutlich: Nur er verstehe, im Gegensatz etwa zu Labor-Führer Ehud Barak, die sephardische und arabische Mentalität, nur er könne mit den Palästinensern verhandeln. Erfährt Deri Milde und wird Mordechai gewählt, wäre dies die Kulmination zweier untypischer Mizrahim-Karrieren. cor.
Der Märtyrer und der Held, zwei Karrieren
Israel hat seinen Märtyrer – und natürlich ist es ein Sepharde, ein Mizrahim, das heisst ein orientalischer Jude, ein Vertreter jener Bevölkerungsgruppe, die seit Mit-te der sechziger Jahre die «schweigende Mehrheit» dar- stellt und nach fast einem halben Jahrhundert der Diskriminierung nun endlich als «Opfer» zionistischen Eifers legitimiert und rehabilitiert worden ist. Es ist der in Marokko geborene, vierzigjährige Arieh Deri, der in einer kometenhaften Karriere mit 29 Jahren Innenminister wurde und seine 1984 gegründete, religiöse Shas-Partei zur drittstärksten Kraft des Landes promovierte, die mit zehn Sitzen (von insgesamt 120) in der Knesset Regierungen stürzen kann. Der Königsmacher Deri galt im Frühjahr 1997 als «Opfer» der Bar-On-Affäre, als nämlich Premierminister Benjamin Netanjahu den unterqualifizierten Parteigenossen Roni Bar-On zum Generalstaatsanwalt ernannte, der nach heftigen Protesten sein Amt gar nicht erst antrat. Daraufhin enthüllte das staatliche Fernsehen, dass es sich hier um einen miesen Deal gehandelt hatte, habe doch Koalitionspartner Arieh Deri Netanjahu die lebenswichtige parlamentarische Unterstützung des Hebron-Truppenrückzugs (im Januar 1997) nur unter der Bedingung zugesagt, dass er Bar-On ernenne, von dem sich der Parteichef Milde bei seinem laufenden Verfahren wegen Betrugs, Korruption usw. erhoffte.
Shas hatte in den 15 Jahren ihrer Existenz ein ganzes soziales Netzwerk für die Mizrahim, die nach ihrem Massentransfer aus Nordafrika in öden «Entwicklungsstädten» fern der Metropolen angesiedelt, in Sonderschulen geschickt und allgemein pauperisiert wurden, aufgebaut. Arieh Deri, der als Vorsteher des Innenministeriums und später als Minister in seinem mächtigen Posten Shas und anderen religiösen und lokalen Institutionen riesige Geldsummen zugeschanzt und Bestechungsgelder angenommen hatte, wurde letzte Woche nach neunjährigem Verfahren – dem längsten in der israelischen Justizgeschichte – von einem Dreier-Richtergremium verurteilt. Das Strafmass steht noch aus, sollte er Gefängnis erhalten, wäre es für lange Zeit mit einer Politkarriere vorbei. Die tausenden von Deri-AnhängerInnen waren bei ihren Protestdemonstrationen vor zwei Jahren schon deutlich gewesen: «Schluss mit der Hexenjagd», «Sepharden-Hasser», «Deri – Dreyfus» stand auf den Plakaten, und auch letzte Woche beteten, sangen und klagten sie in riesigen Mengen, des Urteils harrend. Für die Shas-AnhängerInnen und die meisten Mizrahim ist Deri unschuldig, hat er doch das Geld einer guten Sache – Affirmative Action für die Unterprivilegierten – zugeführt. Und natürlich hassen ihn dafür die ashkenasischen Oberschichts-Schnösel, die ihn für einen simplen Gauner und Mafioso halten.
Der andere sephardische Held ist Yitzhak Mordechai, der erste Mizrahim (im Irak geboren), der als von Netanjahu kürzlich geschasster Verteidigungsminister und Mitbegründer der Zentrumspartei für das höchste Amt kandidiert. Auch Mordechai, der als umgänglich und volksverbunden gilt und sehr «unsephardisch» im Militär Karriere machte, wurde ebenfalls ziemlich deutlich: Nur er verstehe, im Gegensatz etwa zu Labor-Führer Ehud Barak, die sephardische und arabische Mentalität, nur er könne mit den Palästinensern verhandeln. Erfährt Deri Milde und wird Mordechai gewählt, wäre dies die Kulmination zweier untypischer Mizrahim-Karrieren.
Corinne Schelbert